Der Fall
Arbeitgeber Paris betreibt eine Schönheitsfarm. Wegen Zerwürfnissen entläßt er die beiden Nymphen Daphne und Calypso, ebenso die dienstälteste Sekretärin
Pandora. Alle 3 wollen ein Top-Arbeitszeugnis von ihm.
Pandora hat von Anfang an den ganzen Betrieb aufgebaut. Paris meint, sie habe deshalb auch alle Organisationsfehler zu verantworten. Er möchte dies im
Zeugnis mitteilen, ebenso bei Daphne ihre vielen Krankheiten und die Elternzeit, bei Calypso ihre häufigen Verspätungen.
Die Arbeitnehmerinnen meinen, daß Paris das nicht darf. Da weigert sich Paris,
überhaupt ein Zeugnis zu erteilen.
Die Lösung
1. Zeugnisanspruch
Der Zeugnisanspruch war in der Vergangenheit in verschiedenen Gesetzen und Rechtsgrundlagen geregelt. Mittlerweile ergibt er sich aus § 109 Gewerbeordnung.
Danach hat der Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis.
2. Zeugnisarten
Nach § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung gibt es das einfache Zeugnis und das qualifizierte Zeugnis.
Das
einfache Zeugnis
muß mindestens Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeiten enthalten. Es empfiehlt sich bei kurzen Beschäftigungszeiten mit wenig anspruchsvollen Tätigkeiten.
Das
qualifizierte Zeugnis
muß auf Verlangen der Arbeitnehmerinnen von Paris ausgestellt werden. Es muß sich weiterhin auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstrecken. Dies gibt immer wieder Anlaß zu Streit, da insbesondere bei der Leistungsbeurteilung auch eine Benotung enthalten ist.
3. Zeugnisgrundsätze
Das Zeugnis hat sich nach der Rechtsprechung an 4 Grundsätzen zu orientieren:
– Grundsatz der Wahrheit,
– Grundsatz des verständigen Wohlwollens,
– Grundsatz der Vollständigkeit,
– Grundsatz der individuellen Beurteilung.
Darüber hinaus bestimmt §109 Abs. 2 Gewerbeordnung, daß das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein muß. Es darf keine
Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Nach § 109 Abs. 3 Gewerbeordnung ist
die Erteilung eines Zeugnisses in elektronischer Form ausgeschlossen.
Diese Zeugnisgrundsätze sind nur schwierig miteinander zu vereinbaren. Insbesondere Wahrheitspflicht und Wohlwollen stehen in ständigem
Widerstreit. Auch der Grundsatz der Vollständigkeit kann nicht in epischer Breite vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Zeugnisse werden sonst unüberschaubar.
4. Gestaltungsfreiheit
Der Arbeitgeber hat das Recht, Form, Inhalt und Formulierung zunächst einmal selbst zu bestimmen. Hinsichtlich der Form muß er europäische Mindeststandards
einhalten. Der Inhalt wird durch die Zeugnisgrundsätze geprägt. Die Formulierung darf nicht zu kompliziert, zu gestelzt oder zu unbeholfen sein. Allerdings können die Arbeitnehmerinnen den Wortlaut nicht
vorschreiben. Das darf im Falle eines Prozesses höchstens das Gericht.
5. Wahrheit und Wohlwollen
Die Lösung dieses Konfliktes liegt in der Kunst des Weglassens. Um dem Grundsatz des Wohlwollens zu genügen, muß der Arbeitgeber viele schädliche Fakten
weglassen, soweit dadurch nicht insgesamt der Inhalt des Zeugnisses gegen die Wahrheitspflicht verstößt.
Wenn Pandora bei der Aufbauarbeit vor Jahren Fehler gemacht hat, so hat dies heute im Zeugnis nichts
mehr zu suchen. Auch das Zuspätkommen von Calypso muß weggelassen werden, wenn dies kein Dauerzustand war. Allerdings darf Paris ihr keine „stetige Pünktlichkeit“ bescheinigen.
Krankheitszeiten von Daphne
haben grundsätzlich im Zeugnis nichts zu suchen, ebenso die Elternzeit. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn Elternzeit und Krankheit dazu führten, daß die Arbeitsleistungen der Mitarbeiterin aufgrund der
heftigen Krankheitszeiten praktisch nicht mehr bewertbar war. Dies ist der absolute Ausnahmefall.
6. Schlußformulierungen
Bestimmte Schlußformulierungen sind freiwillig, z.B.:
– „Ihr Ausscheiden nehmen wir mit besonderem Bedauern zur Kenntnis“,
– „Die Mitarbeiterin hat
sich um das Unternehmen besonders verdient gemacht“,
– Wir wünschen ihr für ihre private und berufliche Zukunft alles Gute und viel Erfolg“.
Solche in die Zukunft gerichteten Formulierungen oder
bedauernden Formulierungen sind nicht einklagbar und alleine Sache des Arbeitgebers. Sie besitzen deshalb in der Wertigkeit eine besondere Bedeutung in der Beurteilung von Zeugnissen.