Folge 152

Neuer Abfindungsanspruch III



Der Fall:


    Arbeitgeber Faust hat eine Massenentlassung vorgenommen. Mit seinem Betriebsrat hat er einem Sozialplan vereinbart. Um den streitsüchtigen Arbeitnehmer
    Falstaff von einer Klage abzuhalten, macht er ihm in der Kündigungserklärung ein Angebot nach § 1 a KSchG auf Abfindung. Falstaff nimmt an und klagt nicht. Als Arbeitgeber Faust auf das Angebot die niedrigere
    Sozialplanabfindung anrechnet, ist Falstaff sauer. Er will beide Abfindungen.

    Einstein entläßt den Mitarbeiter Chagall. Einstein möchte eine Abfindung zahlen, aber weniger als ein halbes Monatsgehalt. Dies
    teilt er im Kündigungsschreiben mit. Chagall klagt auf die höhere Abfindung nach dem Gesetz.



Die Lösung:



1. Korrigierende Auslegung


    Macht ein Arbeitgeber ein Abfindungsangebot nach § 1 a KSchG und fehlt die Angabe über die Abfindungshöhe, so kommt eine Vereinbarung in Höhe der
    gesetzlichen Regelung mit der entsprechenden Summe zustande. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben die Abfindungssumme versehentlich zu niedrig ansetzt. Insbesondere bei Berechnungsfehlern
    muß entsprechend dem Gesetz eine korrigierende Auslegung vorgenommen werden, wenn der Arbeitgeber ein Angebot nach dem Gesetz vornehmen wollte.

    Eine Korrektur ist nicht möglich, wenn der Arbeitgeber die
    Abfindung bewußt/willentlich niedriger als die gesetzliche Regelung des § 1 a Abs. 2 KSchG festsetzt.



2. Sozialplan


    Die gesetzliche Regelung gilt auch dann, wenn im Sozialplan eine Abfindung vorgesehen ist, die niedriger als die gesetzliche Abfindung ist. Sofern der
    Arbeitgeber ein Angebot nach § 1 a KSchG macht, muß er die Abfindung in der gesetzlichen Höhe bezahlen. Wenn der Sozialplan zu niedrig ist und der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt, muß der
    Arbeitgeber über die niedrige Sozialplansumme hinaus die weitere Differenz als Abfindung zahlen.

    Problematisch ist der Fall, wenn – wie bei Falstaff – das Abfindungsangebot des Arbeitgebers höher als die
    Sozialplanabfindung ist. Im Zweifel darf der Arbeitgeber Faust die Sozialplanabfindung mit der im Kündigungsschreiben genannten Abfindungssumme verrechnen. Dies ist jedoch streitig. Der Gesetzgeber hat hier
    keine Klarstellung vorgenommen.


    Tip:

    Um Mißverständnissen und Problemen vorzubeugen, ist es dringend zu empfehlen, daß im Sozialplan eine entsprechende Verrechnungsregelung bezüglich rechtsgeschäftlicher Abfindungsvereinbarungen oder bezüglich eines Abfindungsanspruches nach § 1 a KSchG aufgenommen wird, wenn dies so gewollt ist.



3. Höherer Abfindungsbetrag


    Der Arbeitgeber ist grundsätzlich berechtigt, aus dem Füllhorn seiner Möglichkeiten dem Arbeitnehmer auch eine höhere Abfindung als 0,5 Monatsverdienste
    pro Beschäftigungsjahr anzubieten. § 1 a KSchG verbietet dies nicht. Diese Vorschrift enthält nur eine gesetzliche Mindestregelung. Nach dem Günstigkeitsprinzip können Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch höhere
    Abfindungen vereinbaren.

    Dies ergibt sich im übrigen auch aus rechtsgeschäftlichen Grundsätzen.



4. Geringerer Abfindungsbetrag


    Arbeitgeber Einstein ist nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer Chagall überhaupt eine Abfindung anzubieten. Die Regelung des § 1 a KSchG beruht auf
    freiwilligem Handeln.

    Demgemäß ist es dem Arbeitgeber Einstein auch nicht verwehrt, mit dem Arbeitnehmer Chagall eine geringere Abfindung auszuhandeln, als das Gesetz es vorsieht. Er kann eine normale
    betriebsbedingte Kündigung aussprechen und gleichzeitig dem Arbeitnehmer ein Abfindungsangebot machen. Entscheidend ist, daß er dabei nicht die Konstruktion des Junktims verwendet (“Wenn Sie nicht klagen, dann
    …”). Nutzt Einstein das gesetzliche Junktim, so muß er auch die gesetzliche Mindestabfindung zahlen. Wenn er dies nicht will, kann er dem Arbeitnehmer im Wege der betriebsbedingten Kündigung eine geringere
    Abfindungshöhe anbieten, ohne Aufforderung, auf die Erhebung der Klage zu verzichten. Er kann auch gegenüber dem Mitarbeiter schriftlich klarstellen, daß er keinesfalls ein Angebot nach § 1 a KSchG machen will,
    sondern nur eine geringere Abfindung anbietet.

    Wichtig ist, daß insoweit Rechtsklarheit herrscht. Dafür muß der Arbeitgeber sorgen.

    Wenn der Arbeitgeber Einstein dies hinreichend klargestellt hat, kann
    Arbeitnehmer Chagall das Angebot annehmen. Allerdings ist eine rechtsgeschäftliche Einigung und damit eine rechtsgeschäftliche Annahme durch den Arbeitnehmer erforderlich. Dies kann auch u.U. konkludent ohne
    ausdrückliche Annahmeerklärung nach § 151 BGB erfolgen. Besser ist jedoch eine eindeutige Annahme oder Ablehnung des Angebots, um Mißverständnisse zu vermeiden.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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