Folge 321

Arbeitszeit – aktuelle Entwicklungen I – Rechtsgrundlagen und Direktionsrecht


Frage:


Darf mein Arbeitgeber von mir jede Arbeitszeit verlangen, die er für betrieblich notwendig hält? Bin ich verpflichtet,
Überstunden zu leisten? Gibt es einen gesetzlichen Arbeitszeitschutz und eine gesetzliche Höchstarbeitszeit und wie sieht diese aus?


Der Fall:


    Arbeitgeberin Coco Cianelli stellt den Arbeitnehmer Felix Wankel ein, damit er ihr einen neuen Parfümdosierungsmotor für
    Flacons konstruiert und baut. Den Kraftfahrer Karl Liebknecht stellt sie ein, damit dieser eilige Parfümsendungen an VIP-Kunden zu jeder Tages- und Nachtzeit exklusiv ausliefert.

    Damit der
    Technologievorsprung erhalten bleibt, verlangt Arbeitgeberin Coco von Wankel, daß er Tag und Nacht an der Entwicklung des Dosierungsmotors bleibt. Karl Liebknecht muß je nach Laune der Kunden Tag und Nacht und
    an Wochenenden die Parfümbestellungen ausfahren.

    Um Festlegungen und Diskussionen zu vermeiden, hat Arbeitgeberin Coco von vorneherein in den Arbeitsverträgen festgelegt, daß die Arbeitszeit alleine von der
    Arbeitgeberin nach betrieblichen Notwendigkeiten festgelegt wird. Beide Arbeitnehmer fragen sich, ob dies zulässig ist.

    Arbeitgeber Alfred Hitchcock braucht für das Drehbuch eines neuen Thrillers einen
    Theologen, der ihn berät. Dafür stellt er Rudolf Bultmann ein. Nach den Hollywood-Gebräuchlichkeiten geht Hitchcock davon aus, daß Bultmann regulär 60 – 90 Stunden pro Woche arbeitet oder wenigstens ihm zur
    Verfügung steht. Da Bultmann seine Arbeitsleistung in Deutschland erbringt, hat er Zweifel am Umfang einer solchen Arbeitszeit.


Die Lösung:


1. Arbeitszeit


    Arbeitszeit ist die Zeitspanne, während ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt bzw.
    stellen muß, selbst wenn er nicht arbeitet. Arbeitszeit ist nach § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Zeitspanne vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen (Ausnahme Bergbau).

    Grundsätzlich
    beginnt und endet die Arbeitszeit mit der Arbeitsaufnahme oder der Beendigung am Arbeitsplatz. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitet, sondern seine Arbeitskraft für den Arbeitgeber am
    Arbeitsplatz lediglich bereithält.

    Kraft eines Tarifvertrages, eines Arbeitsvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder betrieblicher Übung kann auch geregelt werden, daß der Weg auf dem Betriebsgelände, das
    Umkleiden vor oder nach der Arbeit oder gar die Wegezeiten zur Arbeitszeit zählen können.


2. Regelung der Arbeitszeit


    Die Arbeitszeit kann auf verschiedene Weise in der Praxis geregelt sein. Hier muß der Bewerber oder Arbeitnehmer wie der
    Arbeitgeber genau differenzieren und aufpassen.

    – Die Arbeitszeit ist zunächst gesetzlich im öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrecht geregelt. Die zentrale gesetzliche Regelung in Deutschland ist dafür das
    Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Dieses Arbeitszeitgesetz hat die frühere Arbeitszeitordnung abgelöst. Darüber hinaus gilt in Europa die EG-Richtlinie 2000/88/EG vom 4.11.2003 („Arbeitszeitrichtlinie“ genannt).


    Darüber hinaus sollte dringend die konkrete Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers von den Arbeitsvertragsparteien im Arbeitsvertrag festgehalten und geregelt werden. Dies gilt vor allem für
    Teilzeitarbeitnehmer, die nur eine ganz bestimmte Dauer der wöchentlichen oder täglichen Arbeitszeit arbeiten wollen. Hier empfiehlt es sich auch dringend, die Lage der Arbeitszeit (vormittags, nachmittags, von
    – bis) genau festzulegen. Bei Teilzeitarbeitnehmern findet sich in Arbeitsverträgen u.U. auch die Vereinbarung einer Abrufarbeit bzw. einer flexiblen Arbeitszeit.

    – Dringend zu empfehlen ist auch die Regelung
    der Arbeitsvergütung im Arbeitsvertrag und ihre Verknüpfung oder Relation zur Arbeitszeit. Dazu gehört die Frage des Stundenlohnes, der Monatsvergütung, der Überstundenvergütung, Sonn- und Feiertagszuschläge etc.

    – Die reguläre wöchentliche Arbeitszeit/Vollarbeitszeit ist generell in den Tarifverträgen der einzelnen Branchen festgelegt, insbesondere in Mantel- oder Rahmentarifverträgen. Die Frage ist nur, ob diese
    Tarifverträge auf die jeweiligen Arbeitsverhältnisse zwingend normativ (Zugehörigkeit zu Gewerkschaft und Arbeitgeberverband) oder durch vertragliche Vereinbarung oder auch gar nicht Anwendung finden.

    – Bei
    der Festlegung der Arbeitszeit ist zusätzlich noch die zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz zu beachten. Dies gilt jedenfalls in den Betrieben, in denen ein Betriebsrat
    gewählt worden ist.

    In diesen Betrieben werden generell Beginn und Ende der betrieblichen täglichen Arbeitszeit/Vollarbeitszeit durch Betriebsvereinbarung festgelegt. Diese Betriebsvereinbarung gilt für
    Vollzeitarbeitnehmer normativ und zwingend. Teilzeitarbeitnehmer können davon abweichend geringere Arbeitszeiten mit einem für sie günstigeren Beginn und Ende der Arbeitszeit vereinbaren, soweit nicht in der
    Betriebsvereinbarung auch für Teilzeitmitarbeiter Regelungen vorhanden sind.

    Auch die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage kann durch das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats per
    Betriebsvereinbarung geregelt werden.


3. Arbeitszeit im Arbeitsvertrag


    Soweit keine zwingenden normativen Regelungen vorhanden sind (Arbeitszeitgesetz, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen)
    können die Arbeitsvertragsparteien festlegen, bis zu welcher Höchstdauer der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet sein soll. Sie können darüber hinaus festlegen, wann täglich Beginn und Ende der
    Arbeitszeit ist und wie die Arbeit auf die einzelnen Wochentage verteilt wird.

    Achtung: Die zwingenden Regeln des Arbeitszeitgesetzes bezüglich der Höchstarbeitszeit (10 Stunden pro Arbeitstag) und die
    Regelungen einer Betriebsvereinbarung sind aber stets zu beachten! Davon darf nur zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn z.B. eine geringere Arbeitszeit (Teilzeitarbeit) vereinbart wird.


4. Direktionsrecht


    In Arbeitsverträgen kann insbesondere auch das Direktionsrecht des Arbeitgebers geregelt werden, z.B. wegen Überstunden
    oder wegen Zusatzarbeit, flexiblen Arbeitseinsatz oder Ausnahmeregelungen. Das Recht auf Anordnung von Überstunden kann im Arbeitsvertrag auch beschränkt werden oder ein bestimmter Umfang festgelegt werden.

    In dringenden Fällen (Notfällen) ist der Vollzeitarbeitnehmer auch verpflichtet, ohne ausdrückliche arbeitsvertragliche Regelung Überstunden abzuleisten. Dies gilt aber nicht in unbegrenztem Umfange. Für
    Teilzeitarbeitnehmer gilt eine Pflicht zu Überstunden nicht.

    Es ist deshalb falsch, wenn Arbeitgeberin Coco Cianelli oder Arbeitgeber Alfred Hitchcock meinen, daß sie unbegrenzt die Arbeitszeit per
    Direktionsrecht die Arbeitszeit regulieren und ausweiten durften. Sowohl das Arbeitszeitgesetz wie die Europäische Arbeitszeitrichtlinie beschränken die zulässige Höchstarbeitszeit. Auch das in § 106
    Gewerbeordnung geregelte Weisungsrecht/Direktionsrecht des Arbeitgebers ist beschränkt. Danach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nur nach billigem Ermessen näher bestimmen. Er muß die
    berechtigten Interessen des Mitarbeiters in jedem Falle ausreichend berücksichtigen.

    In Vollarbeitsverhältnissen wird sehr oft keine eigene Arbeitszeitregelung getroffen. Dies ist regelmäßig auch nicht
    notwendig, da die betriebliche Arbeitszeit einerseits durch das Arbeitszeitgesetz, andererseits durch tarifvertragliche Bestimmungen oder durch Betriebsvereinbarungen geregelt ist. Soweit im Arbeitsvertrag keine
    eigenen Regelungen getroffen sind, gelten diese allgemeinen Regeln mit der betriebsüblichen Arbeitszeit. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers muß sich in diesem Rahmen bewegen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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