Folge 213

Videoüberwachung I



Der Fall


    Arbeitgeber Sergej Eisenstein ist Film- und Videofan. Er will seinen Betrieb voll mit Kameras ausstatten. Dies diene zum Schutz des Betriebes gegen Diebe,
    Vandalismus und schütze jeden einzelnen Arbeitnehmer vor Missetaten. Bei Übergriffen, Schlägereien, sexueller Belästigung etc. werde stets alles aufgezeichnet. Auch bei erhöhten Arbeitseinsatz,
    überdurchschnittlicher Planerfüllung könne dies, belegt durch Bilder, vom Arbeitgeber besser belohnt werden.

    Der Betriebsratsvorsitzende Ivan ist jedoch dagegen, daß jeder Schritt des Arbeitnehmers und jedes
    Nasengrübeln vom Arbeitgeber aufgezeichnet wird. Er meint, daß eine Videoüberwachung stets nur mit Zustimmung des Betriebsrats eingeführt werden dürfe.



Die Lösung



1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht


    Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter gilt auch im Arbeitsverhältnis. Dieses Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer vor einer
    lückenlosen technischen Überwachung. Der Arbeitnehmer besitzt über das Persönlichkeitsrecht das Recht am eigenen Bild.

    Dieses Recht darf deshalb nur dann eingeschränkt werden, wenn die Überwachung per Video
    zur Wahrnehmung überwiegender, schutzwürdigerer Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.



2. Offene Videoüberwachung


    Die sichtbare Videoüberwachung in Betrieben stellt den Arbeitnehmer unter einen erhöhten Überwachungsdruck. Dieser zusätzliche Überwachungsdruck stellt
    einen erheblichen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.

    Der Arbeitgeber braucht zur Rechtfertigung ein vorrangiges Kontrollinteresse, das ausnahmsweise höher zu bewerten ist, als das
    Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.




    Achtung:


    Es ist deshalb nicht zulässig, daß eine Videoüberwachung alleine zur Vorbeugung ohne ausreichenden Anlaß
    bzw. alleine zur Überprüfung der A

    rbeitsleistung der Arbeitnehmer eingeführt wird.

    Besonders schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers ergeben sich jedoch, wenn er erhebliche
    Straftaten befürchten muß, z.B. Industriespionage, Sabotage oder Diebstähle. Allerdings muß ein konkreter Tatverdacht oder ein konkreter Anlaß vorliegen. Videoüberwachung aus reiner Prophylaxe ist unzulässig.

    Schließlich ist zu verlangen, daß eine Abhilfe der Probleme nicht in anderer Weise, mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden kann.


    Beispiele:

    Zur Gefahrenabwehr und zur Aufzeichnung von möglichen Tätern kann wegen der besonderen Gefährdung an Bankschaltern eine permanente Videoüberwachung erforderlich und gerechtfertigt sein. Ebenso kann wegen der hohen Diebstahlsgefahr und wegen des hohen Warenschwunds eine offene Videoüberwachung auch in Kaufhäusern gerechtfertigt sein.



3. Verdeckte Videoüberwachung


    An eine verdeckte, heimliche Videoüberwachung sind noch höhere Anforderungen zu richten. Zunächst ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer verdeckten
    Überwachung die Tatsache, daß eine sichtbare Videoüberwachung keinen Erfolg verspricht.

    Grundsätzlich muß auch bei der heimlichen Videoüberwachung der Arbeitnehmer zuvor informiert werden. Bei Vidoüberwachung
    in öffentlichen Räumen fordert § 6 b Bundesdatenschutzgesetz, daß die Videoüberwachung

    – zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen oder

    – zur Wahrnehmung des Hausrechts oder

    – zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke

    erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, daß schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

    Darüber hinaus verlangt
    das Gesetz, daß der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich gemacht werden müssen.

    Damit ist die heimliche Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen
    (Kaufhäuser, Bankhallen, Museumsräume, Bahnsteige) weitgehend ausgeschlossen.

    Die Videoüberwachung in öffentlich nicht zugänglichen Betriebsräumen wird dagegen vom Bundesdatenschutzgesetz nicht betroffen.
    Allerdings bewirkt die „Fernwirkung“ dieser gesetzlichen Vorschrift letztendlich auch, daß in normalen Betriebsräumen an eine heimliche Videoüberwachung besonders hohe Anforderungen zu stellen sind.



4. Mitbestimmung


    Videoüberwachung ist nur mittels einer technischen Einrichtung, d.h. einer Kamera mit Videoanlagen und entsprechenden Speichermöglichkeiten möglich. Aus
    diesem Grund hat der Betriebsrat bei der Einführung einer solchen Videoüberwachung stets nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Entscheidend ist nämlich, daß diese Anlage objektiv
    zur Überwachung von Mitarbeitern geeignet sind. Es kommt nicht darauf an, ob die Einführung der Anlage aus der Sicht des Arbeitgebers auch zur Überwachung der Arbeitnehmer dienen soll. Alleine die Möglichkeit
    der Überwachung reicht für die Mitbestimmung aus.

    Ein Mitbestimmungsrecht dürfte sich auch aus § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG ergeben, da die Anlagen neben der Arbeitsleistung auch das sonstige Verhalten des
    Arbeitnehmers überwachen oder überwachen können. Damit ist die Ordnung des Betriebes betroffen, bei deren Regelung der Betriebsrat stets mitzubestimmen hat.



5. Beweisverwertungsverbot


    Beweismittel, die der Arbeitgeber unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter erlangt hat, sind gerichtlich nicht verwertbar. Diese Beweise
    dürfen vom Gericht nicht akzeptiert und nicht zur Entscheidung herangezogen werden.

    Gleiches gilt für mitbestimmungswidrig erlangte Beweise. Soweit der Arbeitgeber durch eine unzulässige Videoüberwachung den
    Nachweis von Vertragsverletzungen oder gar Straftaten der Mitarbeiter erlangt hat, kann er diese Beweise in der Regel vor Gericht nicht verwerten.

    Schon aus diesem Grunde muß Arbeitgeber Eisenstein darauf
    achten, daß er mit seinem Betriebsrat bei Einführung einer Videoüberwachung einer Betriebsvereinbarung abschließt und die Rechte der Arbeitnehmer in ausreichendem Maße beachtet.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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