Der Fall:
Arbeitnehmer Roy Black ist bei dem Musikalienhändler Mick Jagger schon seit Abschluß seiner Lehre beschäftigt. Roy ist nicht in der Gewerkschaft, Mick
nicht im Arbeitgeberverband organisiert.
Trotzdem hat Mick Jagger seit vielen Jahren die Tariflohnerhöhungen ganz oder zumindest z.T. an Roy Black weitergegeben.
Doch im Jahre 2002 erklärte Mick, daß er
die neueste Tariflohnerhöhung aus Kostengründen nicht mitmachen werden. Roy ist empört und klagt auf die Differenz von 60 Euro monatlich ab Juli 2002. Wird er gewinnen?
Die Lösung:
1. Tarifbindung?
Viele Arbeitnehmer glauben, daß der jeweilige Tariflohn automatisch in ihrem Arbeitsverhältnis gilt. Dies ist ein Irrtum. Eine Tarifbindung liegt nur
vor, wenn
– entweder Arbeitnehmer und Arbeitgeber organisiert, d.h. Mitglied in der Gewerkschaft und im Arbeitgeberverband sind oder
– die Geltung der einschlägigen Tarifverträge, wie auch der zukünftigen
Tarifverträge vertraglich vereinbart ist oder
– die entsprechenden Tarifverträge vom Ministerium für allgemeinverbindlich erklärt sind.
Roy und Mick sind nicht organisiert. Eine
Allgemeinverbindlicherklärung der einschlägigen Tarifverträge durch das zuständige Ministerium gibt es seit einigen Jahren nicht mehr.
2. Vertraglicher Anspruch
Ein vertraglicher Anspruch könnte aus einem schriftlichen Arbeitsvertrag folgen. Ein solcher ist aber nicht abgeschlossen worden.
Auch eine mündliche
Vereinbarung wäre möglich und zulässig. Da Mick Jagger die Tariflohnerhöhung stets ganz oder z.T. stillschweigend weitergegeben hat, gibt es keine mündliche Vereinbarung.
Eine konkludente, stillschweigende
Vereinbarung (ohne Worte) kann von Roy Black nicht bewiesen werden.
3. Betriebliche Übung
Roy Black beruft sich auf betriebliche Übung. Was ist das?
Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen. Daraus kann der Arbeitnehmer schließen, daß ihm bestimmte Leistungen oder Vergünstigungen auf Dauer eingeräumt werden sollen.
Damit ist diese betriebliche Übung
ein stillschweigendes Vertragsangebot, das stillschweigend vom Arbeitnehmer angenommen wird. Entscheidend ist, ob der Erklärungsempfänger / Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter
Berücksichtigung aller Begleitumstände entsprechend verstehen mußte und durfte. Es ist andererseits zu prüfen, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen mußte, daß die Leistung nur unter bestimmten Voraussetzungen oder
für einen bestimmten Zeitraum gewährt wird, nicht aber auf Dauer.
4. Deutliche Anhaltspunkte
Bei der Auslegung solcher Handlungen und Dauertatbestände muß die gesamte Handhabung des Vertragsverhältnisses geprüft werden. Eine betriebliche Übung
auf Erhöhung der Vergütung entsprechend der Tarifentwicklung ohne Tarifbindung des Arbeitgebers kann nur im Ausnahmefall angenommen werden, wenn deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers vorliegen.
Diese Anhaltspunkte müssen aufzeigen, daß der Arbeitgeber sich auf Dauer verpflichten wollte, die Tariferhöhung jeweils weiterzugeben.
Dabei reicht ein wiederholtes tatsächliches Verhalten des Arbeitgebers
nicht aus, um in jedem Falle einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Arbeitgebers anzunehmen.
5. Empfängerhorizont
Entscheidend ist der Empfängerhorizont des Arbeitnehmers.
So geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, daß im Falle einer freiwilligen Leistung, z.B.
einer Weihnachtsgratifikation der Arbeitgeber sich binden will, wenn er mehr als 3 Mal hintereinander ohne Vorbehalt und Einschränkung Weihnachtsgratifikation an den Arbeitnehmer stillschweigend gezahlt hat.
Diese Rechtsprechung kann aber nicht verallgemeinert werden. Es muß auf den besonderen Charakter der jeweiligen Leistung abgestellt werden. Gerade bei der Weitergabe von Tariflohnerhöhungen ohne Tarifbindung ist
die Rechtsprechung sehr vorsichtig.
Im vorliegenden Falle hat Mick Jagger schon in der Vergangenheit die Tariflohnerhöhung nicht stets in vollem Umfange weitergegeben. Zeitweise hat er nur einen Teil der
Erhöhung mitgemacht. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, daß der Arbeitgeber sich nicht auf Dauer binden wollte.
Ein anderes Merkmal könnte darin bestehen, daß der Arbeitgeber die tarifliche
Arbeitszeitverkürzung nicht mitgemacht, sondern die betriebsübliche Arbeitszeit bei 40 Stunden belassen hat.
Aus solchen Indizien muß der Arbeitnehmer folgern, daß der Arbeitgeber keinen Bindungswillen dahin
hatte, die Tariflohnerhöhung stets und stets in vollem Umfange weiterzugeben.
6. Fazit
Hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber in der Vergangenheit die Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung erhöht, so begründet dies alleine
keine betriebliche Übung auf Erhöhung der Arbeitsentgelte entsprechend der zukünftigen Tarifentwicklung.
Da Arbeitgeber Mick einerseits schon in der Vergangenheit die Tariflohnerhöhung nicht stets voll
weitergegeben hat und Arbeitnehmer Roy andererseits keine weiteren Fakten zu seinen Gunsten anführen kann, wird er die Klage verlieren.