(Stand 2025)
Bei Bewerbungs- und Vorstellungsgesprächen wird der Arbeitnehmer manchmal “ausgequetscht”. Viele Bewerber stellen sich die Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, ihn “auszuziehen” und nach allem und jedem zu fragen.
In größeren Betrieben werden dem Bewerber sogar schriftliche
Personalfragebögen
vorgelegt. Wer diese Fragen unbefriedigend oder gar nicht beantwortet, bekommt überhaupt keine Chance für ein Vorstellungsgespräch.
Deshalb stellt sich die Frage, ob Neugier des Arbeitgebers begrenzt werden
kann. Außerdem:
Darf der Arbeitnehmer lügen?
Der Fall:
Arbeitgeber Ole Hering verlangt von seinen Bewerbern die Beantwortung vieler Fragen. Um dies zu vereinheitlichen, hat er einen Personalfragebogen erstellt, den jeder Bewerber ausfüllen muss.
Der Betriebsrat wurde bei der Erstellung des Personalfragebogens nicht gefragt. Ole Hering meint, dass der Betriebsrat hierbei nichts zu suchen habe.
Bewerber Max Hinkel fragt sich, ob er tatsächlich alle Fragen beantworten muss. Unter anderem fragt Ole Hering nach einer möglichen Gewerkschaftszugehörigkeit, nach der Parteizugehörigkeit, nach der Religion oder Weltanschauung.
Darüber hinaus will der Arbeitgeber von Max Hinkel sämtliche Arbeitszeugnisse, Schulzeugnisse und andere schriftliche fachliche Qualifikationen sehen.
Ist das rechtens?
Die Lösung:
1. Interessengegensatz
Bei der Beurteilung all dieser Fragen muss berücksichtigt werden, dass zwischen Arbeitgeber und dem Bewerber ein starker Interessengegensatz besteht. Der Arbeitgeber möchte nämlich einen möglichst qualifizierten und motivierten Mitarbeiter einstellen. Deshalb möchte er weitgehende Auskünfte über Eignung, Charakter und die Person des Arbeitnehmers erhalten.
Der Arbeitnehmer andererseits will vermeiden, dass er “durchleuchtet” wird und dem Arbeitgeber zu viel Kenntnisse über sein Privatleben preisgegeben werden.
Aus diesem Grunde muss das Fragerecht des Arbeitgebers wie auch der Personalfragebogen auf die Fragen beschränkt werden, die zur Einstellung und zur Beschäftigung notwendig und zumutbar sind. Die Rechtsprechung hat dem Fragerecht des Arbeitgebers Grenzen gesetzt.
2. Fragerecht des Arbeitgebers
Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass das Fragerecht des Ole Hering sich nur auf Dinge erstreckt, die zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit und der Eignung des Bewerbers sowie für die Ableistung der vertraglich geschuldeten Arbeit von Bedeutung sind.
Das Fragerecht des Ole Hering hängt immer mit der zu besetzenden Position ab. Daraus ergibt sich, daß das Fragerecht des Arbeitgebers bei
höheren oder leitenden Angestellten weiter ist, als bei einem einfachen Angestellten oder Arbeiter.
Je höher die Verantwortung ist, je höher die Belastungen und Anforderungen sind, umso mehr hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an breiter gestreuten Fragen und Antworten.
3. Die Mitbestimmung des Betriebsrats
Der Betriebsrat hat keine Mitbestimmung dann, wenn der Arbeitgeber oder sein Personalchef den Bewerber lediglich nach eigenem Gusto mündlich befragt.
Sofern der Arbeitgeber aber zur Vereinheitlichung oder zur Vereinfachung des Vorganges einen Personalfragebogen einsetzt, bedarf er zwingend der Zustimmung des Betriebsrats. Der Arbeitgeber Ole Hering darf deshalb ohne den Betriebsrat, sofern vorhanden, keine Personalfragebögen bei Bewerbern einsetzen. Macht er es trotzdem, so begeht der Arbeitgeber einen Rechtsverstoß. Der Betriebsrat kann sich dagegen wehren.
Werden sich Betriebsrat und Arbeitgeber über den Inhalt eines Personalfragebogens oder einzelner Fragen nicht einig, so muss eine Einigungsstelle einberufen werden. Diese entscheidet dann den Streit. Der Spruch der Einigungsstelle ist zwingend.
Beachte:
Der Betriebsrat darf nur die Fragen im Personalfragebogen ablehnen, die unzulässig und rechtswidrig sind. Sofern eine Frage zulässig ist, gibt es kein Widerspruchsrecht. Der Betriebsrat darf nicht die Zweckmäßigkeit einer Frage beurteilen.
4. Darf der Bewerber/Arbeitnehmer lügen?
Ein Bewerber oder Arbeitnehmer ist im Zuge eines Vorstellungsgespräches oder der Einstellung in einer großen Zwickmühle. Fragt der Arbeitgeber korrekt, so muß er alle Fragen beantworten.
Rechtswidrige Fragen müssen nicht beantwortet werden. Weigert sich aber der Bewerber Hinkel, die Frage nach der Parteizugehörigkeit etc., Gewerkschaftszugehörigkeit etc. zu beantworten, so braucht er sich
gleich gar keine Hoffnungen für einen Arbeitsantritt machen. Selbst dann, wenn Max Hinkel schon einen Arbeitsvertrag in der Tasche hat und bestimmte Fragen verweigert, muss er damit rechnen, bald wieder auf der
Straße zu stehen.
Deshalb ist ein Bewerber geneigt, alle Fragen zu beantworten, damit er möglichst den Posten bekommt.
Was geschieht aber, wenn der Bewerber gelogen hat und der Arbeitgeber dies später bemerkt?
Grundsatz:
Der Bewerber/Arbeitnehmer muss nur die Fragen wahrheitsgemäß beantworten, die der Arbeitgeber rechtmäßig, zulässig und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ihm gestellt hat. Insoweit besteht kein Recht zur Lüge.
Ist dagegen die Frage des Arbeitgebers rechtswidrig und unverhältnismäßig, so darf der Arbeitnehmer lügen! Eine solche Lüge schadet nicht. Bei rechtswidrigen Fragen besteht ein Recht zur Lüge!
5. Anfechtungsrecht des Arbeitgebers
Sofern eine zulässige Frage vom Bewerber Max Hinkel gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Personalfragebogen falsch beantwortet wurde, hat der Arbeitgeber das Recht zur
Anfechtung
des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung. In diesem Falle endet das Arbeitsverhältnis sofort, ohne Kündigungsschutz und ohne Kündigungsfrist! Auch ein Schutz durch den Betriebsrat existiert nicht.
Das Anfechtungsrecht besteht, wenn:
– die Frage des Arbeitgebers rechtmäßig und zulässig war und
– der Bewerber gelogen, d.h. vorsätzlich falsch geantwortet hat und
– der Bewerber wusste oder wissen musste, dass die von ihm verschwiegene oder falsch beantwortete Tatsache für den Arbeitgeber von Wichtigkeit war und
– die Lüge oder das Verschweigen für die Einstellung des Arbeitnehmers kausal, d.h. mit ursächlich oder gar entscheidend war.
Es ist also zu prüfen, ob der Arbeitgeber Ole Hering bei richtiger Antwort den Max Hinkel nicht eingestellt hätte.
Das Anfechtungsrecht wirkt lange nach! Es geht nicht nach Wochen oder Monaten der erfolgreichen Zusammenarbeit unter. Eine Anfechtung kann selbst nach Jahren noch erfolgen, wenn dem Arbeitgeber dann die falsche Beantwortung der Frage bekannt wurde.
Achtung: Das Anfechtungsrecht des Ole Hering entfällt, wenn die falsche Beantwortung der Fragen mittlerweile für das Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung ist.
6. Zulässige und rechtswidrige Fragen
Entscheidend ist für den Arbeitnehmer, welche Fragen zulässiger- oder rechtswidrigerweise vom Arbeitgeber gestellt werden. Dies wird in den nächsten Folgen behandelt.