Die Abmahnung gilt – wie schon ausgeführt – heute als Kündigungsvorbereitungsinstrument. Dies ist zu bedauern, da die Abmahnung eigentlich den Arbeitnehmer warnen und ihn auf “den rechten Pfad der Tugend” zurückführen soll.
Gleichwohl ist es müßig, vor der Realität die Augen zu verschließen. Es ist deshalb das Verhältnis von Abmahnung und Kündigung zu prüfen.
Der Fall:
Arbeitgeber August der Starke hat den Stubenheizer Aegidius Wurz schon 3 Mal wegen kalter Stuben im Schloss zu Dresden abgemahnt. Beim 4. Mal hat er die Nase voll und kündigt.
Hofbildhauer Balthasar Permoser hat die schönste Venusfigur, die er jemals geschaffen hat, heimlich an den preußischen König verkauft. Das sieht August der Starke als massiven Vertrauensverstoß an. Er kündigt ohne Abmahnung.
Die Betriebsratsvorsitzende Aurora von Königsmarck tagt für August dem Starken viel zu oft und zu lang mit ihren betriebsrätlichen Hofdamen im Cafe “Zum grünen Gewölbe”. Er will sie wegen exzessiver Betriebsratstätigkeit zunächst abmahnen und dann kündigen. Liegt er richtig?
Die Lösung
1. Abmahnung / Kündigungsverzicht
Mit der Abmahnung warnt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, ein bestimmtes Verhalten zukünftig zu unterlassen. Die Abmahnung beinhaltet in der Regel die Androhung weiterer rechtlicher Schritte oder gar einer Kündigung bei zukünftigem Fehlverhalten.
Diese Androhung wirkt sich formell als ein Verzicht auf die Kündigung für diesen schon abgemahnten Fall aus. Der Arbeitgeber bringt zum Ausdruck, dass er dieses Mal noch nicht kündigen will, aber bei neuem Fehlverhalten in der Zukunft.
Die Abmahnung führt somit im Ergebnis zum Verbrauch des Kündigungsrechtes hinsichtlich der gerügten Vertragsverletzung. Wenn der Arbeitgeber die Betriebsratsvorsitzende Aurora trotzdem kündigt, ist diese Kündigung von Anfang an rechtsunwirksam. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zu dem gerügten Verhalten mittlerweile keine weiteren Fehlverhaltensweisen hinzugetreten sind.
2. Abmahnung als Kündigungsvorbereitung
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei schuldhaften Vertragspflichtverletzungen zunächst abzumahnen. Vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung steht in der Regel eine oder eine bestimmte Anzahl von Abmahnungen.
Da die Abmahnung auch der Kündigungsvorbereitung dient, darf die Abmahnung nicht unbedingt auf die leichte Schulter genommen werden. Es gibt in der Regel allerdings keine bestimmte Anzahl von Abmahnungen, die für eine Kündigung grundsätzlich notwendig wäre. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalles. Es muss berücksichtigt werden, dass die Abmahnung als das mildere Mittel vor einer Kündigung zunächst immer eingesetzt werden soll.
Im Zweifel sollte eine Fehlverhaltensweise lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig abgemahnt werden. Das Risiko, zu wenig Abmahnungen ausgesprochen zu haben, trägt allein der Arbeitgeber. Wenn Aegidius Wurz nach 3 Abmahnungen immer noch nicht heizt, könnte die Kündigung gerechtfertigt sein.
3. Fehlen des Kündigungsschutzes
Bei fehlendem Kündigungsschutz kann der Arbeitgeber kündigen, ohne daß es einer Begründung bedarf. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate bestanden hat oder wenn der Arbeitgeber nicht mehr als 10 Vollzeit-Arbeitnehmer beschäftigt.
Sollte der Arbeitgeber bei einem Arbeitsverhältnis ohne Kündigungsschutz allerdings verhaltensbedingt
kündigen, d.h. mit entsprechenden Vorwürfen, müßte im Zweifel auch hier vorher eine Abmahnung ausgesprochen worden sein. Nach Sinn und Zweck der Abmahnung soll diese dazu führen, dem Arbeitnehmer die Chance zu geben, seine falschen Verhaltensweisen zu verändern und zukünftig sich vertragstreu zu verhalten. Diese Grundsätze gelten auch bei verhaltensbedingten Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes.
Sollte der Arbeitgeber allerdings ohne Angabe von Gründen kündigen, so kann auch keine Abmahnung von ihm verlangt werden.
4. Entbehrlichkeit der Abmahnung
Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung oder gar einer fristlosen Kündigung ist eine Abmahnung nicht stets notwendig. Die Abmahnung ist dann entbehrlich, wenn die Vertragspflichtverletzung so massiv ist, dass der Arbeitnehmer nicht damit rechnen durfte, dass der Arbeitgeber eine solche Vertragspflichtverletzung ohne Kündigung duldet.
In der Regel ist auch bei einer Störung “im Vertrauensbereich” eine Abmahnung nicht oder nicht unbedingt erforderlich. Dies gilt insbesondere im Bereich der strafbaren Handlungen. Ein Arbeitnehmer, der z.B. eine Körperverletzung oder einen Diebstahl im Arbeitsverhältnis begeht, darf nicht damit rechnen, dass er zunächst abgemahnt wird. Diese Grundsätze gelten für alle Fälle, in denen dem Arbeitnehmer bewusst ist oder bewusst sein musste, dass er seinen Arbeitsplatz mit seiner Fehlverhaltensweise auf das Spiel setzt.
Das Verhalten von Permoser ist eine schwere Verfehlung im Arbeitsverhältnis. Er liefert seine schönste Figur, die von ihm in der von August bezahlten Arbeitszeit gefertigt wurde, an dessen Konkurrenten in Preußen aus. Der schmückt sich damit vor aller Welt. Solche Illoyalität darf August mit einer Kündigung auch ohne Abmahnung ahnden.
5. Abmahnung von Betriebsratsmitgliedern
Mitglieder des Betriebsrats können vom Arbeitgeber lediglich wegen einer Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis abgemahnt werden. Die Betriebsratsvorsitzende Aurora darf aber nicht abgemahnt werden, weil sie angeblich oder tatsächlich gegen ihre Amtspflichten als Betriebsrätin verstoßen hat. Hier bleibt nur das Amtsenthebungsverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG. Arbeitgeber August der Starke muss es deshalb dulden, dass Aurora von Königsmarck mit ihren Hofdamen im Betriebsrat zunächst so oft tagt, wie sie es für erforderlich hält und für erforderlich halten durfte. Allerdings darf sie nicht übertreiben, da sonst die Amtsenthebung droht.