Folge 74

Abmahnung – Abgrenzung zu anderen Sanktionen des Arbeitgebers



Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis bei echten oder vermeintlichen Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers ein gestaffeltes Instrumentarium, mit dem er das Arbeitsverhältnis korrigieren kann. Die Abgrenzung fällt manchmal schwer.

Der Fall:

Arbeitgeber August der Starke ist wieder einmal über seinen Hofstaat verärgert. Goldschmied Johann Melchior Dinglinger arbeitet zu langsam. Hofbildhauer Balthasar Permoser fertigt die Barockgestalten zu grob. Seine Mätresse Constanzia von Cosel ist ihm in letzter Zeit zu aufbrausend geworden.

August will reagieren, bei Bildhauer Permoser etwas deftiger, bei
dem langsamen Dinglinger am besten mit einer Konventionalstrafe. Bei der Comtesse Constanzia möchte er aber vorsichtiger sein, da er sie liebt und da Constanzia zur Zeit leicht depressiv ist.

August fragt seinen Personalchef Graf von Flemming, wie er abgestuft reagieren könnte.

Die Lösung

1. Unterschiedliches Instrumentarium

Das Arbeitsrecht kennt eine ganze Reihe von abgestuften Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Falle von Unzufriedenheit mit dem Verhalten oder der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer.

Grundsätzlich verlangt die Rechtsprechung nach dem “ultima-ratio-Prinzip”, dass der Arbeitgeber stets das mildeste Mittel verwendet, das erforderlich ist, um den Rechtsfrieden wieder herzustellen.

Im Vorfeld hat der Arbeitgeber die Möglichkeit der Ermahnung, des Verweises oder der Rüge. Das darf er bei Unzufriedenheit immer. Rechtlich enger gefasst ist die Abmahnung. Im Arbeitsvertrag kann für bestimmte Vertragsverstöße aber auch eine Vertragsstrafe vereinbart sein. Darüber hinaus kann Arbeitgeber August mit dem Betriebsrat eine Betriebsbußenordnung aufstellen. Nützt das alles nichts, so bliebe als letztes Mittel die ordentliche oder als allerletztes Mittel die außerordentliche Kündigung.

2. Ermahnung/Verweis

Kein Arbeitsgericht kann dem Arbeitgeber verbieten, innerhalb des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer zu reden und diesem seine Unzufriedenheit oder seine Beschwerden im angemessenen Rahmen kundzutun. Hier gelten die gleichen Regeln wie in der Ehe oder Familie.

Sofern Arbeitgeber August seinen Arbeitnehmern nur mitteilt, dass er unzufrieden ist und weshalb er unzufrieden ist, ohne weitere rechtlichen
Konsequenzen anzudrohen, ist dies rechtlich weder zu beanstanden, noch zu verhindern. In diesem Falle spricht der Arbeitgeber oft von einer “Ermahnung” oder von einem “Verweis” oder von einer “Rüge” oder von
einer “Verwarnung”.

Egal wie diese Mitteilung des August an seine Arbeitnehmer genannt wird, unterscheidet sich diese Mitteilung von einer Abmahnung im förmlichen Sinne. Der Unterschied besteht darin, daß mit
der Ermahnung etc. zwar ein Pflichtenverstoß des Arbeitnehmers gerügt wird. Der Arbeitgeber unterläßt jedoch die Androhung künftiger rechtlicher oder gar kündigungsrechtlicher Konsequenzen für den Arbeitnehmer.

Dies bedeutet, daß die Ermahnung, der Verweis etc. arbeitsrechtlich mangels Drohung weitaus weniger scharf zu sehen ist, als die Abmahnung. Der Arbeitgeber August kann im Rahmen der ihm zustehenden Meinungsäußerungsfreiheit entscheiden, ob er die Langsamkeit von Dinglinger oder das Unvermögen von Permoser lediglich missbilligt oder ob er förmlich mit Kündigungsandrohung abmahnen will.

Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist bei reinen Unzufriedenheiten und unerheblichen Vertragsverstößen generell nur eine Ermahnung oder Verwarnung angebracht.

Gerade dann, wenn August der Starke seine Mätresse
Constanzia nicht übermäßig strapazieren will, sollte er sie lediglich ermahnen oder rügen.

3. Vertragsstrafe

August will den langsamen Dinglinger mit einer Vertrags- oder Konventionalstrafe zum schnelleren Arbeiten anhalten. Dies ist im Arbeitsverhältnis problematisch.

Eine Vertragsstrafe muss zunächst einmal im Arbeitsvertrag überhaupt vereinbart sein. Haben August und Dinglinder dies nicht getan, entfällt diese Möglichkeit. Sofern eine Vertragsstrafe vereinbart ist, unterliegt sie allerdings den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und im Arbeitsverhältnis zusätzlich den Grundsätzen des billigen Ermessens nach § 315 BGB.

Außerdem ist in § 309 BGB bestimmt, dass in Formularverträgen zwischen Privatparteien die Vereinbarung von Vertragsstrafen sowie die Pauschalierung von Schadenersatzansprüchen unter bestimmten Umständen generell nicht möglich ist, bzw. diese Vereinbarungen unwirksam sind. Arbeitsverträge sind fast immer solche Formularverträge.

Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings geurteilt, dass diese Regelung wegen der Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses nicht für Arbeitsverträge gilt. Wegen der existenziellen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitnehmer soll damit den besonderen Beweislastproblemen für den Arbeitgeber und der daraus erwachsenden Gefahr einer vorschnellen Kündigung durch den Arbeitgeber vorgebeugt werden.

Die Vertragsstrafe kann nur aber nur für echte und schwerwiegende
Vertragsverletzungen vereinbart werden ( z.B. Nichteinhaltung der vertraglichen oder tariflichen Kündigungsfrist durch den Arbeitnehmer ). Außerdem ist die Höhe der Vertragsstrafe immer im Rahmen der Billigkeit festzusetzen. Ist sie zu hoch, können Arbeitsgerichte sie herabsetzen.

4. Betriebsbuße

Für grobe Disziplin- und Vertragsverstöße kann zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat auch eine Betriebsbußenordnung vereinbart werden. Mit dieser Betriebsbußenordnung wird regelmäßig ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen die kollektive betriebliche Ordnung geahndet. Nach der Rechtsprechung muss jedoch in der Betriebsbußenordnung ein entsprechender Strafkatalog aufgestellt sein. Dieser Katalog muss ebenfalls abgestuft sein.

In der Regel beginnt er mit Sanktionen wie einer Rüge, Versetzung, aber auch Gehaltskürzung oder einer echten Geldbuße im Sinne von
Strafe.

5. Abmahnung

Der entscheidende Unterschied zwischen einer Abmahnung und einer Ermahnung besteht darin, daß der Arbeitgeber nicht nur eine bestimmte
Vertragspflichtverletzung rügt. Vielmehr muß August im zweiten Teil den Arbeitnehmern arbeitsrechtliche Schritte bzw. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses androhen. Nach neuester Rechtsprechung ist
grundsätzlich die Androhung kündigungsrechtlicher Schritte (nicht nur arbeitsrechtlicher Schritte) zu empfehlen.

Da die Abmahnung viel weiter in die rechtliche Sphäre der Arbeitnehmer eingreift, als die Ermahnung, ist sie – im Gegensatz zur Ermahnung – gerichtlich anfechtbar.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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