Seit geraumer Zeit haben Rechtsprechung und Gesetzgeber sowie die Europäische Kommission die unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen ihres
                                Geschlechtes im Berufsleben verboten, gleichwohl ist es ein langer Weg, bis sich diese Erkenntnis in der Praxis durchsetzt. Es gibt nach wie vor vielfältige Benachteiligungen von Arbeitnehmern wegen des Geschlechts.
 
 
  
   Der Fall:
  
 
 
  Der Arzt Asklepios sucht per Zeitungsanzeige eine “freundliche Arzthelferin” mit entsprechender Ausbildung und Berufserfahrung. Der listige Odysseus sinnt
                                stets darauf, ohne Arbeit schnelles Geld zu verdienen. Er bewirbt sich bei Asklepios mit wenigen Zeilen um die Stelle als Arzthelferin. Um Arbeit zu sparen, hat er der Bewerbung keinen Lebenslauf und keine weiteren
                                Unterlagen beigefügt. Eine entsprechende Ausbildung besitzt er nicht. Als Asklepios erwartungsgemäß eine Frau und nicht ihn einstellt, klagt er vor dem Arbeitsgericht auf Schadenersatz in Höhe von 3 Monatslöhnen
                                (4.500 Euro) wegen rechtswidriger Geschlechterdiskriminierung. Arzt Asklepios ist fassungslos. Odysseus lacht listig und verweist auf § 611 b BGB.
 
 
  
   Die Lösung
  
 
 
  
   1. Die Gesetzeslage
  
 
 
  Der Gesetzgeber hat in § 611a BGB bestimmt, daß ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei Begründung des Arbeitsverhältnisses, aber auch beim beruflichen
                                Aufstieg etc. nicht wegen seines Geschlechtes benachteiligen darf. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechtes ist nur dann zulässig, sofern ein bestimmtes Geschlecht die “unverzichtbare Voraussetzung”
                                für die bestimmte Tätigkeit ist.
  
  Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer z.B. bei einer Bewerbung Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes vermuten lassen, so muß der Arbeitgeber
                                beweisen, daß die Geschlechterbenachteiligung auf einer solchen unverzichtbaren Voraussetzung oder sachlichen Gründen beruht.
  
  Verstößt der Arbeitgeber gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot, so muß er
                                unter Umständen nach § 611a Abs. 2 BGB dem benachteiligten Arbeitnehmer oder Bewerber einen angemessenen Schadenersatz zahlen. Der wegen seines Geschlechts abgewiesene Bewerber kann allerdings keinen Anspruch auf
                                Begründung eines Arbeitsverhältnisses geltend machen.
 
 
  
   2. Bewerbungsanzeigen
  
 
 
  Wegen dieses Benachteiligungsverbotes hat der Gesetzgeber in § 611b BGB ausdrücklich bestimmt, daß Arbeitsplätze weder öffentlich in der Zeitung etc., noch
                                innerhalb des Betriebes nur für Männer oder nur für Frauen ausgeschrieben werden dürfen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Geschlecht eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist.
  
  In der Praxis
                                ist allerdings festzuhalten: Es gibt nahezu keine Tätigkeit, für die ein bestimmtes Geschlecht unabdingbare Voraussetzung ist (eine der wenigen Ausnahmen z.B. Mannequin für Damenmoden).
  
  Das Geschlecht ist nur
                                dann unverzichtbare Voraussetzung für eine bestimmte Tätigkeit, wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechtes die vertragsgemäße Leistung unmöglich erbringen könnte und dieses Unvermögen auf dem Geschlecht
                                beruht.
 
 
  
   3. Beweislast
  
 
 
  Sofern ein Arbeitgeber bei einer Stellenanzeige, einer betrieblichen Stellenausschreibung oder einer Stellenbesetzung meint, nur männliche oder weibliche
                                Bewerber einstellen zu müssen, muß er im Streitfall die Unverzichtbarkeit des bestimmten Geschlechtes darlegen und beweisen.
  
  Das gilt auch für den Arzt Asklepios, der meint, daß Arzthelferinnen nur weiblich sein
                                können.
  
  Hier irrt Asklepios aber gründlich. Auch wenn bisher Arzthelferinnen traditionell weiblich waren, ist für diesen Beruf das weibliche Geschlecht keine unabdingbare Voraussetzung. Es nicht von vorneherein
                                ausgeschlossen, daß Männer wegen des Geschlechtes diesen Beruf ebenfalls ausüben könnten. Männer können auch freundlich sein.
  
  Deshalb hat Arzt Asklepios mit seiner Stellenanzeige in grober Weise gegen das Gesetz
                                verstoßen. Er hat ohne ausreichenden Grund das männliche Geschlecht diskriminiert.
 
 
  
   4. Schadenersatzpflicht
  
 
 
  Wegen dieser gesetzeswidrigen Geschlechterdiskriminierung bei der Ausschreibung nur für weibliche Bewerber schuldet Asklepios grundsätzlich allen männlichen
                                Bewerbern Schadenersatz. Der benachteiligte Bewerber kann eine angemessene Entschädigung in Geld beanspruchen. Dabei hat die Rechtsprechung Beträge zwischen 1 und 6 zu erwartenden Monatsgehältern angenommen. In der
                                Höhe ist der von Odysseus geforderte Betrag deshalb nicht zu beanstanden.
  
  Allerdings ist die Voraussetzung für den Schadenersatz die subjektive und objektive Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle.
 
 
  
   5. Objektive Eignung
  
 
 
  Der Schutzzweck des § 611a BGB bezieht sich wegen der Entschädigung nur auf den objektiv geeigneten Bewerber, der alleine wegen seines Geschlechtes
                                benachteiligt wird. Objektiv ungeeignete Bewerber können deshalb gar nicht “wegen ihres Geschlechtes” benachteiligt werden.
  
  Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht “jeder” Bewerber, sondern nur der objektiv
                                benachteiligte Bewerber eine Entschädigung beanspruchen können.
  
  Der listige Odysseus war kein objektiv geeigneter Bewerber um die Stelle der Arzthelferin. Ihm fehlte nämlich schon die Berufsausbildung zum
                                Arzthelfer. Außerdem fehlte ihm die von Asklepios gewünschte Berufserfahrung. Seine Schadenersatzforderung scheitert schon an dieser Stelle.
 
 
  
   6. Subjektive Eignung
  
 
 
  Eine Schadenersatzpflicht des Asklepios setzt auch voraus, daß sich der Bewerber tatsächlich ernsthaft um die Stelle der Arzthelferin beworben hat. Strebt
                                der Bewerber von vornherein nur die Zahlung einer Entschädigung an und nicht die Besetzung der Stelle, entfällt der Schadenersatzanspruch. Allerdings muß im Zweifel der Arbeitgeber die mangelnde Ernsthaftigkeit der
                                Bewerbung im gerichtlichen Verfahren darlegen.
  
  Im Falle des listigen Odysseus spricht für die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung die Kurzform und das Fehlen aller Unterlagen, insbesondere das Fehlen eines
                                Lebenslaufes sowie weitere Angaben zur Vorbildung, zur bisherigen Tätigkeit etc. Die “6-Zeilen-Bewerbung” des Odysseus kann objektiv auf die fehlende Ernsthaftigkeit hindeuten.
  
  Odysseus scheitert deshalb mit seinem Schadenersatz auch aus diesem Grunde.
  
  
   Merke:
  
  List und Gier nach fremdem Geld alleine reicht nicht immer aus.