Folge 6

Tritt ins Gesäß durch den Vorgesetzten

(Stand 2025)


Der Fall:

Die Arbeiterin Rosi ist in der Spätschicht im Maschinensaal eingesetzt. Wegen des Geburtstags einer Kollegin wandte sich Rosi für eine geraume Zeit dem Geburtstagskind zu. Sie reihte sich in den Kreis der gratulierenden  und scherzenden Kolleginnen ein.

Nachdem Rosi sich wieder ihrer Maschine zugewandt hatte, bückte sie sich, um die Maschine mit dem Material aus einer dort stehenden Kiste
zu bestücken. Erst in diesem Augenblick stand die Vorarbeiterin Helga hinter ihr.

Helga hatte sich schon über den Auflauf im Maschinensaal geärgert. Sie hatte jedoch kein adäquates Mittel gefunden, um den fröhlichen Kreis ohne Knurren und Murren aufzulösen. Dies hatte nur noch ihren Zorn verstärkt. Als Rosi so gebückt vor ihr stand, trat Helga der Untergebenen zur Beschleunigung der Arbeitsvorgänge mit ihrem Sicherheitsschuh ins Gesäß. Der Sicherheitsschuh trug Stahlkappen.

Noch am selben Tag suchte Rosi wegen starker Schmerzen in den hinteren Gefilden das Unfallkrankenhaus auf. In der chirurgischen Ambulanz
wurde ein Steißbeinbruch festgestellt, der zu einer Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen führte.

Rosi ist empört. Sie will von ihrer strengen Vorgesetzten Helga Schadenersatz und Schmerzensgeld.



Die Lösung:


1. Kein vertraglicher Anspruch

Rosi hat gegen Helga keinen Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch aus dem Arbeitsvertrag. Der Arbeitsvertrag bestand nämlich nur zwischen der Arbeiterin und dem Arbeitgeber, aber
nicht mit der Vorarbeiterin.

Hätte dagegen der Arbeitgeber höchstpersönlich den Tritt ausgeführt, so ergäbe sich bereits ein Schadenersatzanspruch der Arbeiterin Rosi aus schuldhafter Verletzung des Arbeitsvertrages.


2. Gesetzlicher Schadenersatzanspruch

Nach § 823 Abs. 1 sowie Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 223, 224 StGB (Körperverletzung) muß die Vorgesetzte Helga den entstandenen Schaden der Klägerin ersetzen. Helga hat die körperliche Unversehrtheit der Untergebenen massiv verletzt. Sie hat eine Beleidigung und Körperverletzung begangen, ggf. sogar eine gefährliche Körperverletzung.

Wer im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses eine unterstellte Person quält oder roh misshandelt, begeht nach § 225 StGB sogar eine besonders schwerwiegende Körperverletzung (Misshandlung von Schutzbefohlenen). Dazu ist allerdings Vorsatz erforderlich.

Helga hat die Gesundheit der Rosi durch den Tritt ins Gesäß massiv geschädigt. Ein Verschulden liegt vor. Wer einen anderen mit einem Sicherheitsschuh mit Stahlkappen tritt und verletzt, handelt zumindest fahrlässig. Die Verletzungsgefahr ist vorhersehbar. Die Verletzung ist vermeidbar.

An der zumindest fahrlässigen Körperverletzung ändert sich auch dann nichts, wenn Helga den Tritt aus mehr oder weniger “pädagogischen Gründen” ausführte mit der Absicht der Leistungsförderung oder Disziplinierung der schäkernden Arbeiterinnen. Ein Schuldvorwurf kann zwar dann entfallen, wenn das Verhalten des Schädigenden im Rahmen der Sozialadäquanz und des erlaubten Risikos sich bewegt.

Ein Fußtritt in den Hintern einer Arbeitskollegin stellt jedoch generell kein sozialadäquates erlaubtes Verhalten von Vorgesetzten dar. Die Vorarbeiterin hätte die scherzende Schar mit anderen Mitteln an ihren Arbeitsplatz zurückbefördern müssen.

Dies gilt umso mehr, als Rosi im Augenblick des Bückens dem Tritt der
Vorarbeiterin schutzlos ausgeliefert war.


3. Schadenersatzanspruch

Rosi kann von ihrer Vorarbeiterin alle Schäden ersetzt verlangen, die ihr durch die Verletzung entstanden sind. Dazu gehören

– Selbstbeteiligung bei den Arzneimittelkosten,

– die Kosten des notwendigen ärztlichen Attestes,

– Fahrtkosten,

– Kosten für eine Haushaltshilfe etc.

Ob und inwieweit der Arbeitgeber wegen der Entgeltfortzahlung oder die Krankenkasse wegen der Behandlungskosten Schadenersatz von der Vorarbeiterin verlangen können, bleibt vorliegend offen.


4. Schmerzensgeld

Nach § 847 Abs. 1 S. 1 BGB kann Rosi von ihrem Vorgesetzten weiterhin eine billige Entschädigung in Geld verlangen, d.h. also Schmerzensgeld.

Bei der Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes sind insbesondere

– die Dauer und Stärke der Schmerzen,

– die Dauer der stationären Behandlung,

– die Dauer der Bettlägerigkeit zu Hause,

– die durch die Beschwerden erlittene Beeinflussung der Lebensqualität,

– ggf. psychische Belastungen

zu berücksichtigen.

In einem vergleichbaren Fall hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 27.5.1998 – 12 (18) Sa 196/98) ein Schmerzensgeld von 3.000 DM als angemessen erachtet. Eine entsprechende Verurteilung der Vorgesetzten ist in dieser Höhe erfolgt.


5. Haftungsausschluß gem. § 105 SGB VII?

Nach §§ 104, 105 SGB VII ist die Haftung sowohl des Unternehmens wie auch der Arbeitskollegen gegenüber einem im Betrieb Verletzten für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen, wenn die Verletzung im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit herbeigeführt wurde, wenn also ein Betriebsunfall vorliegt.

In diesem Falle haftet die Berufsgenossenschaft für die Verletzungsfolgen. Der Schädiger, d.h. entweder der Arbeitgeber oder der Arbeitskollege müssen für den Körperschaden bei einem Betriebsunfall nur dann aufkommen, wenn Vorsatz vorliegt.

Im vorliegenden Fall verursachte jedoch die Vorarbeiterin Helga den Steißbeinbruch der Rosi nicht “durch eine betriebliche Tätigkeit”.

Betriebliche Tätigkeit ist jede auf den Betrieb bezogene Tätigkeit, und zwar auch dann, wenn die Schädigerin bei der Verrichtung der Arbeit fehlerhaft und leichtfertig verfährt. Damit unterfallen alle Handlungen, die im betrieblichen Interesse ausgeführt werden, der gesetzlichen Haftungsbegrenzung.


Der Tritt in das Gesäß
der Untergebenen oder einer Arbeitskollegin gehört jedoch nicht zu den betrieblichen Tätigkeiten im eigentlichen Sinne


Das gilt auch dann, wenn die Vorgesetzte Helga den Tritt nur deshalb ausführte, um die Arbeiterin Rosi zu einer wünschenswerten Arbeitsleistung anzuhalten. Nach geltendem Arbeitsrecht ist weder eine Vorgesetzte noch der Arbeitgeber berechtigt, durch Handgreiflichkeiten und strafbare Handlungen die Arbeitnehmerin zu disziplinieren oder zur Arbeitsleistung anzuhalten.

Das Haftungsprivileg der §§ 104, 105 SGB VII kommt deshalb nicht der Vorarbeiterin Helga zu Gute. Sie haftet vielmehr auf Schadenersatz und auf Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 DM.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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