Folge 54

Zeugnisformulierung: Verschleiern und Ausweichen

(Stand 2025)

Um unangenehme Tatsachen zu verschweigen oder um falsche Fährten zu legen und dadurch Konflikte mit den ausscheidenden Mitarbeitern zu vermeiden, wird in Zeugnissen immer wieder ausgewichen und Unwichtiges
hervorgehoben. So soll der Anschein von guten Zeugnissen erweckt werden.


Der Fall:

Arbeitgeber König Blaubart entläßt betriebsbedingt den Alt-Arbeitnehmer Gevatter Lustig und die kluge Else. Er ist aber auch schon lange mit ihrer Arbeitsleistung und ihrem Verhalten unzufrieden.

Deshalb möchte er einem zukünftigen Arbeitgeber gewisse Tipps im Zeugnis hinterlassen. Andererseits will er aber nicht vor das Arbeitsgericht gezerrt werden. Deshalb soll der Eindruck eines guten Zeugnisses bei den Mitarbeitern entstehen.

König Blaubart versucht dies dadurch, dass er die Reihenfolge bestimmte Aufzählungen vertauscht und dadurch, dass er Selbstverständlichkeiten anstelle von Wichtigkeiten hervorhebt.


Die Lösung


1. Vertauschte Reihenfolge

Gevatter Lustig war Einkaufsleiter. Er war außerdem zuständig für die Anschaffung der gesamten Technik.

Um Hinweise für seine Unzufriedenheit zu geben, hat Arbeitgeber Blaubart im Zeugnis zunächst das Sozialverhalten von Gevatter Lustig und sein besonderes Engagement bei Betriebsfesten hervorgehoben.

Dann hat er die Tätigkeitsfelder von Gevatter Lustig ausführlich beschrieben und zum Schluss noch 2 Sätze zur Leistung.

Eine solche Vertauschung der normalen Zeugnisreihenfolge muss beim Leser den Verdacht erwecken, dass dahinter ein gezielter Hinweis steckt.

Gevatter Lustig hat Anspruch darauf, dass im Zeugnis zunächst seine Tätigkeit beschrieben wird, dann sein Leistungs- und Führungsverhalten beurteilt wird und schließlich sein Sozialverhalten noch abgehandelt wird. Eine Vertauschung der Komponenten führt zur Abwertung des Zeugnisses.


2. Nennung von Nebenaufgaben vor Hauptaufgaben

Um das Ganze noch deutlicher zu machen, hat Arbeitgeber Blaubart u.a. formuliert:

“Gevatter Lustig war Einkaufsleiter und zuständig für die Technik. So hat er sich besonders verdient gemacht um den Einkauf von Büromaterialien, Papier- und Kantinenbedarf. Außerdem hatte er die Entscheidungen für alle Investitionen im Fahrzeug- und Maschinensektor zu treffen und deren Finanzierung sicherzustellen.”

Diese Aufzählung ist ohne Leidenschaft und scheinbar wertfrei. Allerdings fällt jedem Fachmann auf, dass die wichtigen Investitionsentscheidungen und die Finanzierung hinter einfachen Routinetätigkeiten wie dem Einkauf von Büromaterial rangiert.

Zudem fehlt ein Hinweis auf die Zuständigkeit oder Tätigkeit im Bereich Technik. Das lässt vermuten, dass hier nicht alles zur Zufriedenheit lief.

Die Aufzählung der verschiedenen Tätigkeiten und die richtige Reihenfolge der Wertigkeit alleine kann im Einzelfall aber auch unproblematisch sein.

Eine solche, an sich ordentliche Aufzählung kann jedoch durch einen Schlusssatz entwertet werden, z.B.:

“Mit seinen Leistungen, insbesondere mit seinen Investitionsentscheidungen und seinen Finanzierungsmodellen konnten wir insgesamt zufrieden sein”.

Dieser Schlusssatz entwertet alles vorangegangene. Er besagt, dass Gevatter Lustig bei den wirklich wichtigen Dingen im einzelnen durchaus mangelhafte Leistungen erbracht hat.


3. Hochstilisieren von Unwichtigem

Die beliebteste Form der Verschleierung besteht darin, Unwichtiges hochzustilisieren und über Gebühr zu loben. So entsteht stets der Eindruck eines guten Zeugnisses, das aber bei genauer Betrachtung inhaltsleer
und widersprüchlich ist.

Negativ ist die Aussage für einen Ingenieur / Diplomkaufmann / Juristen:

Er setzte seine Fachkenntnis zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben ein,

sie setzte sich für die Belange der Firma ein.

Es ist wohl klar, dass ein Unternehmen beim Engagement einer hochbezahlten Fachkraft erwarten darf, dass er sein Fachwissen zur Durchführung seiner Aufgaben einsetzt / dass sie sich für die
Belange der Firma einsetzt. Was sollte er/sie denn sonst einsetzen?

Noch gravierender ist diese Formulierung, wenn es sich um höhere Managerpositionen oder um leitende Angestellte handelt.

Auch bei Außendienstmitarbeitern ist es selbstverständlich,
wenn sie sich für die Interessen der Firma einsetzen. Dadurch erwirtschaften sie ihre Provisionen.

Wenn diese Beurteilung nicht weitere heraushebende Attribute enthält, ist sie in jedem Falle negativ zu sehen. Gleiches gilt für folgende Formulierungen bei Managern, Außendienstmitarbeitern, Versicherungsangestellten etc.:

Herauszuheben ist ihr gepflegtes Äußeres / ihr Geschmack beim Aussuchen der Garderobe.

Besonders erfreulich war die Pflege des Dienstwagens und sein guter Erhaltungszustand bei der Rückgabe.

Die Besuchsberichte des Pharmareferenten bei diversen Ärzten waren sehr informativ.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Besuchsberichte informativ sind. Andernfalls müssen sie gar nicht erst angefertigt werden.

Vielsagend ist auch folgende Zeugnisbemerkung beim Personalchef:

Seine klaren Anweisungen an die Abteilungsleiter und Untergebenen waren bemerkenswert.

In seiner Pünktlichkeit war er stets ein Vorbild für alle Mitarbeiter.

Seine Korrespondenz war stets vorbildlich sortiert und zeitnah erledigt worden.

Dies sind für eine Führungsposition alles Selbstverständlichkeiten, die verschleiern, dass die wirklich wichtigen Dinge unerwähnt bleiben. Dass der Personalleiter klare Anweisungen gibt, muss nicht als alleiniges
Tribut hervorgehoben werden, auch wenn es insgesamt natürlich von Wichtigkeit ist.

Ebenso ist es nicht gut gemeint, wenn einem Kapitän “gute Navigationskenntnisse”, einem Diplompädagogen “Einfühlungsvermögen in die sozialen Belange”, einem Ingenieur “technisches
Verständnis” und einem Elektrotechniker “Verständnis für die Zusammenhänge des Energiekreises” attestiert werden. Diese Hinweise könnten aussagen, dass die betreffende Person über das selbstverständliche Basiswissen hinaus nicht allzu viel geboten hat.


4. Achtung

Vorsicht bei allen lobpreisenden Formulierungen nach der Art von Politiker-, Jubiläums- oder Grabreden. Ein übertrieben gutes, lobpreisendes Zeugnis ist für Außenstehende klar. „Finger weg von diesem Bewerber“.

Wer den „besten Mitarbeiter der Firmengeschichte/der Abteilung“ „leider betriebsbedingt“ kündigt, braucht dem Zeugnis nichts mehr hinzu zu fügen.


5. Checkliste

  • Verdeckte Kritik wird von vielen Arbeitnehmern im Zeugnis leichter akzeptiert, als direkte Kritik.
  • Verdeckte Kritik ist aber ebenso schädlich und vom Arbeitnehmer zu analysieren.
  • Kritik kann schon in einer veränderten Reihenfolge der Zeugniskomponenten enthalten sein, z.B. Sozialverhalten vor der Tätigkeitsbeschreibung.
  • Gleiches gilt hier für die Hochstilisierung von Selbstverständlichkeiten oder Banalitäten.
  • Gleiches gilt für die übermäßige Verwendung von schönen, aber inhaltsleeren Formulierungen, wie sie zum Teil in Politikerreden, Jubiläums- und Grabreden zu finden sind.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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