Folge 52

Zeugnisbenotung und Geheimzeichen

Nichts erregt mehr Ärgernis und Streit als die Zeugnisbenotung. In den allermeisten Zeugnisrechtsstreitigkeiten vor den Arbeitsgerichten wird insbesondere die Zeugnisbenotung angegriffen. Daneben aber besteht immer
wieder der Verdacht und die Angst bei Arbeitnehmern, daß das Zeugnis irgendwelche geheimen Zeichen enthalten soll.


Der Fall:

    Meister Pfriem schreibt den ausscheidenden Mitarbeitern Rumpelstilzchen und Rotkäppchen auf deren Wunsch jeweils ein qualifiziertes Zeugnis. Dies tut er nicht gern. In den
    Arbeitsverhältnissen der beiden gab es diverse Probleme.

    Als Rotkäppchen das Zeugnis betrachtet, fällt ihr auf, daß die Unterschrift des Pfriem im ausgehenden “m” mit einem linken Haken endet, wie eine Art
    Unterstreichung. Außerdem ist auf dem Firmenbogen die Telefonnummer unterstrichen. Bei Rumpelstilzchen sind 2 Sätze mit Ausrufezeichen versehen. Auch stehen Unterstreichungen im Text.

    Beiden erscheint dies
    als verdächtige Geheimzeichen. Rumpelstilzchen erhält von Meister Pfriem die Bewertung “insgesamt zu unserer Zufriedenheit”. Bei Rotkäppchen stellt Pfriem fest, daß sie bemüht war, stets zur Freude des
    Arbeitgebers zu arbeiten. Deshalb habe sie “stets zur vollen Zufriedenheit” gearbeitet. Rumpelstilzchen ist mit dieser Benotung überhaupt nicht einverstanden. Rotkäppchen ist hin und hergerissen. Was hat diese
    Benotung zu bedeuten?


Die Lösung:


1. Geheimzeichen

    Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, oder Arbeitnehmer, die im Streit vom Arbeitgeber scheiden, haben immer wieder den Verdacht, daß in ihrem scheinbar positiven Zeugnis
    irgendwelche geheimen Zeichen für neue Arbeitgeber enthalten sind.

    Im Normalfall ist dies sicherlich nicht richtig. Wenn solche Geheimzeichen enthalten wären, würde sie im Zweifel der neue Arbeitgeber als
    Adressat mangels Kenntnisse auch gar nicht verstehen. Gleichwohl aber gibt es gewisse Absonderlichkeiten, auf die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten sollten, deren Beseitigung der Arbeitnehmer verlangen
    kann.

    Dazu gehören z.B.

    Eselsohren

    ,

    Flecke

    und

    Unsauberkeiten

    . Der Arbeitgeber hat ein ordentliches und sauberes Zeugnis zu übergeben. Eselsohren könnten eine Kundgabe der Mißachtung
    enthalten.

    Es wird die Ansicht vertreten, daß ein scheinbarer Ausrutscher bei der Unterschrift nach links die Zugehörigkeit zu einer linksgerichteten Organisation andeuten solle, umgekehrt der Ausrutscher
    nach rechts die Zugehörigkeit zu einer rechtsgerichteten Organisation. Dies scheint mir sehr weit hergeholt zu sein. Der Schlenker nach links bei Rotkäppchen kann vielleicht eher eine Unterstreichung der
    Unterschrift sein, wie es z.B. bei vielen französischen Unterschriften der Fall ist. Dem Arbeitgeber ist kaum vorzuschreiben, wie er seine Unterschrift zu tätigen hat, zumal viele Unterschriften von Arbeitgebern
    und Arbeitnehmern in sich ohnehin problematisch sind.

    Dagegen ist das Unterstreichen der Telefonnummer auf dem Firmenbogen ungewöhnlich und könnte ein Geheimzeichen oder einen Hinweis auf einen zu erwartenden
    Anruf enthalten. Dies ist zu unterlassen.

    Ähnliches gilt für Ausrufungszeichen und Unterstreichungen innerhalb des Textes, wie dies bei Rumpelstilzchen durch Meister Pfriem vorgenommen wurde. Zeugnisse
    sollten einen gewissen sachlichen Charakter enthalten. Ausrufungszeichen sind normalerweise unangebracht. Dies gilt erst recht für Unterstreichungen. Rumpelstilzchen kann die Entfernung verlangen.


2. Bewertungen

    Das Zeugnis muß Bewertungen zur Führung und Leistung enthalten. Kein Arbeitgeber ist an eine bestimmte Bewertungsskala gebunden. Er kann die Bewertung mit eigenen Worten durchführen.
    Dies ist auch generell empfehlenswert, um die abgedroschene “Zufriedensheits-Skala” zu vermeiden.


3. Die “Zufriedenheits-Skala”

    Aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauches und des Verkehrsgebrauches hat sich eine Benotungsskala herauskristallisiert. Diese Benotungsskala ist nirgendwo von der Rechtsprechung oder dem
    Gesetzgeber ausdrücklich sanktioniert worden. Sie hat auch sehr viele Mängel und Unklarheiten. Gleichwohl kommen die Gerichte und Arbeitsvertragsparteien aufgrund der allgemeinen Gebräuchlichkeit nicht völlig
    daran vorbei. Es haben sich folgende Bewertungen als Standard herausentwickelt:

    sehr gut: “stets zu unserer/meiner vollsten Zufriedenheit” oder “stets zu unserer außerordentlichen Zufriedenheit”,

    gut: “stets zu unserer vollen Zufriedenheit”. “Zu unserer vollsten Zufriedenheit” (eventuell auch sehr gut bis gut),

    befriedigend: “zu unserer vollen Zufriedenheit” oder “stets zu unserer vollen Zufriedenheit”,

    ausreichend: “zu unserer Zufriedenheit” oder “stets zu unserer Zufriedenheit”,

    mangelhaft: “insgesamt/weitgehend/im großen und ganzen zu unserer Zufriedenheit” oder “zu unserer Zufriedenheit”,

    ungenügend: “er war bemüht/mit Eifer strebte er danach/es gelang ihm partiell zu unserer Zufriedenheit”.


4. Abweichungen

    Von diesen Standardformulierungen gibt es vielerlei Abweichungen und Variationen. Diese Variationen müssen dann im Einzelfall gewertet werden.

    Die Bewertung von Rumpelstilzchen von Meister Pfriem “insgesamt zu
    unserer Zufriedenheit” ist eine mangelhafte Formulierung. Deshalb ist Rumpelstilzchen verständlicherweise nicht zufrieden.

    Die Bewertung von Rotkäppchen von Meister Pfriem ist in sich widersprüchlich. Zum
    einen ist sie “gut” bewertet mit der Formulierung “stets zu unserer vollen Zufriedenheit”. Andererseits hat Meister Pfriem aber auch die Formulierung “sie war bemüht” verwandt, die eher für eine mangelhafte
    Bewertung spricht. Hier hat Rotkäppchen den Anspruch auf eine klare Formulierung. Meister Pfriem muß entsprechend korrigieren.


5. Checkliste

  • Geheimzeichen sind in Zeugnissen selten und oft unverständlich. Zuviel Mißtrauen ist insoweit nicht angebracht.
  • Das Zeugnis muß sauber sein, ohne Flecken, Eselsohren.
  • Es muß auf Firmenbogen / Praxisbogen geschrieben sein.
  • Zeugnisbewertung: Die “Zufriedenheitsskala” ist allgemein gebräuchlich, aber unzuverlässig. Besser sind andere Benotungen mit mehr Aussagekraft.
  • Die Bewertung / Note muß mit den sonstigen Wertungen im Einklang stehen. Andernfalls liegt ein Bruch vor, der problematisch ist.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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