(Stand 2025)
Nichts erregt mehr Ärgernis und Streit als die Zeugnisbenotung. In den allermeisten Zeugnisrechtsstreitigkeiten vor den Arbeitsgerichten wird insbesondere die Zeugnisbenotung angegriffen.
Daneben aber besteht immer wieder der Verdacht und die Angst bei Arbeitnehmern, dass das Zeugnis irgendwelche geheimen Zeichen oder geheime Arbeitgebercodes enthalten soll.
Der Fall:
Meister Pfriem schreibt den ausscheidenden Mitarbeitern Rumpelstilzchen und Rotkäppchen auf deren Wunsch jeweils ein qualifiziertes Zeugnis. Dies tut er nicht gern. Nicht nur, dass Zeugnis-Schreiben immer eine zähe Last für die Arbeitgeber ist. In den Arbeitsverhältnissen der beiden gab es auch diverse Probleme.
Als Rotkäppchen das Zeugnis betrachtet, fällt ihr auf, dass die Unterschrift des Pfriem im ausgehenden “m” mit einem linken Haken endet, wie eine Art
Unterstreichung. Außerdem ist auf dem Firmenbogen die Telefonnummer unterstrichen. Bei Rumpelstilzchen sind 2 Sätze mit Ausrufezeichen versehen. Auch stehen Unterstreichungen im Text.
Beiden erscheint dies als verdächtige Geheimzeichen. Rumpelstilzchen erhält von Meister Pfriem die Bewertung “insgesamt zu unserer Zufriedenheit”. Bei Rotkäppchen stellt Pfriem fest, dass sie bemüht war, stets zur Freude des Arbeitgebers zu arbeiten. Deshalb habe sie “stets zur vollen Zufriedenheit” gearbeitet. Rumpelstilzchen ist mit dieser Benotung überhaupt nicht einverstanden. Rotkäppchen ist hin und hergerissen. Was hat diese Benotung zu bedeuten?
Die Lösung:
1. Geheimzeichen
Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, oder Arbeitnehmer, die im Streit vom Arbeitgeber scheiden, haben immer wieder den Verdacht, dass in ihrem scheinbar positiven Zeugnis irgendwelche geheimen Zeichen für neue Arbeitgeber enthalten sind.
Im Normalfall ist dies sicherlich nicht richtig. Wenn solche Geheimzeichen enthalten wären, würde sie im Zweifel der neue Arbeitgeber als
Adressat mangels Kenntnisse auch gar nicht verstehen. Dass die Arbeitgeber allgemein sich als eine verschworene Gemeinschaft auf Geheim-Codes im Zeugnis verständigt hätten, ist einfach eine Ausgeburt überschießender Phantasie und entbehrt jeder Grundlage.
Gleichwohl aber gibt es gewisse Absonderlichkeiten, auf die die Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten sollten, deren Beseitigung der Arbeitnehmer verlangen kann.
Dazu gehören z.B.
Eselsohren
Flecken im Papier, Unsauberkeiten,
Zeugnis nicht auf Firmenbogen, sondern neutralem Papier,
Zeugnis gelocht,
diverse Schreibfehler,
Unterschrift nicht im Original, sondern z.B. mit Faksimile-Stempel,
unleserliche Unterschrift,
zerknittertes Papier.
Der Arbeitgeber hat ein ordentliches und sauberes Zeugnis zu übergeben. Eselsohren könnten eine Kundgabe der Missachtung enthalten.
Es wird die Ansicht vertreten, dass ein scheinbarer Ausrutscher bei der Unterschrift nach links die Zugehörigkeit zu einer linksgerichteten Organisation andeuten solle, umgekehrt der Ausrutscher
nach rechts die Zugehörigkeit zu einer rechtsgerichteten Organisation.
Solche Theorien scheinen mir sehr weit hergeholt zu sein. Der Schlenker nach links bei Rotkäppchen kann vielleicht eher eine Unterstreichung der
Unterschrift sein, wie es z.B. bei vielen französischen Unterschriften der Fall ist. Dem Arbeitgeber ist kaum vorzuschreiben, wie er seine Unterschrift zu tätigen hat, zumal viele Unterschriften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in sich ohnehin problematisch sind.
Dagegen ist das Unterstreichen der Telefonnummer auf dem Firmenbogen ungewöhnlich und könnte einen Hinweis auf einen zu erwartenden Anruf enthalten. Dies ist zu unterlassen.
Ähnliches gilt für Ausrufungszeichen und Unterstreichungen innerhalb des Textes, wie dies bei Rumpelstilzchen durch Meister Pfriem vorgenommen wurde.
Zeugnisse sollten einen gewissen sachlichen Charakter enthalten. Ausrufungszeichen als Verstärkung sind normalerweise unangebracht. Dies gilt erst recht für Unterstreichungen. Rumpelstilzchen kann die Entfernung verlangen.
2. Bewertungen
Das Zeugnis muß Bewertungen zur Führung und Leistung enthalten. Kein Arbeitgeber ist an eine bestimmte Bewertungsskala gebunden. Er kann die Bewertung mit eigenen Worten durchführen.
Dies ist auch generell empfehlenswert, um die abgedroschene “Zufriedensheits-Skala” zu vermeiden.
Allerdings muss bei den eigenen Bewertungs-Formulierungen immer vom Empfängerhorizont ausgegangen werden. Wie würde es ein Dritter auffassen, wenn ich formuliere: „Er bemühte sich stets, sein Bestes für die Firma zu geben“? Mehr geht tatsächlich nicht, mehr kann ein Arbeitnehmer nicht geben! Und doch ist für den Empfänger der Erklärung klar, dass diese Formulierung die Katastrophe darstellt.
3. Die “Zufriedenheits-Skala”
Aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauches und des Verkehrsgebrauches hat sich eine Benotungsskala herauskristallisiert. Diese Benotungsskala ist nirgendwo von der Rechtsprechung oder dem Gesetzgeber ausdrücklich sanktioniert worden. Sie hat auch sehr viele Mängel und Unklarheiten.
Gleichwohl kommen die Gerichte und Arbeitsvertragsparteien aufgrund der allgemeinen Gebräuchlichkeit nicht völlig daran vorbei. Es haben sich folgende Bewertungen als Standard herausentwickelt:
Sehr gut: “stets zu unserer/meiner vollsten Zufriedenheit” oder “stets zu unserer außerordentlichen Zufriedenheit”,
Gut: “stets zu unserer vollen Zufriedenheit”. “Zu unserer vollsten Zufriedenheit” (eventuell auch sehr gut bis gut),
Befriedigend: “zu unserer vollen Zufriedenheit” oder “stets zu unserer Zufriedenheit”,
Ausreichend: “zu unserer Zufriedenheit”
Mangelhaft: “insgesamt/weitgehend/im großen und ganzen zu unserer Zufriedenheit”
Ungenügend: “er war bemüht/mit Eifer strebte er danach/es gelang ihm partiell zu unserer Zufriedenheit”.
4. Abweichungen
Von diesen Standardformulierungen gibt es vielerlei Abweichungen und Variationen. Diese Variationen müssen dann im Einzelfall gewertet werden.
Die Bewertung von Rumpelstilzchen von Meister Pfriem “insgesamt zu
unserer Zufriedenheit” ist eine mangelhafte Formulierung. Deshalb ist Rumpelstilzchen verständlicherweise nicht zufrieden.
Die Bewertung von Rotkäppchen von Meister Pfriem ist in sich widersprüchlich. Zum einen ist sie “gut” bewertet mit der Formulierung “stets zu unserer vollen Zufriedenheit”. Andererseits hat Meister Pfriem aber auch die Formulierung “sie war bemüht” verwandt, die eher für eine mangelhafte
Bewertung spricht. Hier hat Rotkäppchen den Anspruch auf eine klare Formulierung. Meister Pfriem muss entsprechend klar stellen oder korrigieren.
5. Checkliste
- Geheimzeichen sind in Zeugnissen selten und oft unverständlich. Zuviel Misstrauen ist insoweit nicht angebracht.
 - Das Zeugnis muss sauber sein, ohne Flecken, Eselsohren.
 - Es muss auf Firmenbogen / Praxisbogen geschrieben sein.
 - Zeugnisbewertung: Die “Zufriedenheitsskala” ist allgemein gebräuchlich, aber unzuverlässig. Besser sind andere Benotungen mit mehr Aussagekraft.
 - Die Bewertung / Note muss mit den sonstigen Wertungen im Einklang stehen. Andernfalls liegt ein Bruch vor, der problematisch ist.