Die Zeugnissprache stellt mittlerweile ein unüberschaubares Verwirrspiel und eine Zumutung für den Zeugnisleser, aber auch für den Zeugnisschreiber und Zeugnisempfänger dar. Mittels verschiedener
Verschlüsselungstechniken verfolgen manche Arbeitgeber das Ziel, sich um einen klaren Zeugnisinhalt zu drücken, oder bestimmte Informationen über Formeln mittelbar weiterzuleiten.
Dabei allerdings können viele
Mißverständnisse und Fehlinterpretationen auftreten. Es ist Vorsicht geboten.
Der Fall:
Frau Holle weiß nicht, wie sie sich genau ausdrücken soll. Der ausscheidende Abteilungsleiter Eisenhans hat einmal gehört, daß ein ausführliches Zeugnis bei progressiven Jungmanagern
negativ gewertet werde und besser ein tabellarisches Zeugnis erstellt werden soll.
Da Frau Holle Negatives vermeiden möchte, stellt sie im Zeugnis heraus, daß Eisenhans als Abteilungsleiter Winterdienst es
besonders trefflich verstand, den Winteranfang mit Schneeflocken zu begleiten. Er habe außerdem auch pünktlich zum Sommerbeginn den Schneefall wieder eingestellt. Insgesamt seien die Kunden am Boden mit seiner
Beschneiung recht zufrieden gewesen. Im außerdienstlichen Bereich sei er besonders vorbildlich gewesen.
Schließlich dankte Frau Holle ihrem Mitarbeiter Eisenhans zum Abschluß des Zeugnisses auf das
Allerherzlichste für seine treuen Dienste.
Abteilungsleiter Eisenhans sind diese Formulierungen suspekt, er fühlt sich nicht wohl. Er möchte gerne eine zackige, klare, schnörkellose Sprache. Kann er Frau
Holle dazu zwingen?
Die Lösung:
1. Zeugniswortlaut
Die Arbeitnehmer haben – entgegen oft vertretener Ansichten im Zeugnisprozeß – keinen Anspruch auf einen bestimmten Zeugniswortlaut. Vielmehr stand der Arbeitgeberin Holle bei der
Abfassung des Zeugnisses ein eigener Beurteilungs- und Sprachspielraum zu. Insbesondere können einzelne Formulierungen der Arbeitgeberin nicht vorgeschrieben werden.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsgericht den Arbeitgeber im Streitfalle zur Aufnahme bestimmter Passagen in einem Zeugnis verurteilt. Dann ist es unumgänglich, daß das
Arbeitsgericht zur ordnungsgemäßen Durchsetzung des klägerischen Anspruches einen bestimmten Wortlaut im Urteilstenor formuliert.
Aus diesem Grunde kann Abteilungsleiter Eisenhans Frau Holle nicht zwingen, “zackige und schörkelfreie Formulierungen” zu verwenden.
2. Tabellarisches Zeugnis?
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungswert, wonach ein wohlausformuliertes Zeugnis oder ein verkürztes, scheinbar fachlicheres tabellarisches Zeugnis im Bewerbungsfalle erfolgreicher
wäre. Es gibt bisher auch kein veröffentlichtes Urteil darüber, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein tabellarisches Zeugnis verlangen könnten.
Will der Arbeitnehmer gleichwohl ein solches Zeugnis in
dieser knappen Form erhalten, so ist dem Arbeitgeber zuzuraten, dem Arbeitnehmerwunsch zu folgen. Er könnte sich damit viel Ärger sparen. Das tabellarische Zeugnis ist letztendlich für den Arbeitgeber einfacher
auszustellen. Es hat für den Arbeitgeber aber den Nachteil, daß es weit weniger Nuancen hergibt, als das ausformulierte Zeugnis.
3. Technik der Verschlüsselns
Die Technik des Verschlüsselns einerseits und die Vereinbarung der verschiedenen widersprüchlichen Zeugnisgrundsätze andererseits (Wahrheit und Wohlwollen sowie Vollständigkeit) führen
zu verschiedenen Techniken, z.B. zum Weglassen oder zum Herausstellen von Selbstverständlichkeiten. Sie können aber auch zu gewissen Einschränkungen und Mehrdeutigkeiten führen, oder zu übertriebenem und damit
unglaubwürdigem Lob. Entscheidend ist der Gesamteindruck des Zeugnisses und der diversen Formulierungen.
4. Die Fallbeispiele
Besonders katastrophal kann sich übertriebenes oder falsches, ironisches Lob auswirken. Wenn Frau Holle auf das Allerherzlichste für die treuen Dienste des “fahnenflüchtigen” Eisenhans
dankt, so ist dies weit überzogen und unglaubwürdig.
Das Weglassen wichtiger Dinge, wie z.B. Diskretion bei der Chefsekretärin oder Zuverlässigkeit bei dem Abteilungsleiter Winterdienst macht verdächtig.
Das Herausstellen von Selbstverständlichkeiten dient der Verschleierung. Wenn Eisenhans bestätigt wird, daß er den Wintereinbruch pünktlich feststellte, wie auch den Sommerbeginn, so ist dies fast schon eine
Realsatire.
Die Formulierung, daß die Erdenbürger mit dem Winterdienst von Eisenhans “insgesamt” zufrieden waren, ist in ihrer Einschränkung und Mehrdeutigkeit verräterisch. Daraus folgt, daß einmal die
Arbeitgeberin Frau Holle nicht zufrieden war. Weiter folgt daraus, daß die Erdenbürger nur eingeschränkt, nämlich “insgesamt” zufrieden waren.
Auch die Betonung, Eisenhans sei außerdienstlich besonders
vorbildlich gewesen, läßt den Schluß zu, daß dies im Dienst nicht immer der Fall war. Dies könnte ein verdeckter Hinweis auf die erfolgten Abmahnungen sein.
5. Gefahr der Falschinterpretation
Kein Zeugnisleser weiß zunächst, ob das ihm vorgelegte Zeugnis verschlüsselt ist, mit normalem Sachverstand formuliert wurde oder besondere Tücken enthält.
Deshalb ist die Gefahr der
Überinterpretation oder Falschinterpretation von Zeugnissen sehr groß. Dies ist der Schwachpunkt des Zeugnisrechtes und der benutzten Mittel bei der Zeugniserstellung.
In vielen Fällen sind Zeugnisse und ihre
Formulierungen durchaus nicht doppeldeutig erstellt und gemeint. Andererseits ist keine Zeugniskomponente stets als wertneutral aufzufassen.
Der Zukunftswunsch “wir wünschen ihm alles Gute, insbesondere auch Erfolg” könnte ehrlich und gut gemeint sein. Es kann darin aber auch der versteckte Hinweis enthalten sein, daß der
Erfolg im Arbeitsverhältnis zu wünschen übrigließ.
Aus diesem Grunde ist jedem Arbeitnehmer und jedem Arbeitgeber zu raten, Zeugnisse zunächst mit Fingerspitzengefühl im Gesamtzusammenhang zu prüfen und festzustellen, ob das Zeugnis
insgesamt als gutes Zeugnis gemeint und gewollt ist, oder ob hier durch Ausweichtechnik und Weglassen von Anfang an ein unvollständiges und damit trotz eines positiven Wortlautes unzureichendes Zeugnis erstellt
worden ist.
Eine Patentlösung oder eine Patentinterpretation gibt es allerdings nicht.
6. Checkliste
- Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf einen bestimmten Zeugniswortlaut.
- Das Formulierungsrecht liegt allein beim Arbeitgeber.
- Tabellarisches Zeugnis ist nicht als generell besser zu empfehlen. Ggfs. Vereinbarungssache.
- Vorsicht vor unfairen Verschlüsselungen.
- Übertriebene Bewertungen sind stets problematisch. Können das Gegenteil meinen.
- Weglassen wichtiger Eigenschaften (ehrlich bei Kassiererin)
- Verschleierung durch Herausstellen von Selbstverständlichkeiten
- Vorsicht bei Einschränkungen (z.B. “insgesamt”, “in erster Linie”)
- Wer war besonders zufrieden? Die Kunden. Die Arbeitgeberin nicht?
- Stets Gefahr der Fehlinterpretation.
- Möglichst sachliche, schnörkellose Formulierungen. Risiko am Geringsten.