Folge 50

Zeugnisgrundsätze und Unterschrift

Über den Inhalt des Zeugnisses und die Zeugnisgrundsätze wird oft trefflich gestritten. Die Arbeitsgerichte werden mittlerweile immer häufiger wegen des Inhalts der Zeugnisse bemüht. Dabei wissen viele Arbeitgeber
noch nicht einmal genau über die elementaren Grundsätze des Zeugnisrechts Bescheid.


Der Fall:

    Nachdem Frau Holle durch ihren Unternehmensberater Dr. Allwissend über ihre Zeugnispflicht aufgeklärt wurde, brütet sie über einem Zeugnisentwurf für den Abteilungsleiter Eisenhans.

    Sie weiß zwar, daß sie eine
    Tätigkeitsbeschreibung und eine Beurteilung von Leistung und Führung vornehmen muß, aber nach welchen Grundsätzen sie vorgehen soll, weiß sie nicht. Sie fragt wieder ihren Unternehmensberater Dr. Allwissend. Auf
    jeden Fall will sie aber die 3 Abmahnungen gegen ihren Abteilungsleiter Eisenhans im Zeugnis aufnehmen, seine erheblichen Krankheitszeiten und seine Kandidatur bei der letzten Betriebsratswahl.

    Am liebsten
    will Frau Holle den ganzen unangenehmen Zeugniskram ihrem Untenehmensberater Dr. Allwissend übertragen. Er soll auch das Zeugnis unterschreiben. Für den Fall, daß er sich weigert, weist sie den Abteilungsleiter
    Einkauf Max Froschkönig an, die Unterschrift für sie zu unternehmen.

    Damit ist aber der scheidende Abteilungsleiter Eisenhans überhaupt nicht einverstanden. Er besteht darauf, daß Frau Holle selbst das
    Zeugnis unterschreibt. Muß sie das?


Die Lösung:


1. Zeugnisgrundsätze

    Das Unbehagen von Frau Holle über den Zeugnisinhalt und die Zeugnisgrundsätze ist verständlich. Weder in den zahlreichen gesetzlichen Vorschriften zum Zeugnisanspruch, noch in den
    Tarifverträgen ist über die Zeugnisgrundsätze etwas greifbares niedergelegt. Gleichwohl braucht Frau Holle nicht zu verzweifeln, denn die Rechtsprechung hat sich mit den Zeugnisgrundsätzen befaßt.

    Die
    Rechtsprechung hat 2 bzw. 4 Zeugnisgrundsätze niedergelegt, an denen sich jeder Arbeitgeber orientieren muß. Es handelt sich dabei um

    den Grundsatz der Wahrheit,

    den Grundsatz des verständigen Wohlwollens,

    den Grundsatz der Vollständigkeit und

    den Grundsatz der individuellen Beurteilung.

    Dabei stehen unbestritten der Grundsatz der Zeugniswahrheit und der wohlwollenden Beurteilung des Arbeitnehmers im Vordergrund.


2. Vollständig und individuelle Beurteilung

    Der Grundsatz der Vollständigkeit ist sehr wichtig. Der neue Arbeitgeber muß sich darauf verlassen können, daß nicht nur einige besonders gute oder unwesentliche Abschnitte der Tätigkeit
    des Arbeitnehmers herausgegriffen sind.

    Da der Grundsatz des Wohlwollens oft durch Weglassen bestimmter Dinge geprägt ist, ist die Einhaltung des Grundsatzes der Vollständigkeit nicht immer einfach. Der
    Grundsatz bedeutet nicht, daß alle Vorkommnisse im Arbeitsverhältnis aufgeführt werden sollten oder dürfen. Das wäre bei einem langen Arbeitsverhältnis gar nicht machbar. Vielmehr bedeutet dieser Grundsatz, daß
    das Gesamtbild des Arbeitnehmers, der Gesamteindruck des Lesers, stimmig sein muß.

    Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt deshalb nicht von Frau Holle, daß sie die Abmahnungen gegen Eisenhans in Zeugnis
    aufzählt, oder gar seine Krankheitszeiten entsprechend und vollständig niederlegt. Soweit sich die Krankheitszeiten im allgemeinen Rahmen halten, haben sie im Zeugnis ohnehin nichts zu suchen.

    Auch die
    Kandidatur des Eisenhans bei der Betriebsratswahl hat trotz dieses Grundsatzes nichts im Zeugnis zu suchen, da die Teilnahme an der Betriebsratswahl weder die Arbeitsleistung, noch die Führung des Arbeitnehmers
    betrifft.

    Der Grundsatz der individuellen Beurteilung dagegen verlangt vom Arbeitgeber, daß er auf den einzelnen Arbeitnehmer und seine Arbeitsleistung eingeht. Es genügt nicht, daß der Arbeitgeber eine ganz
    allgemein gehaltene, austauschbare Zeugnissprache mit entsprechenden Floskeln und allgemeinen Formulierungen pflegt. Der Arbeitnehmer Eisenhans muß aus der Beurteilung erkennbar sein.


3. Wahrheit und Wohlwollen

    Die Grundsätze von Wahrheit und Wohlwollen können im Einzelfall sich durchaus widersprechen. Gleichwohl schließen sie sich nicht aus, sondern begrenzen sich nur gegenseitig. Die
    Arbeitgeberin Holle hat die nicht einfache Aufgabe, diese Pole in einem Zeugnis verträglich zu vereinen. Generell ist dabei jedoch dem Grundsatz der Zeugniswahrheit der Vorrang einzuräumen. Oberster Grundsatz
    ist, daß das Zeugnis nichts Falsches enthalten darf.

    Wahrheit geht vor Wohlwollen!


    Aus der Wahrheitspflicht folgt, daß Frau Holle im Zeugnis für Eisenhans nur Tatsachen aufnehmen darf, nicht aber
    Behauptungen, Annahmen oder Verdächtigungen. Dagegen wird das Zeugnis nicht unwahr, wenn sie einzelne Schwächen und einzelne Fehlverhaltensweisen oder singuläre Vorfälle nicht aufnimmt, z.B. die Abmahnungen.

    Die Kunst des Wohlwollens in Abwägung mit der Wahrheitspflicht besteht manchmal im Weglassen nicht so bedeutsamer Dinge. Dieses Weglassen ist allerdings dann problematisch, wenn die Schwachpunkte von erheblicher
    Bedeutung wären.

    Der Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung heißt nicht, daß nichts ungünstiges gesagt werden dürfte. Hatte der Arbeitnehmer z.B. eine wichtige dienstinterne Prüfung vorzunehmen und nicht
    bestanden, so muß dies ggf. aus Gründen der Wahrheit im Zeugnis aufgenommen werden. Allerdings gilt dies nur dann, wenn dadurch das Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschwert wird, d.h. wenn das
    Nichtbestehen der Prüfung für den neuen Arbeitgeber von Wichtigkeit ist.

    Beispiel:

    Ein Strafverfahren wegen sittlicher Verfehlungen eines Heimerziehers darf im Zeugnis nicht unerwähnt bleiben. Andererseits gehören Angaben über den Gesundheitszustand nur dann in das
    Zeugnis, wenn durch die erheblichen Krankheitszeiten das Arbeitsverhältnis in wichtigen Teilen gestört war oder nicht durchgeführt werden konnte. Dies gilt z.B. dann, wenn bei einer 3jährigen Beschäftigung der
    Arbeitnehmer 2 Jahre lang arbeitsunfähig erkrankt war.

    Die Wahrheitspflicht erfordert die Aufnahme von Tatsachen in das Zeugnis, wenn die Nichtbeachtung einer wichtigen Tatsache zu einer, das Gesamtbild entscheidend prägenden
    Falschdarstellung führen würde.

    Allerdings kann auch das Weglassen einzelner, für eine bestimmte Berufsgruppe unabdingbare Tatsache einen deutlichen Hinweis geben. Dann wäre die Wahrheitspflicht nicht
    tangiert.

    Beispiel:

    Fehlt bei einem Verkäufer oder Kassierer die Charakterisierung der “Ehrlichkeit”, so muß das Weglassen dieser Eigenschaft jedem anderen Arbeitgeber der Branche sofort auffallen. Dieses
    Weglassen ist eine klare Botschaft über vergangene Vorfälle und stellt deshalb gerade kein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht, sondern ein Hinweis auf die Wahrheit dar. Die Unehrlichkeit des Verkäufers muß nicht
    noch einmal gesondert im Zeugnis aufgeführt werden.

    Der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht und gegen die Pflicht zur Vollständigkeit des Zeugnisses kann im Einzelfall zum Schadenersatz des Arbeitgebers führen. Deshalb tut Frau Holle gut
    daran, alle im Arbeitsverhältnis wichtigen Vorfälle im Arbeitszeugnis aufzuführen.

    Letztendlich verlangt die Rechtsprechung von der Arbeitgeberin Frau Holle, daß sie das Zeugnis mit der Würdigung einer
    “wohlwollenden, verständigen Arbeitgeberin” fertigt. Dies zwingt dazu, subjektive Einstellungen und Gefühle möglichst zurückzudrängen, auch wenn jede Beurteilung notwendige subjektive Elemente enthält.

    Aus
    dieser Rechtsprechung folgt, daß die Erstellung des Zeugnisses für die Arbeitgeberin Holle durchaus schwierig sein kann.


4. Unterschriftsbefugnis

    Das Zeugnis muß grundsätzlich vom Arbeitgeber selbst unterschrieben werden. In großen Unternehmen kann auch der dazu bestellte Vertreter des Arbeitgebers, insbesondere der Leiter der
    Personalabteilung, das Zeugnis unterschreiben.

    Das Zeugnis darf aber nicht von einem untergeordneten Abteilungsleiter etc. unterschrieben werden. Das Zeugnis darf außerdem auch nicht von einem außenstehenden
    Dritten, wie z.B. dem Unternehmensberater Dr. Allwissend, einem Steuerberater oder Handlungsbevollmächtigten erstellt und unterschrieben werden.

    Frau Holle darf sich zwar der Hilfe anderer Personen bedienen,
    z.B. des Unternehmensberaters oder eines Vorgesetzten von Eisenhans. Sie muß aber stets selbst die Ausstellerin des Zeugnisses sein und deshalb das Zeugnis persönlich unterschreiben.


5. Checkliste

  • Wichtige Zeugnisgrundsätze:

    a) Wahrheit

    b) Wohlwollen

    c) Vollständigkeit
  • Kaum lösbarer Gegensatz Wohlwollen – Wahrheitspflicht.
  • Wahrheit geht vor Wohlwollen.
  • Wahrheit: Nicht alle Vorfälle des Arbeitslebens. Nur wesentliche Dinge.
  • Wohlwollen: Die Kunst besteht im “Weglassen” von unangenehmen Details.
  • Unterschrift: Arbeitgeber, Geschäftsführer, Personalleiter.
  • Nicht: Kollege, Abteilungsleiter als direkter Vorgesetzter.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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