Folge 42

Problem der Gleichbehandlung

In Betrieben werden Arbeitnehmer bisweilen bei gleicher Arbeit gleichwohl unterschiedlich bezahlt. Dies führt zu entsprechendem Unmut, die benachteiligten Arbeitnehmer berufen sich oft auf Gleichbehandlung. Dabei
wird aber übersehen, daß nicht jeder Fall stets gleich zu behandeln ist.


Der Fall:

    Die Heilige Elisabeth betreibt seit geraumer Zeit zum Mißfallen ihrer Verwandtschaft ein Hospiz mit Altenpflegeheim am Fuß der Wartburg in Eisenach. Da es sehr schwer war, gelernte
    Altenpflegekräfte zu bekommen, zahlte Elisabeth neben dem Tariflohn noch eine Zulage von 100 Euro monatlich, allerdings nur für die gelernten Kräfte, nicht für die Altenpflegehilfskräfte. Seit dem Jahr 2000
    verbesserte sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Thüringen und den anderen Grafschaften und Herzogtümern die Arbeitsmarktsituation bei Altenpflegekräften deutlich. Aufgrund vieler Umschüler war ein
    Überangebot vorhanden.

    Die Heilige Elisabeth beschloß deshalb, ihre Zulage von 100 Euro pro Monat ab dem 30.7.2001 jedenfalls für neu einzustellende Kräfte zu streichen.

    Der wegen Lohnwuchers gegenüber dem
    Kathedralenmaler Bantzer aus den Diensten des Deutschen Ordens entlassene Landkomptur Wittiko hatte ebenfalls auf Altenpflege umgeschult. Auf seine Bewerbung hin stellte ihn Elisabeth von Thüringen in ihrem
    Hospiz in Eisenach am 1.10.2001 ein, allerdings ohne Zulage. Das gefiel Wittiko nicht.

    Als Elisabeth trotz seiner Vorstellungen die Zulage nicht zahlen wollte, wandte sich Altenpfleger Wittiko an das
    Arbeitsgericht des noch amtierenden Großinquisitors Konrad von Marburg mit einer entsprechenden Zahlungsklage. Er berief sich auf Gleichbehandlung. Wer hat recht?


Die Lösung:


1. Gleichbehandlung

    Die Arbeitgeberin Elisabeth berief sich vor dem Arbeitsgericht des Großinquisitors auf die Vertragsfreiheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie übersah dabei allerdings, daß diese
    Vertragsfreiheit durch verschiedene Gesetze und Verfassungsgrundsätze eingeschränkt ist. Eine erhebliche Einschränkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit erfolgt durch den arbeitsrechtlichen
    Gleichbehandlungsgrundsatz, der letztendlich aus Art. 3 Grundgesetz abgeleitet ist.

    Danach gilt: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Allerdings können nur vergleichbare Fälle gleichbehandelt werden. Hier ist
    zu prüfen, ob Altenpfleger Wittiko mit den Altenpflegern zu vergleichen ist, die vor dem 30.7.2001 im Hospital der Heiligen Elisabeth eingestellt wurden.


2. Geschlechterdiskriminierung

    Im Rahmen der Gleichbehandlung muß sowohl nach deutschen Recht wie auch nach europäischem Recht (Art. 119 EWG-Vertrag) beachtet werden, daß insbesondere eine Diskriminierung und
    Schlechterbehandlung wegen des Geschlechtes generell untersagt ist.

    Landkomptur Wittiko beruft sich nämlich darauf, daß im Hospital der Elisabeth ganz überwiegend als Pflegekräfte Frauen beschäftigt sind, die
    alle die Zulage von 100 Euro erhalten, soweit sie eine Ausbildung absolviert haben. Hier sieht Wittiko eine Benachteiligung des Mannes.

    Nach der Rechtsprechung des BAG und des Europäischen Gerichtshofs muß
    immer dann die Frage der Geschlechterdiskriminierung verstärkt geprüft werden, wenn in einem Betrieb eine bestimmte Geschlechtergruppe bei gleicher Arbeit eine höhere Vergütung erhält, als die andere
    Geschlechtergruppe.


    Sofern Arbeitnehmer alleine wegen des Geschlechtes schlechter bezahlt werden, spricht man von einer direkten Diskriminierung. Sofern für die Benachteiligung von Arbeitnehmern
    allgemeine Kriterien angeführt werden, kann es sich um eine sogenannte “mittelbare Diskriminierung” handeln.

    Allerdings ist eine Ungleichbehandlung oder eine Diskriminierung dann zulässig, wenn ausreichende sachliche Gründe dafür vorliegen. Dies nimmt die Heilige Elisabeth für sich in Anspruch.


3. Rechtsgrundlagen

    Bei der Problematik der Gleichbehandlung ist insbesondere immer zu prüfen, auf welcher Rechtsgrundlage die einzelnen Ansprüche beruhen:

    – In kleineren Betrieben kann es echte Individualzusagen geben. Dies
    liegt dann vor, wenn die Patronin mit jedem einzelnen Arbeitnehmer individuelle Arbeitsbedingungen und Löhne ausgehandelt hat. Dann kann unter Umständen jeder Arbeitnehmer etwas anderes verdienen, andere
    Arbeitszeiten besitzen etc. Im Bereich der echten Individualregelungen gibt es keinen Gleichbehandlungsanspruch, da keine Gruppenbildung vorliegt, nach der dann ein anderer Arbeitnehmer schlechter behandelt wird.

    – Die Gleichbehandlungsgrundsätze greifen immer dann, wenn Gruppenbildungen vorliegen. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn kollektive Regelungen gegeben sind, z.B. Tarifverträge oder
    Betriebsvereinbarungen. Dies kann aber auch dann gegeben sein, wenn im Wege der “Gesamtzusage” oder vertraglichen Einheitsregelung bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern nach gleichen Vertrags- und
    Vergütungsgrundsätzen behandelt werden.

    So ist dies im Hospiz der Heiligen Elisabeth der Fall. Sie hat mehrere Gruppen von Arbeitnehmern gebildet, u.a. die Gruppe der ausgebildeten Altenpflegekräfte. Diese
    eine Gruppe bekam die Zulage von 100 Euro pro Monat. Altenpfleger Wittiko gehört auch zu dieser Gruppe und fühlt sich im Rahmen dieser kollektiven Handhabung benachteiligt.


4. Sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung

    Elisabeth von Thüringen führt für die Streichung der Zulage von 100 Euro monatlich an, daß mittlerweile seit dem Jahr 2000 der Mangel von ausgebildeten Altenpflegekräften am Arbeitsmarkt
    beseitigt sei. Deshalb brauche sie mit der Zulage von 100 Euro nicht mehr Arbeitskräfte in ihr Hospital nach Eisenach locken.

    Diese von der Arbeitgeberin Elisabeth angesprochene Zulage ist eine sog.
    “Arbeitsmarktzulage”. Nach ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, daß eine solche Arbeitsmarktzulage einen sachlichen Grund für eine Besserbehandlung oder eine Schlechterstellung sein kann.

    Der Grund für die
    Ungleichbehandlung zwischen den Altkräften und dem neu eingestellten Wittiko besteht in dem vor dem Jahr 2001 vorhandenen Mangel an Pflegepersonal auf dem Arbeitsmarkt einerseits und der Änderung dieser
    Situation ab dem Jahr 2001 andererseits. In der Vergangenheit mußte die Arbeitgeberin Elisabeth einen gewissen Anreiz bieten, damit Arbeitnehmer von der Konkurrenz oder gar von außerhalb in ihr Hospital am Fuß
    der Wartburg wechselten. Mittlerweile aber hat sich der Arbeitsmarkt verändert und der Grund für diesen finanziellen Anreiz ist entfallen.

    Der Wegfall dieser Arbeitsmarktzulage stellt insbesondere keine
    Geschlechterdiskriminierung des neuen Arbeitnehmers Wittiko dar. Zwar ist richtig, daß die starke Gruppe der Altenpflegerinnen die Zulage erhält und die wenigen Altenpfleger nicht. Diese Ungleichbehandlung
    beruht aber nicht auf einer von der Arbeitgeberin Elisabeth gewollten Ungleichbehandlung der Geschlechter, sondern aufgrund der bisherigen Arbeitsmarktsituation.

    Im Ergebnis liegt zwar eine
    Ungleichbehandlungen von Wittiko und seinen Kolleginnen bei gleicher Arbeit vor. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt.


5. Beweislast der Elisabeth

    Vor dem Arbeitsgericht des Inquisitors zu Marburg muß bei einer Klage des Wittiko die Arbeitgeberin Elisabeth die sachlichen Gründe für die Ungleichbehandlung ausreichend substantiiert
    darlegen und sie muß insbesondere den Nachweis führen, daß die Arbeitsmarktsituation für gelernte Altenpflegekräfte bis 2001 für sie entsprechend schwierig war und aufgrund des Nachwuchses sich dieser Mangel
    erledigt hat. Dann wird sie im Prozeß obsiegen.


6. Checkliste

  • Gleichbehandlungsgrundsatz: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn.
  • Voraussetzung der Gleichbehandlung: Gruppenbildung.
  • Schlechterstellung eines Gruppenmitglieds ist möglich, wenn dafür ein “sachlicher Grund” vorhanden ist.
  • Geschlechterdiskriminierung ist generell untersagt.
  • Stichtagsregelungen (z.B. Besser-/Schlechterstellung ab dem 1.1.2002) sind trotz Ungerechtigkeiten zulässig.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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