Folge 39

Kündigung zur Unzeit?

(Stand 2025)

Die Kündigung kann einen Arbeitnehmer sehr hart treffen. Unabhängig von der Frage der allgemeinen sozialen Rechtfertigung ist es besonders hart, wenn die Kündigung mit persönlichen Tiefs oder Katastrophen
zusammentrifft.


Der Fall:

Die 35jährige Florence Nightingale war beim Arzt Charles Dickens als Arzthelferin seit dem 1.1.2024 beschäftigt. Dickens beschäftigte daneben schon 2 Arzthelferinnen seit ca. 20 Jahren. Die Neueinstellung nahm er vor, weil er mit einem Patientenzustrom aufgrund eines neuen medizinischen Gerätes rechnete.

Florence Nightingale verlor ihren Lebensgefährten Oscar Wilde durch Corona nach schwerem Leidenskampf. Er starb im Klinikum am 15.8.2022. Am 20.10.2023 ertrank auch noch ihr jüngstes Kind.

Arbeitgeber Dickens hatte den zukünftigen Arbeitskräftebedarf bei der Einstellung von Florence Nightingale falsch eingeschätzt. Durch die große Konkurrenz blieb der erwartete Aufschwung aus. Die Klägerin war vom Arbeitsanfall her überflüssig.

Aus diesem Grunde kündigte der Arbeitgeber Charles Dickens die
Arzthelferin Florence Nightingale am 28.10.2024 zum 30.11.2024. Florence brach zusammen. Sie hält diese Kündigung für sozial ungerechtfertigt, grausam und unwirksam.


Die Lösung:


1. Betriebsbedingte Kündigung

Arbeitgeber Charles Dickens hat betriebsbedingte Kündigungsgründe. Angesichts des Konkurrenzkampfes und der Sparprogramme der Krankenkassen kann er sich eine überflüssige Arzthelferin
auf längere Zeit nicht leisten. Der Arbeitsplatz der Klägerin war durch die Fehleinschätzung des Arbeitgebers weggefallen bzw. tatsächlich nie vorhanden.


2. Sozialauswahl

Florence Nightingale kann gegen die Sozialauswahl von Dickens nichts einwenden. Von den 3 beschäftigten Arzthelferinnen ist sie am Kürzesten beschäftigt. Die anderen beiden Kolleginnen sind schon über 20 Jahre tätig. Der Arbeitgeber hätte vor dem Arbeitsgericht leicht Probleme, diese langgedienten Arbeitnehmerinnen zu kündigen.


3. Kündigungsschutzgesetz?

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung.

Zwar gilt das Kündigungsschutzgesetz nach § 1 Abs. 1 KSchG dann, wenn ein Arbeitnehmer länger als 6 Monate beschäftigt ist. Diese Voraussetzung erfüllt Florence Nightingale. Darüber hinaus muss sie jedoch nach § 23 Abs. 1 KSchG im Betrieb des Arbeitgebers eine Beschäftigtenzahl von mehr als 10 Vollzeit-Arbeitnehmer vorliegen. Dies war nicht der Fall.


Achtung:

Selbst wenn das Kündigungsschutzgesetz gelten würde, wäre die Kündigung sozial gerechtfertigt. Nach § 1 Abs. 2 KSchG darf der Arbeitgeber Dickens bei Vorliegen ausreichender betrieblicher Gründe das Arbeitsverhältnis kündigen. Auch die Sozialauswahl ist nicht zu beanstanden.


4. Sonderkündigungsschutz?

Neben dem Kündigungsgesetz gibt es andere gesetzliche und tarifliche Sonderkündigungsvorschriften, die bestimmten Arbeitnehmern einen besonderen Kündigungsschutz verschaffen. Dazu gehört
z.B. das Mutterschutzgesetz zugunsten von Schwangeren, das Schwerbehindertengesetz, der besondere Kündigungsschutz in der Elternzeit nach dem Erziehungsurlaubsgesetz, der besondere Kündigungsschutz von Parlamentsmitgliedern nach der jeweiligen Gemeindeordnung oder der Kündigungsschutz der Betriebs- und Personalräte.

Tarifverträge können einen besonderen Kündigungsschutz für langgediente Arbeitnehmer vorsehen, die z.B. nach 15 oder 20 Jahren nicht mehr ordentlich gekündigt werden dürfen.

Darüber hinaus gibt es aber keinen besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer wegen des Todes eines nahen Angehörigen, eines Ehegatten oder Lebensgefährten.

Es ist klar, dass die zur “Unzeit” ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses einen Arbeitnehmer gerade dann besonders belasten kann, wenn er von einem Schicksalsschlag getroffen worden ist. Dies gilt allerdings auch dann, wenn er z.B. massiv erkrankt ist. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die krankheitsbedingten Kündigung ausdrücklich zugelassen.


5. Kündigung zur Unzeit?

Die Kündigung der Florence Nightingale durch Charles Dickens erfolgte sicherlich “zur Unzeit”. Eine solche “Unzeit” der Kündigung alleine führt jedoch regelmäßig nicht zu deren Unwirksamkeit.

Nur in Ausnahmefällen kann eine besonders belastende Kündigung durch den Arbeitgeber treuewidrig und damit rechtsunwirksam sein.

Die Annahme der Treu- bzw. Sittenwidrigkeit einer Kündigung
setzt über den Zeitpunkt der Kündigung weitere Umstände voraus:

Der Arbeitgeber muss z.B. beabsichtigen, den Arbeitnehmer durch die Kündigung zu diesem Zeitpunkt besonders schwer zu treffen und psychisch zu zerstören oder es muss eine andere Bösartigkeit vorliegen, die neben dem Zeitpunkt vom Arbeitgeber mit der Kündigung noch beabsichtigt wird.


6. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom 5.4.2001 (AZR 185 aus 2000) in einem vergleichbaren Fall die Kündigung trotz der Schicksalsschläge für wirksam erklärt. Es hat ausgeführt, dass die Umstände, die Florence Nightingale getroffen haben, nicht ausreichen, um eine besonders treuewidrige oder sittenwidrige Kündigung zu bejahen.

Das Arbeitsverhältnis hat erst kurze Zeit bestanden. Der Arbeitgeber Dickens hatte aus sachlichen Gründen gekündigt. Er hatte nicht beabsichtigt, seine Arzthelferin darüber hinaus in ihrem Persönlichkeitsrecht, ihrer Gesundheit und Psyche zu beeinträchtigen. Der Zeitpunkt der Kündigung war auch nicht willkürlich vom Arbeitgeber gewählt. Es ist ihm vielmehr nicht zuzumuten, wegen der persönlichen Schicksalsschläge der Klägerin die Beschäftigungsdauer noch über Monate hin auszudehnen, ohne Arbeit für sie zu besitzen.


7. Checkliste

  • Gilt das Kündigungsschutzgesetz?

    a) mehr als 10 Vollzeit-Arbeitnehmer?

    b) länger als 6 Monate beschäftigt

 

  • Kündigung zur Unzeit möglich, wenn sachliche Gründe
  • Sonderkündigungsschutz? Prüfen!
  • Kündigung mit dem Ziel der Zerstörung der materiellen / psychischen Existenz des Arbeitnehmers unzulässig
  • Sittenwidrige Kündigung ist nichtig. Nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben
  • Arbeitnehmer trägt für die Behauptung der Sittenwidrigkeit, Schikane etc. die Beweislast. Das schafft Probleme.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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