(Stand 2025)
Viele Ausbilder ärgern sich über die langen Berufsschulzeiten. Wenn dann noch Unterrichtsausfallzeiten, Pausenzeiten und Wegezeiten dazukommen, entsteht oft Streit darüber, ob dadurch die Ausbildungszeit im Betrieb entsprechend verkürzt.
Der Fall:
Der mittlerweile 18jährige Wolferl Amadeus ist bei dem alten Meister Ludwig van Beethoven als Auszubildender für den Berufs des Hymnen- und Symphonieschreibers beschäftigt. Die betriebliche Ausbildungszeit von Wolferl im Orchestergraben des Ludwig van Beethoven beträgt laut Ausbildungsvertrag 36,5 Stunden pro Woche.
Wolferl Amadeus besucht daneben die Berufsschule für Komponisten am
Prater. Wolferl ist der Ansicht, dass die Zeiten des Besuches der Berufsschule einschließlich der Pausenzeiten und der notwendigen Wegezeiten auf die betriebliche Ausbildungszeit von 36,5 Wochenstunden
anzurechnen sei. Dies gelte auch, wenn eine Stunde Unterricht mitten in der Unterrichtszeit ausfällt.
Der fast taube, alte Ludwig van Beethoven dagegen meint, daß Wolferl insgesamt bis zu 48 Wochenstunden beschäftigt werden dürfe, so wie das schon in der guten alten Zeit zur Regentschaft von Maria Theresia der Fall war.
Von diesen 48 Wochenarbeitsstunden dürfe nur die reine Berufsschulzeit ohne Pausen- und Wegezeiten abgezogen werden.
Da Wolferl Amadeus an der Komponisten-Berufsschule in manchen Wochen mit Blockunterricht von 25 Zeitstunden tätig sei, dürfe Altmeister Ludwig van Beethoven ihn darüber hinaus noch weitere 23 Stunden im Betrieb ausbilden. Wolferl hingegen möchte in diesen Wochen nur 11,5 Stunden arbeiten, abzüglich der Wegezeiten zur Berufsschule.
Wer hat Recht?
Die Lösung:
1. Freistellung für Berufsschulunterricht
§ 7 Abs. 1 S. 1 Berufsbildungsgesetz bestimmt, dass der Ausbilder den Auszubildenden für die Zeit der Teilnahme am Berufsschulunterricht und an den Prüfungen freizustellen hat. Dies gilt auch dann, wenn die
Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte durchzuführen ist.
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 Berufsbildungsgesetz muss für diese Zeit des Berufsschulunterrichts und der Prüfungen etc. dem Auszubildenden auch
die Ausbildungsvergütung fortgezahlt werden.
Aus diesen Vorschriften folgt, dass bei Überschneidungen von den Zeiten des Besuchs der Berufsschule einerseits und der betrieblichen Ausbildung andererseits, der Besuch der Berufsschule stets vorgeht. Der Besuch der Berufsschule ersetzt die betriebliche Ausbildung und ist vorrangig.
Kraft Gesetzes ist der Ausbilder Ludwig van Beethoven verpflichtet, den Azubi Wolferl Amadeus von der Ausbildung im Betrieb freizustellen.
Achtung:
Altmeister Ludwig ist der Meinung, dass die ausgefallene Zeit der betrieblichen Ausbildung aber nachgeholt werden müsse. Schließlich muss der Junge doch das Komponieren lernen!
Dies ist nicht richtig. Soweit das Gesetz die Freistellungspflicht des Arbeitgebers anordnet, bedeutet dies zugleich auch, dass eine Nachholung der betrieblichen Ausbildung von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, wenn die betriebliche Ausbildung aufgrund des Berufsschulunterrichts oder ähnlicher Ausbildungen ausfällt.
2. Unterrichtsausfall / Wegezeiten
Entgegen der Ansicht von Altmeister Ludwig van Beethoven umfasst die vom Gesetzgeber gewollte Freistellung von der betrieblichen Ausbildung auch die Zeiträume, in denen der Auszubildende zwar nicht am Berufsschulunterricht direkt teilnimmt, sondern wegen des Schulbesuchs aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, im Ausbildungsbetrieb an der betrieblichen Ausbildung teilzunehmen.
Dies betrifft insbesondere alle die Zeiten, die in unmittelbarem oder untrennbarem Zusammenhang mit dem Berufsschulunterricht stehen. Dazu zählen vor allem die Zeiten des notwendigen Verbleibs an der Berufsschule während der Unterrichtsfreizeit.
Darunter fällt zum einen die unterrichtsfreie Zeit zwischen den Unterrichtsstunden, die vom Stundenplan nicht ausgefüllt ist. Zum anderen fallen darunter aber auch die Schulstunden, die wegen eines unvorhergesehenen Ausfalls des Unterrichts nicht belegt werden.
Weiter fällt darunter auch die notwendige Wegezeit zwischen der Berufsschule und dem Ausbildungsbetrieb. Dies gilt vor allem dann,
wenn der Azubi wegen des späten Schulbeginns zunächst den Ausbildungsbetrieb aufsucht und dann von dort erst in die Berufsschule fährt.
Achtung:
Die Wegezeit zwischen dem Wohnort des Azubis und der Berufsschule fällt nicht darunter, genauso wenig wie die Wegezeit zwischen dem Wohnort und der Ausbildungsstätte unter die Arbeitszeit fällt!
Daraus folgt, dass Altmeister Ludwig falsch liegt, wenn er meint, von der betrieblichen Ausbildungszeit von 36,5 Stunden seien nur die Zeiten abzuziehen, die von echtem Unterricht ausgefüllt werden. Von der betrieblichen Ausbildung gehen auch die Zeiten ab, die unterrichtsbedingt ausfallen bzw. durch das Pendeln zwischen Arbeitsstätte und Schule anfallen. Insofern hat Wolferl recht.
3. Wöchentliche Ausbildungszeit
Nicht richtig ist die Ansicht von Altmeister Ludwig, dass die Schulzeit und die betriebliche Ausbildungszeit zusammen generell 48 Stunden pro Woche betragen dürfen.
Soweit der Berufsschulunterricht während der Arbeits- und Ausbildungszeit stattfindet einschließlich der unterrichtsfreien Zeit und eventueller Wegezeiten, sind diese Zeiten von der beruflichen Ausbildungszeit im Betrieb, d.h. also in der Komponistenwerkstatt, abzuziehen. Wenn Wolferl Amadeus an der Kompositions-Berufsschule einen Blockunterricht von 25 Wochenstunden hat, kann Ludwig van Beethoven nicht verlangen, dass Wolferl darüber hinaus in der Komponistenwerkstatt bzw. im Orchestergraben weiterarbeitet und sich weiter ausbilden lässt.
4. Berufsschule außerhalb der betrieblichen Ausbildungszeit
Achtung:
Es muss allerdings beachtet werden, dass die Summe der Berufsschulzeiten einerseits und die Summe der betrieblichen Ausbildungszeiten andererseits die Gesamtsumme von 36,5 Stunden im Einzelfall überschreiten dürfen. Diese Summe kann größer sein, als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Ausbildungszeit.
Soweit die Ausbildungszeiten im Betrieb und die Ausbildungszeiten an der Berufsschule vom Zeitablauf her deckungsgleich sind, übersteigt die wöchentliche Ausbildungszeit dann einschließlich der wöchentlichen Berufsschulzeit nicht die tarifliche Wochenarbeitszeit von 36,5 Stunden. Dies gilt aber nur, soweit die Berufsschulzeit und die betriebliche Ausbildungszeit von den Zeitpunkten her deckungsgleich sind.
Vorstellbar ist, dass die betriebliche Ausbildungszeit von Wolferl Amadeus oder auch dessen Berufsschulzeit zu unterschiedlichen Tageszeiten stattfinden. Der Komponisten-Berufsschulunterricht könnte z.B. auch an verschiedenen Tagen in den Abendstunden stattfinden, während die Ausbildung im Orchestergraben stets um 16 Uhr beendet ist, oder umgekehrt.
Nach § 7 Berufsbildungsgesetz muss der Ausbilder Ludwig van Beethoven den Wolferl Amadeus für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freistellen, soweit zum selben Zeitpunkt eine betriebliche Ausbildung stattfindet.
Findet die betriebliche Ausbildung im Orchestergraben bei konzertanten Aufführungen am Abend statt, der Berufsschulunterricht aber am Tag, so entfällt die Freistellungspflicht nach § 7 Berufsbildungsgesetz, da
Wolferl Amadeus in diesem Fall ohnehin z.B. am Vormittag keine betriebliche Ausbildung abzuleisten hatte.
Die Frage also, ob betriebliche Ausbildungszeiten einerseits und die Summe der Berufsschulzeiten andererseits pro Kalenderwoche die tarifliche wöchentliche Ausbildungszeit überschreiten können, ist davon abhängig, wie viel Berufsschulzeit und wie viele betriebliche Ausbildungszeiten auf jeweils identische Zeiträume fallen.
5. Fazit
Durch die Freistellungspflicht des Ausbilders Ludwig van Beethoven schrumpft die betriebliche Ausbildungszeit im Orchestergraben und der Komponierstube entsprechend den tatsächlichen Berufsschulzeiten sowie der Unterrichtszeit und der Wegezeiten zwischen Betrieb und Berufsschule zusammen. Der ausbildungseifrige Ludwig muss die Begrenzung eine betriebliche Ausbildungszeit hinnehmen.