Bei schwangerschaftsbedingten Beschwerden kann ein ärztliches Beschäftigungsverbot für die vertraglich geschuldete Tätigkeit ausgesprochen werden. Für bestimmte Tätigkeiten besteht von
vorneherein auch ein gesetzliches Beschäftigungsverbot. Dieses Beschäftigungsverbot ergibt sich aus dem Mutterschutzgesetz.
Der Arbeitgeber muß für den Fall eines Beschäftigungsverbotes die Vergütung der
schwangeren Arbeitnehmerin gleichwohl fortbezahlen, auch wenn er keine Arbeitsleistung erhält. Es stellt sich deshalb dann die Frage, ob der Arbeitgeber ggf. der Arbeitnehmer dann eine andere Tätigkeit zuweisen darf.
Der Fall:
Die Arbeitnehmerin Lukretia Borgia war als studentische Aushilfskraft in dem großherzoglichen Krankenhaus von Firenze (Florenz) tätig. Dort leistete sie Nachtbereitschaftsdienstzeiten in
der Röntgenabteilung. Im Dezember 2000 wurde sie schwanger. Dies teilte Lukretia Borgia dem Chefarzt Lorenzo Medici Ende Februar 2001 mit. Lorenzo Medici schlug der Lukretia ganz allgemein vor, sie könne ihre
Arbeit zukünftig im Tagdienst als Hilfskrankenschwester in einer noch festzulegenden Abteilung verrichten. Diesen Vorschlag aber lehnte Lukretia Borgia mit Rücksicht auf ihr Kunststudium und den Vorlesungen in
den Uffizien ab. Lukretia wollte gleichwohl vom großherzoglichen Krankenhaus in Firenze Mutterschaftsgeld beziehen, ohne eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Ist das rechtens?
Die Lösung:
1. Gesetzliches Beschäftigungsverbot
Die Arbeitnehmerin Lukretia Borgia durfte die von ihr geschuldeten Nachtbereitschaftsdienste als studentische Aushilfskraft in der Röntgenabteilung wegen eines gesetzlichen
Beschäftigungsverbotes nicht erbringen. § 22 Abs. 2 Satz 1 der Röntgenverordnung in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Nr. 1 Mutterschutzgesetz sowie § 8 Mutterschutzgesetz verbieten einen entsprechenden Arbeitseinsatz
von Lukretia.
2. Zumutbare Ersatztätigkeit
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durfte der Arbeitgeber und der Chefarzt Lorenzo Medici der Lukretia aber im Falle eines Beschäftigungsverbotes eine zumutbare
Ersatztätigkeit zuweisen. Wird eine solche Ersatztätigkeit der schwangeren Mitarbeiterin ganz konkret zugewiesen, so kann die Mitarbeiterin genau überprüfen, ob es sich insoweit um eine zumutbare Tätigkeit
handelt. Lehnt die Mitarbeiterin eine solche zumutbare Ersatztätigkeit ab, so verliert sie ihren Anspruch auf Mutterschaftsgeld bzw. bei Bezahlung der Vergütung aus § 11 Abs. 1 Mutterschutzgesetz.
3. Mutterschutzlohn
In ständiger Rechtsprechung nimmt das Bundesarbeitsgericht an, daß ein Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 Mutterschutzgesetz auch dann entsteht, wenn der Arbeitsausfall bei
der Schwangeren “wegen” eines Beschäftigungsverbotes, d.h. in Beachtung und Verfolgung eines solchen Gebots eingetreten ist.
Damit muß das gesetzliche oder ärztliche Beschäftigungsverbot selbst die Ursache
für den Ausfall der Arbeit und des Arbeitsentgelts sein. An dieser Kausalität fehlt es aber, wenn die schwangere Arbeitnehmerin verpflichtet war, eine ihr zugewiesene andere, nicht verbotene Tätigkeit
aufzunehmen und sie die Arbeitsaufnahme insoweit abgelehnt hat.
In einem solchen Fall ist die Weigerung der Arbeitsaufnahme mit der anderen angebotenen Tätigkeit die alleinige Ursache des Arbeits- und
Verdienstausfalles und nicht das Beschäftigungsverbot. Aus § 11 Abs. 1 Mutterschutzgesetz besteht dann kein Zahlungsanspruch der Mitarbeiterin.
4. Billiges Ermessen
Bei der Zuweisung einer Ersatztätigkeit muß Arbeitgeber Lorenzo Medici nach billigem Ermessen entscheiden. In diesem Falle muß eine umfangreiche Interessenabwägung vorgenommen werden.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung muß die Arbeitnehmerin Lukretia Borgia für die bis zum Beginn der Mutterschutzfrist absehbare Zeit auch Tätigkeiten annehmen, zu deren Ausübung sie
arbeitsvertraglich nicht verpflichtet gewesen wäre und zu denen sie im Wege des Direktionsrecht vom Arbeitgeber nicht hätte angewiesen werden können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese zugewiesenen
Tätigkeiten mutterschutzrechtlich erlaubt und unzumutbar sind.
5. Berechtigte persönliche Belange
Die angebotene Ersatzarbeit muß aber auch auf den besonderen Zustand der betroffenen schwangeren Arbeitnehmerin Rücksicht nehmen. Das Gebot der Rücksichtnahme erstreckt sich insbesondere
auch auf die berechtigten persönlichen Belange der Arbeitnehmerin auch außerhalb der unmittelbaren Arbeitsbeziehung. Dies kann im Einzelfall bedeuten, daß im Einzelfall sogar die Zuweisung einer Tätigkeit für
die schwangere Mitarbeiterin zumutbar ist, die normalerweise aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers zulässig wäre.
6. Zuweisung konkreter Tätigkeit
Entscheidend für die Lösung des Problems der Lukretia Borgia ist die Frage, ob die Zuweisung der neuen Tätigkeit so konkret erfolgt ist, daß sie die Zumutbarkeit der neuen
Ersatztätigkeit überprüfen konnte. Es muß auch eine Überprüfung ggf. im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht stattfinden können. Das bedeutet, daß die Zuweisung einer anderen Tätigkeit ganz konkret unter
Benennung der entsprechenden Tätigkeit und Arbeitsverhältnisse zu erfolgen hat.
Im Falle von Lukretia bedeutet dies, daß der Chefarzt Lorenzo Medici die neue Arbeitstätigkeit, den neuen Arbeitsort und
insbesondere die neue Arbeitszeit nicht ausreichend konkret bestimmt und angewiesen hat. Zwar wäre der Mitarbeiterin Lukretia eventuell eine Tätigkeit im Tagdienst zumutbar gewesen, wenn sie gleichwohl ihr
Studium und ihre Vorlesungen in den Uffizien hätte in ausreichendem Maße besuchen können.
Chefarzt Lorenzo Medici hat aber die Arbeitnehmerin Lukretia nicht angewiesen, für die Zeit des Beschäftigungsverbotes
eine bestimmte Tätigkeit mit einem bestimmten Umfang zu einer bestimmten Zeit zu verrichten. Die Zuweisung einer solchen Tätigkeit war selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Arbeitnehmerin Lukretia es von
vorneherein abgelehnt hätte, im Tagdienst zu arbeiten.
Zur Überprüfung der Zumutbarkeit für die Arbeitnehmerin einerseits und das Arbeitsgericht andererseits hätte die genaue Bezeichnung erfolgen müssen.
Vor dem Arbeitsgericht wäre Lukretia Borgia gegenüber dem Chef Lorenzo Medici erfolgreich geblieben. Es besteht deshalb die Pflicht des Krankenhauses, ihr bis zum Beginn der Mutterschutzfristen den
Mutterschutzlohn in Höhe der vertraglich geschuldeten Vergütung fortzuzahlen.
7. Checkliste
- Gesetzliches Beschäftigungsverbot für schwangere Mitarbeiterin?
- z.B. Nachtdienst, schweres Heben, ständiges Stehen, besondere Unfallgefahr, erhebliches Strecken, Beugen, Hocken, Akkordarbeit etc.
- Gibt es Ersatztätigkeiten im Betrieb?
- Ist Ersatztätigkeit zumutbar?
- Interessenabwägung / berechtigte persönliche Belange der Schwangeren
- Unbedingt notwendig: Zuweisung / Angebot einer konkreten, nach Art, Ort und Zeit genau bezeichneten Ersatztätigkeit!