Frage:
Schwerbehinderte Menschen sind in vielfältiger Weise im gesellschaftlichen und betrieblichen Leben benachteiligt. Habe ich als
behinderter oder schwerbehinderter Mensch einen Anspruch darauf, dass ich bevorzugt im Betrieb gefördert werde, dass mein Arbeitsplatz behindertengerecht eingerichtet wird oder dass zumindest technische Arbeitserleichterungen geschaffen werden? Unter Umständen wäre auch ein Anspruch auf Teilzeitarbeit hilfreich, um mir als Schwerbehinderten überhaupt noch eine Teilnahme am Arbeitsleben zu ermöglichen.
Der Fall:
Arbeitgeber George Bernhard Shaw beschäftigt mehrere schwerbehinderte Mitarbeiter. Diese machen nun ihm gegenüber
Ansprüche oder Verbesserungsvorschläge geltend.
Der schwerbehinderte Schlosser Karl May möchte bei innerbetrieblichen Schulungen bevorzugt berücksichtigt werden. Der vormalige Philosoph und nunmehrige Buchhalter Sir Karl Popper dagegen hat
besonderes Interesse an außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen, z.B. Türkischkurse in Antalya oder Schulungen in SAP-Software.
Der schwerbehinderte Kreativdirektor Marcel Duchamp verlangt eine
behindertengerechte Ausstattung seines Arbeitsplatzes, insbesondere einen entsprechend geeigneten Bürostuhl. Der Produktionsarbeiter Ludwig Feuerbach dagegen verlangt technische Hilfen beim Heben und
Transportieren von schweren Gegenständen.
Arbeitgeber George Bernhard Shaw sieht sich überfordert und hält die von ihm verlangten Aufwendungen für völlig überzogen und zumutbar. Er will schließlich Geld verdienen und keine Sozialanstalt betreiben.
Die Lösung:
1. Bevorzugung bei Bildungsmaßnahmen
Der Gesetzgeber hat in § 81 Abs. 4 Ziff. 2 und 3 Sozialgesetzbuch IX eine bevorzugte Berücksichtigung von schwerbehinderten Mitarbeitern bei Bildungsmaßnahmen vorgesehen.
So ist in Ziff. 2 geregelt, dass schwerbehinderte Menschen bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens bevorzugt zu berücksichtigen sind. Insofern hat der Schlosser Karl May einen Anspruch gegen Arbeitgeber Shaw.
In Ziff. 3 ist bestimmt, dass Erleichterungen in zumutbarem Umfang zur
Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung für schwerbehinderte Mitarbeiter zu schaffen sind. Der Buchhalter Sir Karl Popper kann deshalb vom Arbeitgeber Shaw zumindest verlangen, dass er ihn ggf. unbezahlt freistellt, um an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung teilzunehmen. Ob Türkischkurse in Antalya dazu gehören, könnte bei einem Buchhalter jedoch sehr fraglich sein.
2. Behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes
Der Gesetzgeber hat weiter in § 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX bestimmt, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten besitzen, einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte. Dieser Anspruch auf behinderungsgerechte
Arbeitsstätten bezieht sich auch auf die Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, insbesondere unter Berücksichtigung der Unfallgefahr.
Kreativdirektor Marcel Duchamp hat deshalb Recht, wenn er einen behindertengerechten Stuhl vom Arbeitgeber verlangt. Der Arbeitgeber Shaw muss diesen zur Verfügung stellen, soweit es ihm wirtschaftlich zumutbar ist.
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in Ziff. 5 dieser Vorschrift bestimmt, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen besitzen.
Dabei handelt es sich z.B. um mechanische oder technische Hebehilfen, aber auch bei Sehschwäche um entsprechende Sehgeräte, bei Gehörstörungen um entsprechende Hörhilfen etc.
Produktionsarbeiter Ludwig Feuerbach kann deshalb durchaus verlangen, dass ihm im Rahmen des Zumutbarem Hebehilfen zur Verfügung gestellt werden. Dies ist auch im Interesse des Arbeitgebers, der dadurch neue Erkrankungszeiten vermeiden kann.
3. Unterstützung durch BA und Integrationsamt
Bei der Durchführung dieser Maßnahmen zugunsten von schwerbehinderten Mitarbeitern hat der Arbeitgeber Anspruch auf
Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit sowie die Integrationsämter. Insbesondere beim Integrationsamt bestehen gesonderte Fonds, die ausschließlich dazu bestimmt sind, solche Maßnahmen zugunsten von behinderten Mitarbeitern am Arbeitsplatz finanziell zu unterstützen.
4. Wirtschaftliche Zumutbarkeit
Die vom Gesetzgeber normierten Ansprüche der schwerbehinderten Mitarbeiter bestehen jedoch nach § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX
dann nicht, wenn die Erfüllung dieser Ansprüche dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist oder die Erfüllung mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Ein Anspruch besteht auch dann nicht, wenn staatliche
oder berufsgenossenschaftliche Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften dem entgegenstünden.
Arbeitgeber Bernhard Shaw darf deshalb prüfen, ob die von seinen Mitarbeitern verlangten Maßnahmen ihm organisatorisch, technisch und wirtschaftliche möglich und zumutbar sind oder nicht. Lehnt er Maßnahmen aus einem dieser Gründe ab, so muss er die Ablehnung entsprechend begründen. Die Mitarbeiter können dagegen klagen. Es empfiehlt sich deshalb dringend, eine Ablehnung vorweg genau zu prüfen.
Der Arbeitgeber muss dann, wenn ihm die Maßnahme zu teuer oder zu aufwendig erscheint, stets zunächst versuchen, entsprechende Hilfen und Unterstützungen von Seiten der Bundesanstalt für Arbeit oder des zuständigen Integrationsamtes zu bekommen. Im Zweifel wird er damit bei berechtigten Anliegen auch erfolgreich sein. Somit scheidet in diesen Fällen die Ablehnung der Anträge mit der Begründung unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Aufwendung i.d.R. aus.
5. Förderung der Teilzeitarbeit
Der Gesetzgeber hat weiter zugunsten der schwerbehinderten Mitarbeiter in § 81 Abs. 5 SGB IX bestimmt, dass Arbeitgeber die
Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen für Schwerbehinderte zu fördern haben. Sie müssen dabei von dem zuständigen Integrationsamt unterstützt werden.
Nach § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX haben schwerbehinderte
Menschen einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn diese kürzere Arbeitszeit wegen der Art oder der Schwere der Behinderung notwendig ist. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, ob die Einrichtung der
Teilzeitarbeit dem Arbeitgeber technisch und organisatorisch möglich und insgesamt zumutbar ist.
Ein allgemeiner Anspruch aller Arbeitnehmer auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit ergibt sich bereits aus § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz. Der in § 81 Abs. 5 SGB IX geregelte Anspruch der schwerbehinderten Mitarbeiter auf Teilzeitarbeit ist spezieller und mit weniger Ablehnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers versehen. Auch insofern hat der Gesetzgeber in diesem Punkt versucht, die Arbeit von schwerbehinderten Menschen zu fördern.
6. Fazit
Der Gesetzgeber hat einerseits den schwerbehinderten Mitarbeitern verschiedene Möglichkeiten der Förderung zugestanden,
die andere Mitarbeiter nicht besitzen. Dies hat seinen guten Grund darin, dass schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben von vorneherein benachteiligt sind. Diese Benachteiligung folgt nicht nur aus ihrer
Behinderung, sondern daraus, dass schwerbehinderten Mitarbeitern regelmäßig weniger Leistungsfähigkeit zugetraut wird.
Andererseits aber hat der Gesetzgeber bestimmt, dass der Arbeitgeber bei den zu erbringenden Zusatzleistungen von den zuständigen Behörden, insbesondere von der Bundesanstalt für Arbeit und von den zuständigen Integrationsämtern finanziell und auf andere Weise zu unterstützen ist. Hier hat der Arbeitgeber wiederum eine Handhabe, Unterstützung durch die entsprechenden Behörden einzufordern.