Frage:
Gibt es denn eine Möglichkeit, schwerbehinderte Menschen schon im Vorfeld zu schützen, indem ihre Eingliederung in den Arbeitsprozeß und ihr Einsatz im Betrieb vorweg durch die Fachleute des Betriebs geregelt
werden?
Wenn ich in erheblichem Maße krank bin und mit einer krankheitsbedingten Kündigung zu rechnen habe, wäre es sinnvoll, wenn zwischen Arbeitgeber, dem Betriebsrat und mir versucht würde, mir einen
leidensgerechten Arbeitsplatz zu verschaffen und meinen Einsatz entsprechend meiner gesundheitlichen Gegebenheiten durchzuführen. Davon würden sowohl der Arbeitgeber wie der kranke Arbeitnehmer profitieren.
Welche Möglichkeiten dafür gibt es?
Der Fall:
Der Arbeitgeber Dag Hammerskjöld wird durch den alten Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung Henry Ford und durch den Betriebsratsvorsitzenden Ernst Reuter am laufenden Band gedrängt, für die
schwerbehinderten Mitarbeiter im Vorfeld Regelungen zu treffen, insbesondere ihren Arbeitseinsatz zu erleichtern. Der gealterte Henry Ford ist dabei besonders hartnäckig.
Die Mitarbeiterin Emily Brontë ist schon lange in erheblichem Umfange krank. Als ihr der Arbeitgeber Dag Hammerskjöld eine krankheitsbedingte Kündigung wegen der häufigen Fehlzeiten überreichte, bemängelte sie sofort, dass Arbeitgeber Hammerskjöld ihr trotz entsprechender Bemühungen nie entgegen gekommen sei, um ihren Arbeitseinsatz entsprechend ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu regulieren.
Sie hält die krankheitsbedingte Kündigung schon deshalb für unwirksam, weil Hammerskjöld gegenüber allen Bemühungen ihrer Seite „stur wie ein Panzer“ gewesen sein.
Die Lösung:
1. Integrationsvereinbarung
Der Gesetzgeber hat in § 166 Sozialgesetzbuch IX bestimmt, dass der Arbeitgeber mit der Schwerbehindertenvertretung sowie dem Betriebsrat/Personalrat eine verbindliche Inklusionsvereinbarung zu treffen haben. Auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung muss der Arbeitgeber unter Beteiligung des Betriebsrats/Personalrats darüber verhandeln.
Sofern eine Schwerbehindertenvertretung im Betrieb nicht vorhanden ist, besitzt das Antragsrecht auch der Betriebsrat/Personalrat.
Sowohl der Arbeitgeber wie auch die Schwerbehindertenvertretung können das Integrationsamt zu diesen Verhandlungen einladen, damit sich die Fachleute dieser Behörde an den Verhandlungen beteiligen. Soweit eine Vereinbarung zustande kommt, muss diese sowohl dem Integrationsamt wie auch der Agentur für Arbeit bekannt gemacht und übermittelt werden.
2. Freiwillige Vereinbarung?
Nach dem Gesetz hat der Arbeitgeber auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung oder des Betriebsrats die Pflicht, mit diesen Gremien eine Inklusionsvereinbarung zu treffen. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit für den Arbeitgeber zwingend.
Andererseits aber hat der Gesetzgeber keine Sanktionen bei einer Verweigerung vorgesehen. Klar ist, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung zu verhandeln hat. Eine solche Verpflichtung wäre letztendlich auch klageweise durchzusetzen.
Wenn dann aber die Verhandlungen scheitern und eine Vereinbarung nicht zustande kommt, besteht gesetzlich keine Durchsetzungs- oder Einigungsmöglichkeit. Insbesondere hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen, dass bei Scheitern der Verhandlungen die Einigungsstelle anzurufen wäre.
Die im Sozialgesetzbuch IX vorgesehenen Straf- und Bußgeldandrohungen beziehen sich nicht auf die Inklusionsvereinbarung.
Aus diesem Grunde kann trotz der zwingenden Formulierung letztendlich von der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat/Personalrat eine bestimmte Inklusionsvereinbarung nicht erzwungen werden.
3. Rechtscharakter
Soweit eine Inklusionsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretung bzw. dem Betriebsrat/Personalrat abgeschlossen werden, muss davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung handelt. Da der Gesetzgeber den Abschluss einer solchen verbindlichen Regelung vorgeschrieben und auch den Inhalt bestimmt hat, handelt es sich insoweit im Ergebnis letztendlich um eine zusätzliche Norm des Betriebes, also eine Betriebsvereinbarung.
Mangels Durchsetzbarkeit des Abschlusses und mangels Straf- oder Bußgeldvorschriften muss jetzt auch weiterhin davon ausgegangen werden, dass diese Inklusionsvereinbarung nur einer freiwilligen Betriebsvereinbarung gleichgestellt werden kann, die vereinbart werden muss, aber nicht zu erzwingen ist.
Im Ergebnis können sich dann alle schwerbehinderten
Menschen als Anspruchsgrundlage auf diese Inklusionsvereinbarung berufen.
Wegen dieses Rechtscharakters muss davon ausgegangen werden, dass auch die Möglichkeit besteht, Integrationsvereinbarungen von Seiten
des Arbeitgebers oder von Seiten der Vertretungsorgane zu kündigen. Eine solche Kündigungsmöglichkeit ist zwar im Gesetz nicht vorgesehen. Bei Dauerregelungen dieser Art hat der Gesetzgeber jedoch generell die
Möglichkeit vorgesehen, solche Vereinbarungen zu kündigen, sie zu verändern oder den neuen Anforderungen anzupassen.
Betriebsvereinbarungen können nach § 77 Abs. 5 BetrVG mit einer Frist
von 3 Monaten gekündigt werden. Dies muss auch für die Inklusionsvereinbarungen gelten.
Da die Inklusionsvereinbarung letztendlich nicht zu erzwingen ist und deshalb einer freiwilligen Betriebsvereinbarung gleichsteht, ist bei einer Kündigung der Vereinbarung keine Nachwirkung gegeben. Dies bedeutet, dass nach Ablauf der Kündigungsfrist die Inklusionsvereinbarung erloschen wäre und ggf. eine neue Inklusionsvereinbarung abgeschlossen werden muss.
4. Inhalt der Inklusionsvereinbarung
Die Inklusionsvereinbarung enthält nach § 166 Abs. 2 SGB IX Regelungen im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen, insbesondere zur
– Personalplanung,
– Arbeitsplatzgestaltung,
– Gestaltung des Arbeitsumfeldes.
– Arbeitsorganisation,
– Arbeitszeit sowie
– Regelungen über die Durchführung in den Betrieben und Dienststellen.
In den Vereinbarungen können insbesondere auch
Regelungen getroffen werden:
– zur angemessenen Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier oder neuer Stellen,
– zu einer angestrebten Beschäftigungsquote einschließlich eines
angemessenen Anteils schwerbehinderter Frauen,
– zu Teilzeitarbeit,
– zur Ausbildung behinderter Jugendlicher,
– zur Durchführung betrieblicher Präventionen und zur Gesundheitsförderung,
– über die Hinzuziehung eines Werks- oder Betriebsarztes.
5. Mitteilung/Schwerbehindertenversammlung
Nach § 166 Abs. 3 SGB IX muss der Arbeitgeber über alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen den schwerbehinderten Mitarbeitern in eigenen Versammlungen Mitteilung machen.
Daraus folgt, dass das Gesetz den Arbeitgeber verpflichtet, Versammlungen mit schwerbehinderten Mitarbeitern durchzuführen und sie über alle Bemühungen seiner Seite bzw. allen Absprachen und Vereinbarungen mit
der Schwerbehindertenvertretung im Betriebsrat/Personalrat zu berichten.
Eine solche Versammlung ist mindestens 1 Mal im Kalenderjahr abzuhalten, kann aber auch aus aktuellen Anlässen einberufen werden.
Der Bericht des Arbeitgebers kann mündlich vorgetragen werden, aber auch ein schriftlicher Bericht ist möglich.
Der Arbeitgeber kann sich auf dieser Versammlung durch eine dazu berufene kompetente Person vertreten lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn z.B. der Personalleiter die Verhandlungen geführt hat und zu einzelnen Fragen besser antworten kann, als der Arbeitgeber oder die Geschäftsleitung persönlich.