Folge 333

Schutz der behinderten Menschen IV

Frage:

Was mache ich als Arbeitgeber, wenn ich eine Stelle besetze und nicht unbedingt schwerbehinderte Bewerber einstellen will? Wie
kann ich andererseits mich als schwerbehinderter Bewerber dahingehend sichern, dass meine Bewerbung nicht gleich im Papierkorb landet. Kann mich das Engagement der Schwerbehindertenvertretung dabei helfen?

Der Fall:

Arbeitgeber Johannes Calvinus ist gottesfürchtig, aber nur partiell gesetzestreu. Dies führt im Ergebnis dazu, dass er die vom Gesetz vorgesehene Schwerbehindertenquote in seinem Betrieb nicht erfüllt.

Als eine freie Stelle zu besetzen ist, will er Marcel Proust, den gutmütigen Freund seiner missratenen Tochter einstellen, ohne großes
Aufsehen zu erregen. Er schließt deshalb schnell mit ihm einen Arbeitsvertrag ab und schickt die Bewerbungsunterlagen des schwerbehinderten Bewerbers Giorgio de Chirico deutlich später ohne Kommentar an diesen zurück.

Giorgio ist mit dieser Vorgehensweise überhaupt nicht einverstanden. Auch der Vorsitzende der Schwerbehindertenvertretung Marc Chagall protestiert. Er reklamiert, dass sein Arbeitgeber grob gesetzwidrig gehandelt habe.

Die Lösung:

1. Schwerbehinderten-Beschäftigungspflicht

Nach §154 SGB IX müssen private und öffentliche Arbeitgeber, die jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen aufweisen, auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen.

In kleineren Betrieben gibt es Sonderregelungen.
Arbeitgeber zwischen 20 und 40 Arbeitsplätzen müssen im Jahresdurchschnitt pro Monat 1 schwerbehinderten Menschen beschäftigen, Arbeitgeber mit 40 – 60 Arbeitsplätzen müssen durchschnittlich pro Monat 2 schwerbehinderte Menschen beschäftigen.

2. Erörterungspflicht

Arbeitgeber, die die Schwerbehindertenquote des § 154 SGB IX nicht erfüllen, müssen Neueinstellungen oder andere personelle
Maßnahmen wie Beförderungen und Versetzungen mit der Schwerbehindertenvertretung wie auch mit dem Betriebsrat/Personalrat nach § 164 Abs. 1 Satz 7 zunächst erörtern, wenn diese mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden sind. Arbeitgeber Calvinus muss deshalb dem Schwerbehindertenvertreter Chagall die Gründe seiner Entscheidung darlegen und diese mit ihm erörtern. Dasselbe gilt für den Betriebsrat/Personalrat.

Im Zuge dieser Erörterung muss nach § 164 Abs. 1 Satz 8 SGB IX der schwerbehinderte Mensch, der sich beworben hat, zwingend angehört werden. Für diese Anhörung gibt es keine Formvorschriften. Theoretisch könnte sie auch telefonisch erfolgen. In der Praxis empfiehlt sich dies aber nicht.

3. Unterrichtungspflicht

Wenn nach diesen pflichtgemäß vorgenommenen Erörterungen und Beratungen ein Ergebnis gefunden bzw. eine Entscheidung
getroffen ist, so muss diese Entscheidung vom Arbeitgeber Calvinus allen Beteiligten, also sowohl der Schwerbehindertenvertretung, wie auch dem Betriebsrat/Personalrat und dem schwerbehinderten Bewerber
unverzüglich mitgeteilt werden.

Diese Unterrichtungspflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ist generell schriftlich unter Angabe der Entscheidungsgründe vorzunehmen. Diese unverzüglich Mitteilung hat u.a. auch den Sinn, sowohl dem Bewerber wie auch den Gremien die Möglichkeit zu geben, gegen die Entscheidung des Arbeitgebers vorzugehen.

Wenn Arbeitgeber Calvinus einen Vertrag hinter dem Rücken der zu beteiligenden Personen abschließt und diese dann erst später unterrichtet, verstößt er grob gegen die gesetzlichen Verpflichtungen.

Aus diesem Gesetzesverstoß des Arbeitgebers Calvinus folgt nicht ein
Einstellungsanspruch des Bewerbers Giorgio. Allerdings kann Giorgio nach § 15 AGG ggf. vom Arbeitgeber eine Entschädigung oder Schadenersatz verlangen.

4. Vorstellungsgespräch

Bewerber, sowohl schwerbehinderte Bewerber wie auch andere Bewerber haben gegen den Arbeitgeber generell keinen Anspruch
auf Durchführung eines Vorstellungsgespräches. Allerdings hat der Gesetzgeber für den öffentlichen Arbeitgeber in § 165 SGB IX eine solche Verpflichtung festgelegt.

Danach muss der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen, die sich beworben haben oder von der Agentur für Arbeit vorgeschlagen wurden, zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Diese Einladung und das Vorstellungsgespräch ist nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehlt.

Bei dieser Prüfung sind insbesondere die Ausbildungsvoraussetzungen, das Anforderungsprofil, die berufliche Erfahrung des Bewerbers zu berücksichtigen. Es ist nicht zulässig, bei Vorliegen solcher erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten eine fehlende Eignung des Bewerbers mit dessen Behinderung zu begründen.

Wenn ein Bewerber wegen seiner Behinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wird, so folgt im allgemeinen daraus schon die Vermutung einer unzulässigen Diskriminierung.

Nach § 164 Abs. 1 Satz 6 SGB IX i.V.m. § 178 Abs. 2 Satz 4 SGB IX folgt, dass die Schwerbehindertenvertretung einen Anspruch auf Teilnahme am Vorstellungsgespräch mit einem schwerbehinderten Bewerber besitzt. Es ist dort geregelt, dass die Schwerbehindertenvertretung das Recht auf Beteiligung am Verfahren und die Teilnahme an Vorstellungsgesprächen hat. Dies ist neu.

Ob die Schwerbehindertenvertretung/SBV darüber hinaus auch das
Teilnahmerecht an Vorstellungsgesprächen mit nicht schwerbehinderten Bewerbern besitzt, ist streitig. Dafür gibt aber das Gesetz keinen direkten Anhaltspunkt.

Nach Sinn und Zweck des Gesetzes muss m.E. aber der SBV die Teilnahme an allen Vorstellungsgesprächen gewährt werden. Sonst kann sie ihre Aufgabe, den Schutz der schwerbehinderten Bewerber vor Diskriminierung, nicht ausreichend erfüllen. Dazu braucht sie den Vergleich mit den nicht schwerbehinderten Bewerber.

Achtung: Nach der Rechtsprechung und dem
Betriebsverfassungsgesetz hat dagegen der Betriebsrat keinen Anspruch auf Teilnahme an Bewerbungs- und Vorstellungsgesprächen!

Verweigert der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung die Teilnahme, so kann dies gerichtlich durchgesetzt werden, soweit es sich um das Vorstellungsgespräch der schwerbehinderten Bewerber handelt, bzw. soweit schwerbehinderte Bewerber vorhanden sind.

5. Dauerhafte Beschäftigung

Nach § 164 Abs. 3 SGB IX muss der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass in seinen Betrieben wenigstens
die vorgeschriebene Zahl der schwerbehinderten Menschen beschäftigt werden und eine dauerhafte behindertengerechte Beschäftigung stattfindet. § 154 SGB IX verlangt die Besetzung von mindestens 5% der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen.

Sonst muss der Arbeitgeber mit einer Ausgleichsabgabe gemäß § 160 SGB IX rechnen. Diese beläuft sich 2025 auf monatlich 155 € bis 815 €, je nachdem wie hoch die tatsächliche Beschäftigungsquote der schwerbehinderten Menschen im Unternehmen ist.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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