Frage:
Muß ich es mir gefallen lassen, wenn ich mich für eine Arbeitsstelle bewerbe und der Arbeitgeber verweigert die Einstellung
oder Beförderung unter Bezug auf meine Behinderung oder meine körperlichen Beeinträchtigungen?
Wie verhält es sich bei einem Arbeitgeber, der besonders raffiniert ist, andere Gründe benennt. Tatsächlich ist aber meine Behinderung der wirkliche, geheim gehaltene Ablehnungsgrund. Andererseits fragt es sich, ob der Arbeitgeber jeden Bewerber nehmen muß, unabhängig davon, ob er für die Arbeitsstelle körperlich und gesundheitlich geeignet ist.
Der Fall:
Der in Babelsberg residierende Medienzar Herbert Wehner muss einen Film-Orchesterdirigenten und Musikintendanten neu installieren.
Der Bewerber Carl Orff hat bei einer Holzsägeaktion in der Bandsäge eine Hand verloren. Er wird abgelehnt. Er meint, daß lediglich die fehlende Hand ausschlaggebend für die Ablehnung gewesen sei.
Wehner sucht weiter für eine Hamlet-Verfilmung einen blonden, jugendlichen Liebhaber. Der ältere Bewerber Yul Brynner wird abgelehnt. Er glaubt, dass er nur abgelehnt worden sei wegen seiner schwarzen Haare
und seiner Erektionsstörungen bei den Liebesaufnahmen in den letzten Filmen.
Wehner lehnt auch den Sänger Hermann Prey für die neueste Verfilmung einer Hard-Rock-Komödie ab mit der Begründung, dass Prey mehr
ein Wander- und Puszta-Lieder-Interpret sei. Hermann Prey glaubt aber, dass er nur wegen seiner Indisponiertheiten bei den letzten Auftritten abgelehnt worden sei. Außerdem seien Operettenauftritte kein Grund,
ihn zu diskriminieren.
Die Lösung:
1. Benachteiligungsverbote
Der Gesetzgeber hatte in diversen Gesetzeswerken Benachteiligungsverbote wegen Behinderung oder Schwerbehinderung, aber auch wegen anderer Gründe geschaffen, z.B. das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechtes, wegen der Rasse oder wegen der Weltanschauung.
Der Gesetzgeber hat einen erheblichen Teil dieser Schutzvorschriften nunmehr im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zusammen gefasst.
In § 1 AGG ist die Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Identität, aber auch die Benachteiligung wegen einer Behinderung verboten. Mit dem Gesetz „AGG“ will der Gesetzgeber eine Diskriminierung oder Benachteiligung aus diesen Gründen verhindern oder beseitigen.
Beachte: Das AGG verbietet ganz allgemein eine Benachteiligung oder Diskriminierung wegen Behinderung, sofern nicht sachliche Gründe vorhanden sind. Es bedarf zum Schutze des AGG nicht der Anerkennung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50! Auch wenn keine Anerkennung vorliegt oder der Grad der Behinderung geringer ist, sind die behinderten Menschen durch das AGG insbesondere in Arbeitsverhältnissen geschützt.
Weiterhin hält das neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) diverse Benachteiligungsverbote für behinderte, insbesondere aber für
schwerbehinderte Menschen und den gleichgestellten behinderten Menschen.
§ 164 Abs. 2 SGB IX bestimmt ausdrücklich:
Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. In Einzelheiten gelten hierzu die Regeln des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wie auch des SGB IX.
2. Unmittelbare Diskriminierung
Benachteiligungen und Diskriminierungen von behinderten Menschen können zunächst im unmittelbaren, direkten Wege erfolgen.
Eine unmittelbare Benachteiligung eines behinderten Menschen liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn ein Arbeitnehmer wegen einer Behinderung durch den Arbeitgeber, durch Arbeitskollegen oder Kunden etc. eine
weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in vergleichbarer Situation.
3. Mittelbare Diskriminierung
Eine mittelbare Diskriminierung liegt immer dann vor, wenn z.B. der Arbeitgeber oder Vorgesetzte Arbeitskollegen dem Anschein nach Kriterien, Vorschriften und Maßnahmen neutral formulieren oder handhaben und nicht auf eine Behinderung Bezug nehmen. Tatsächlich aber erhält die behinderte Person letztendlich wegen ihrer Behinderung nicht die entsprechende Vergütung, Zuwendung, Beförderung, Einstellung etc. Die Diskriminierung ist hinter scheinbar neutralen Kriterien und Formulierungen versteckt.
4. Sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
Nach § 8 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung z.B. wegen einer Behinderung zulässig, wenn die Nichtbehinderung wegen
der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung darstellt.
Umgekehrt ausgedrückt: Eine Benachteiligung wegen Behinderung kann
dann rechtmäßig sein, wenn der Bewerber die geforderte Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht durchführen kann. Voraussetzung ist jedoch weiter, daß der Zweck und die Anforderungen an die Tätigkeit angemessen
sind.
Beispiel: Wird ein Bewerber wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft von Anfang an für eine freie Stelle nicht in Betracht gezogen, so spricht dies für eine gesetzeswidrige Diskriminierung. Für den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot genügt es, dass die Ablehnung wegen Behinderung zumindest eines von mehreren Motiven darstellt.
Nach § 8 AGG kann jedoch diese Ablehnung gerechtfertigt sein, wenn z.B.
bestimmte körperliche Funktionen wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderungen für eine Tätigkeit sind und der schwerbehinderte Bewerber diese Funktionen nicht besitzt.
Dabei scheiden allerdings nicht spezifisch tätigkeitsbezogene, allgemeine Erwägungen und Anforderungen aus. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der öffentliche Arbeitgeber im Stellen- und Anforderungsprofil nicht Anforderungen aufnehmen darf, die zur Ausübung der Tätigkeit überhaupt nicht erforderlich sind und dadurch ggf. behinderte Bewerber ausschließt. Dieser Grundsatz kann aber auch auf alle privaten Arbeitgeber übertragen werden.
Beispiel: Der Arbeitgeber fordert für eine Techniker-Tätigkeit eine
Universitätsausbildung (Dipl.-Ing. oder Master-Abschluss).
5. Verschulden
Für die Feststellung einer Diskriminierung oder eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber einer Benachteiligungsabsicht hat, oder ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeiner Ansicht und Rechtsprechung genügt es, dass das Benachteiligungsverbot durch den Arbeitgeber in objektiver Weise verletzt wurde. Allerdings ist Voraussetzung, dass der Arbeitgeber die Behinderung oder die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers kannte.
Für einen Entschädigungsanspruch ist es ohne Belang, ob der
schwerbehinderte Bewerber ohne die Benachteiligung auch tatsächlich eingestellt worden wäre. Ist dies nicht der Fall, kann zumindest der eingeschränkte Entschädigungsanspruch nach § 15 Absatz 2 AGG entstehen.