Folge 330

Schutz der behinderten Menschen I

Frage:

Ich bin behindert. Vielleicht bin ich sogar schwerbehindert. Wann liegt aber eine Schwerbehinderung vor? Ich habe gehört, daß behinderte Menschen besonders geschützt werden. Welche Rechte habe ich? Wo steht das?

Der Fall:

Arbeitgeber Herbert Wehner residiert in Babelsberg als Medienzar. Er möchte gerne wissen, welche Arbeitnehmer in seinem Betrieb behindert sind, schwer behindert oder ähnliches. Eigentlich hält er alle Menschen für behindert, die nicht Pfeifenraucher sind.

Wehner möchte wissen, welche Rechte die behinderten Menschen haben. Sein Mitarbeiter Hermann Prey hält sich in jedem Falle für behindert, weil er bei den letzten Gesangsauftritten vor der Kamera stets einen „Frosch im Hals“ hatte.

Schauspieler Yul Brynner hat einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt, weil er in den letzten Jahren in Kuss- und Beischlafszenen vor der Kamera psychische Hemmungen entwickelte. Nachdem der Schwerbehindertenantrag abgelehnt wurde, stellte er einen Antrag auf Gleichstellung.

Der Musiker und Komponist Carl Orff verlor bei der letzten Brennholzaktion an der Bandsäge eine Hand. Nun kann er nicht mehr Klavier, Harfe oder Triangel spielen. Er begehrt einen besonderen Schutz als behinderter Mensch.

Die Lösung:

1. Behinderung

Das Recht der behinderten Menschen ist in wichtigen Teilen im Sozialgesetzbuch IX geregelt. Das früher existierende
Schwerbehindertengesetz ist im 9. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) aufgegangen und erneuert worden.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Von einer Behinderung bedroht sind sie, wenn solche Beeinträchtigungen zukünftig zu erwarten sind.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens aufgrund körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen im Sinne dieser Definition zeitweise behindert sein können.

2. Schwerbehinderung

Im SGB IX ist insbesondere das Recht der schwerbehinderten Menschen geregelt. Bei den schwerbehinderten Menschen handelt es sich um Menschen mit einer Behinderung, die besonders gravierend ist.

Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen im Sinne dieses Gesetzes schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens
50 vorliegt (GdB 50). Im Volksmund spricht man von einer Behinderung mit „50 %“.

Weitere Voraussetzung für eine Schwerbehinderung im Sinne des Sozialgesetzbuches ist, dass diese Menschen ihren Wohnsitz, ihren
gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz regelmäßig im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches haben.

Wer glaubt, als behinderter Mensch schwerbehindert im Sinne des SGB IX zu sein, kann einen Antrag beim Versorgungsamt stellen. Dieses hat dann unter Berücksichtigung der medizinischen Prüfungsergebnisse über den Antrag zu entscheiden. Fällt die Entscheidung nicht im Sinne des
Antragstellers aus, so kann dieser Widerspruch einlegen und bei Ablehnung des Widerspruchs Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erheben.

3. Gleichstellung

Der Gesetzgeber hat noch eine dritte geschützte Behindertengruppe geschaffen, nämlich die „gleichgestellten behinderten Menschen“.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen den schwerbehinderten Menschen  die behinderten Menschen gleich gestellt werden, bei denen durch das Versorgungsamt zwar eine Schwerbehinderung mit dem GdB 50 nicht
anerkannt wurde, bei denen aber ein Grad der Behinderung von wenigstens 30 amtlich festgestellt wurde.

Weitere Voraussetzung ist wie bei schwerbehinderten Menschen, dass diese Personen ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz rechtmäßig im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches haben, also im Bereich der Bundesrepublik Deutschland.

Eine dritte Voraussetzung für die Gleichstellung ist die Bedingung, dass diese gleichgestellten behinderten Menschen infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder den vorhandenen Arbeitsplatz nicht behalten können, dieser Arbeitsplatz also gefährdet ist.

Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes kann vorliegen, wenn der Arbeitgeber erhebliche Personalmaßnahmen, insbesondere Kündigungen beabsichtigt.

4. Schutzgesetze

Neben den allgemeinen Schutzgesetzen für Arbeitnehmer etc. hat der Gesetzgeber in zwei Schutzgesetzen den besonderen Schutz der behinderten bzw. der schwerbehinderten Menschen und der gleichgestellt behinderten Menschen geregelt.

Zum einen handelt es sich dabei um das 9. Buch des Sozialgesetzbuches, das SGB IX. Im SGB IX ist insbesondere der Schutz der schwerbehinderten Menschen und der gleichgestellten behinderten Menschen geregelt. Dies gilt aber nicht durchgehend.

In den einzelnen Vorschriften ist auch der Schutz sonstiger behinderter Menschen vorgesehen, z.B. in § 167 Abs. 2 SGB IX. Dort ist das betriebliche Integrationsmanagement (BEM) für arbeitsunfähig erkrankte Menschen im Allgemeinen geregelt.

Darüber hinaus ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 die Benachteiligung oder Diskriminierung wegen Behinderung verboten und mit Schadenersatz- bzw. Entschädigungsansprüchen versehen. Dieser Schutz vor Benachteiligung oder Diskriminierung wegen Behinderung betrifft gerade auch abhängig beschäftigte Personen, nämlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen. Dieses
Gesetz schützt also alle Menschen, aber gerade auch diejenigen, die sich in einem Arbeitsverhältnis befinden oder in ähnlichen Rechtsverhältnissen.

Beachte: Das AGG schützt nach § 1 AGG die entsprechenden Personengruppen nicht nur bei Vorliegen einer Schwerbehinderung, sondern ganz generell bei Vorliegen einer Behinderung. Die Benachteiligung oder Diskriminierung wegen einer Behinderung, egal welcher Art, ist generell untersagt, wenn dafür nicht ein Ausnahmetatbestand bzw. ein sachlicher Grund gegeben ist, der die Benachteiligung rechtfertigen kann.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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