Folge 323

Arbeitszeit – aktuelle Entwicklungen III – Wegzeiten / Dienstreise / Umkleidezeit


Frage:


Wann beginnt meine Arbeitszeit eigentlich genau zu laufen, schon beim Verlassen der Wohnung, beim Betreten des Betriebes oder
am eigentlichen Arbeitsplatz? Zählen Umkleide- und Waschzeiten zur Arbeitszeit? Kann der Arbeitgeber von mir verlangen, daß ich auf Abruf bei betrieblicher Notwendigkeit erscheine? Was ist eigentlich
Vertrauensarbeitszeit?


Der Fall:


    Lawrence von Arabien ist auf Heimaturlaub in Südengland. Nun soll er wieder zurück zum nächsten Feldzug gegen die Türken
    nach Arabien. Er meint, daß die Wegezeit zum Arbeitsplatz von seinen Arbeitgebern, der englischen Admiralität und den arabischen Scheichs voll zu bezahlen sei. Außerdem möchte er sonntags seine Anreise auf
    Gibraltar, Malta etc. unterbrechen wegen des Sonntagsarbeitsverbots.

    Kaiser Napoleon I. hat seinen treuen Marschall Ney zur Unterstützung zur Schlacht beim Waterloo gerufen. Marschall Ney ist der Ansicht, daß
    die Anreise aus Montpellier als Dienstreise vergütungspflichtige Arbeitszeit sei. Napoleon kann keine Vorschrift solcherart in der kaiserlichen Dienstreiseordnung finden. Das Arbeitsgericht Marburg muß
    entscheiden.

    Napoleons Bruder König Jerome von Westfalen, in Kassel residierend, hat Probleme mit den hessischen Soldaten. Diese meinen, daß ihre vergütungspflichtige Arbeitszeit schon beim Betreten der
    Kaserne beginne. Zumindest aber seien die Umkleide- und Waschzeiten vor und nach dem Dienst vergütungspflichtig.

    Theaterfürst William Shakespeare hat den Dichter Walter Scott als Regie-Assistenten
    eingestellt. Er ruft ihn nur bei Bedarf zur Arbeit. Walter Scott meint aber, daß eine reguläre Arbeitszeit zu bezahlen sei.

    Matthias Claudius beschäftigt die Schönschreiberin Richarda Huch zur Transformierung
    seiner Gedichte und Prosa. Claudius lehnt eine Arbeitszeitkontrolle, eine Stechuhr und Aufschriebe ab. Er will eine Vertrauensarbeitszeit mit Richarda. Diese befürchtet, daß sie dann je nach Arbeitsanfall mehr
    als 40 Stunden pro Woche unentgeltlich arbeiten müsse.


Die Lösung:


10. Wegezeiten


    Wegezeiten von der Wohnung zum Betrieb und wieder zurück sind grundsätzlich keine vergütungspflichtigen Arbeitszeiten. Wo
    und wie der Arbeitnehmer wohnt und wie er zur Arbeit kommt, ist seine Sache. Er muß jedenfalls pünktlich zu Arbeitsbeginn in arbeitsfähigem Zustand am Arbeitsplatz die Arbeit aufnehmen. Alles andere ist
    Privatsache.

    Etwas anderes gilt nur, wenn für die Wegezeiten eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers vereinbart wäre. Dies wäre bei einer besonders exotisch liegenden Arbeitsstelle, wie bei Lawrence von
    Arabien durchaus denkbar (heute: Deutsche Baufirmen in Saudi-Arabien oder Libyen, Konzerniederlassungen in Singapur, Shanghai etc.).

    Ein weiterer Streit besteht darin, ob die Arbeitszeit ab Betreten des
    Betriebsgeländes oder erst bei Aufnahme der Arbeit am eigentlichen Arbeitsplatz zählt. Dies wird unterschiedlich geregelt. Diese Fragen müssen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag geklärt
    werden. Sonst hat der Arbeitnehmer nur Anspruch auf Beginn der Arbeitszeit und Bezahlung ab der eigentlichen Arbeitsaufnahme. Diese Frage kann auch per Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
    geregelt werden.


11. Dienstreisezeiten


    Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Dienstreisezeit im allgemeinen nicht zur Arbeitszeit. Zur Arbeitszeit werden alle
    Betätigungen gerechnet, die zu erbringen der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet ist. Die eigentliche Dienstreise zählt deshalb in vielen Fällen nicht zum Kern der arbeitsvertraglichen
    Verpflichtungen.

    Marschall Ney hat die Pflicht, Napoleon bei der Schlacht von Waterloo zu unterstützen. Der Ritt von seiner Garnison in Montpellier nach Belgien/Waterloo wäre zwar eine Dienstreise. Seine
    Arbeitsaufgabe besteht aber insbesondere in der Organisation und dem Lenken von Schlachten, nicht in der Absolvierung von Dienstreisen.

    Achtung: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört jedoch
    die Dienstreisezeit dann zur Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise selbst arbeiten muß oder arbeitet. Dies ist dann der Fall, wenn er verpflichtet ist, ein Auto zu fahren und selbst zu
    lenken, oder wenn er z.B. während der Fahrt mit der Bahn oder dem Flug Akten bearbeitet oder eine Konferenz vorbereitet. Kann sich der Arbeitnehmer dagegen während der Reise z.B. im Flugzeug oder Zug entspannen,
    liegt keine Arbeitsleistung vor.

    Beispiel: Muß Marschall Ney mangels Kutsche selbst reiten, so wäre dies vergütungspflichtige Arbeitszeit. Läßt er sich mit der Kutsche fahren, zählt die Dienstreise zur
    Freizeit. Bearbeitet er in der Kutsche Schlachtenpläne und schreibt Mobilisierungsbefehle, so wäre es wieder Arbeitszeit. Nimmt ein Arbeitnehmer bei einer Dienstreise in seinem Auto mehrere Kollegen mit, so ist
    für den fahrenden Arbeitnehmer die Dienstreise Arbeitszeit, während die beifahrenden Arbeitskollegen ihre Freizeit genießen.


12. Umkleide- und Waschzeiten


    Es ist streitig, ob Umkleide- und Waschzeiten zur Arbeitszeit zählen. Nach älteren Urteilen kann diese Zeit nur dann als
    vergütungspflichtige Zeit angesehen werden, wenn aufgrund der beruflichen Besonderheiten Waschen und Umkleiden zur Arbeit zu zählen ist. Dies ist zum Beispiel im Bergbau der Fall, wo die geschwärzten Kumpels
    nicht ungewaschen auf die Straße geschickt werden können. Das gleiche könnte auch bei anderer, besonders schmutziger Arbeit gelten. Dasselbe gilt aber auch bei besonders sauberer Arbeit, wie einer Tätigkeit im
    Hoch-Sauberkeits-Trakt einer Chip-Fabrik. Da hier Staubfreiheit herrschen muß, gehört Waschen und Umziehen ebenso zur Arbeitszeit, wie z.B. das Waschen und Umziehen von Ärzten und OP-Schwestern vor einer
    Operation in einem Klinikum.

    Faustregel: Wenn Umziehen und/oder Waschen im Betrieb arbeitsnotwendig ist, wird es generell unter die bezahlungspflichtige Arbeitszeit fallen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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