(Stand 2025)
Frage:
Wann beginnt meine Arbeitszeit eigentlich genau zu laufen, schon beim Verlassen der Wohnung, beim Betreten des Betriebes oder am eigentlichen Arbeitsplatz? Zählen Umkleide- und Waschzeiten zur Arbeitszeit? Kann der Arbeitgeber von mir verlangen, dass ich auf Abruf bei betrieblicher Notwendigkeit erscheine? Was ist eigentlich Vertrauensarbeitszeit?
Der Fall:
Lawrence von Arabien ist auf Heimaturlaub in Südengland. Nun soll er wieder zurück zum nächsten Feldzug gegen die Türken nach Arabien.
Er meint, dass die Wegezeit zum Arbeitsplatz von seinen Arbeitgebern, der englischen Admiralität und den arabischen Scheichs voll zu bezahlen sei. Außerdem möchte er sonntags seine Anreise auf Gibraltar, Malta etc. unterbrechen wegen des Sonntagsarbeitsverbots.
Kaiser Napoleon I. hat seinen treuen Marschall Ney zur Unterstützung zur Schlacht beim Waterloo gerufen. Marschall Ney ist der Ansicht, daß
die Anreise aus Montpellier als Dienstreise vergütungspflichtige Arbeitszeit sei. Napoleon kann keine Vorschrift solcherart in der kaiserlichen Dienstreiseordnung finden. Das Arbeitsgericht muss entscheiden.
Napoleons Bruder König Jerome von Westfalen, in Kassel residierend, hat Probleme mit den hessischen Soldaten. Diese meinen, dass ihre vergütungspflichtige Arbeitszeit schon beim Betreten der Kaserne beginne. Zumindest aber seien die Umkleide- und Waschzeiten vor und nach dem Dienst vergütungspflichtig.
Theaterfürst William Shakespeare hat den Dichter Walter Scott als Regie-Assistenten eingestellt. Er ruft ihn nur bei Bedarf zur Arbeit. Walter Scott meint aber, dass eine reguläre Arbeitszeit zu bezahlen sei.
Matthias Claudius beschäftigt die Schönschreiberin Richarda Huch zur Transformierung seiner Gedichte und Prosa. Claudius lehnt eine Arbeitszeitkontrolle, eine Stechuhr und Aufschriebe ab.
Er will eine Vertrauensarbeitszeit mit Richarda. Diese befürchtet aber, dass sie dann je nach Arbeitsanfall mehr als 40 Stunden pro Woche unentgeltlich arbeiten müsse.
Die Lösung:
10. Wegezeiten
Wegezeiten von der Wohnung zum Betrieb und wieder zurück sind grundsätzlich keine vergütungspflichtigen Arbeitszeiten. Wo
und wie der Arbeitnehmer wohnt und wie er zur Arbeit kommt, ist seine Sache. Er muss jedenfalls pünktlich zu Arbeitsbeginn in arbeitsfähigem Zustand am Arbeitsplatz die Arbeit aufnehmen. Alles andere ist
Privatsache.
Etwas anderes gilt nur, wenn für die Wegezeiten eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers vereinbart wäre. Dies wäre bei einer besonders exotisch liegenden Arbeitsstelle, wie bei Lawrence von Arabien durchaus denkbar (heute: Deutsche Baufirmen in Saudi-Arabien oder Libyen, Konzern-Niederlassungen in Singapur, Shanghai etc.).
Ein weiterer Streit besteht darin, ob die Arbeitszeit ab Betreten des
Betriebsgeländes oder erst bei Aufnahme der Arbeit am eigentlichen Arbeitsplatz zählt. Dies wird unterschiedlich geregelt.
Diese Fragen müssen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag geklärt werden. Sonst hat der Arbeitnehmer nur Anspruch auf Beginn der Arbeitszeit und Bezahlung ab der eigentlichen Arbeitsaufnahme am Arbeitsplatz. Diese Frage kann auch per Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geregelt werden.
11. Dienstreisezeiten
Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Dienstreisezeit nicht generell zur Arbeitszeit. Zur Arbeitszeit werden alle Betätigungen gerechnet, die zu erbringen der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet ist.
Ist die Dienstreise Teil der Hauptarbeitspflicht, so ist sie in jedem Falle zu vergüten. Das sind alle Fälle, in denen die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung und Arbeitspflicht ohne Dienstreise nicht möglich ist.
Beispiele:
– bei Handelsvertretern, Pharmareferenten, sog. „Reisenden“ war dies nie ein Problem. Diese Arbeitnehmer haben die Pflicht, externe Kunden und Interessenten aufzusuchen und mit ihnen Verträge abzuschließen. Ohne die Anreise zum Kunden wäre die Erbringung der Arbeitsleistung kaum möglich.
Das mag sich teilweise im Zeitalter des Internets etwas gewandelt haben. Heute ist es auch möglich mit Kunden und Interessenten per Internet zu verkehren. Dann gibt es keine vergütungspflichtige Dienstreise. Die Zeit im „Home Office“ muss natürlich als Arbeitszeit bezahlt werden.
– Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten diese Grundsätze aber auch bei allen anderen Arbeitnehmern, die zur Erbringung der vertraglichen Leistung eine Anreise benötigen.
Entschieden wurde der Fall eines Bauingenieurs und Baustellenleiters für Baustellen der Arbeitgeberin im Ausland, hier in China. Die Baustellenleitung war jeweils nur mit einer entsprechenden Anreise möglich. Deshalb ist die Reisezeit als „fremdnützige Tätigkeit“ ebenfalls als vertragliche Leistung zu vergüten.
– Ein Bauarbeiter muss zu der jeweiligen Baustelle. Ohne Anfahrt ist dies nicht möglich. Die Anfahrt ist deshalb vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Höhe der Dienstreise-Vergütung:
Nach der Rechtsprechung und einschlägigen Tarifverträgen kann die Vergütung der Dienstreisezeit aber anders, insbesondere niedriger gestaltet werden, als die sonstige Arbeitsvergütung.
Der BRTV-Bau regelt z.B., dass für die Bauarbeiter die Fahrt zur Baustelle mit nur einer Fahrt und vollem Lohn vergütet wird, also faktisch für die Hin- und Rückfahrt mit insgesamt 50% des Stundenlohns bezahlt wird.
Für den Baustellenleiter kann der Arbeitgeber im Vertrag regeln, dass die Reisezeit, die Flugzeit etc. entsprechend niedriger vergütet wird. Sofern nichts geregelt ist, gilt aber die vertraglich vereinbarte Vergütungspflicht.
Dienstreise nicht Kern der Vertragspflicht:
Sofern aber die Dienstreise nur ausnahmsweise anfällt und nicht zu den eigentlichen vertraglichen Pflichten zählt, insbesondere zu den Kernaufgaben, ist die Dienstreise „Freizeitgestaltung“ und nicht vergütungspflichtig.
Beispiel: Der Arbeitnehmer hat die Aufgabe der Kundenbetreuung für die Region Süddeutschland. Seine Arbeit erledigt er von seinem Büro-Arbeitsplatz in Frankfurt aus. Nun möchte der Arbeitgeber alle Kundenbetreuer zum Erfahrungsaustausch europaweit in Paris oder weltweit in Los Angeles zu einem „Meeting“ versammeln.
Hier wäre die Dienstreise nach Paris oder Los Angeles nicht teil der eigentlichen Arbeitspflicht. Die Anreise wäre keine vergütungspflichtige Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer während der Anreise nicht „arbeitet“, d.h. nicht seine vertragliche Arbeit durchführt.
Fall Ney:
Marschall Ney hat die Pflicht, Napoleon bei der Schlacht von Waterloo zu unterstützen. Der Ritt von seiner Garnison in Montpellier nach Belgien d.h. nach Waterloo wäre zwar eine Dienstreise.
Seine Arbeitsaufgabe besteht aber insbesondere in der Organisation und dem Lenken von Schlachten von seinem Generalstabsbüro aus, nicht in der Absolvierung von Dienstreisen. Sofern Marschall Ney aber die Aufgabe hatte, mit Napoleon jeweils auch die Schlachtfelder zur Lenkung der Truppen aufzusuchen, hätte eine vergütungspflichtige Dienstreise vor gelegen. Die Anreise zur Schlacht war dann rein fremdnützig zu Gunsten von Napoleon.
Achtung: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört jedoch die Dienstreisezeit dann zur Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise selbst arbeiten muss oder arbeitet. Dies ist dann der Fall, wenn er verpflichtet ist, ein Auto zu fahren und selbst zu
lenken, oder wenn er z.B. während der Fahrt mit der Bahn oder dem Flug Akten bearbeitet oder eine Konferenz vorbereitet.
Kann sich der Arbeitnehmer dagegen während der Reise z.B. im Flugzeug oder Zug entspannen, liegt keine Arbeitsleistung vor.
Beispiel: Muss Marschall Ney mangels Kutsche selbst reiten, so wäre dies vergütungspflichtige Arbeitszeit. Lässt er sich mit der Kutsche fahren, zählt die Dienstreise zur Freizeit.
Bearbeitet er in der Kutsche Schlachtenpläne und schreibt Mobilisierungsbefehle, so wäre es wieder Arbeitszeit. Nimmt ein Arbeitnehmer bei einer Dienstreise in seinem Auto mehrere Kollegen mit, so ist für den fahrenden Arbeitnehmer die Dienstreise Arbeitszeit, während die beifahrenden Arbeitskollegen ihre Freizeit genießen.
12. Umkleide- und Waschzeiten
Es ist streitig, ob Umkleide- und Waschzeiten zur Arbeitszeit zählen. Nach älteren Urteilen kann diese Zeit nur dann als vergütungspflichtige Zeit angesehen werden, wenn aufgrund der beruflichen Besonderheiten Waschen und Umkleiden zur Arbeit zu zählen ist. Dies ist zum Beispiel im Bergbau der Fall, wo die geschwärzten Kumpels nicht ungewaschen auf die Straße geschickt werden können.
Das gleiche könnte auch bei anderer, besonders schmutziger Arbeit gelten. Dasselbe gilt aber auch bei besonders sauberer Arbeit, wie einer Tätigkeit im Hoch-Sauberkeits-Trakt einer Chip-Fabrik. Da hier Staubfreiheit herrschen muss, gehört Waschen und Umziehen zur eigentlichen Arbeit und Arbeitspflicht und damit ebenso zur Arbeitszeit, wie z.B. das Waschen und Umziehen von Ärzten und OP-Schwestern vor einer Operation in einem Klinikum.
Faustregel: Wenn Umziehen und/oder Waschen im Betrieb arbeitsnotwendig ist, wird es generell unter die bezahlungspflichtige Arbeitszeit fallen.