Folge 322

Arbeitszeit – aktuelle Entwicklungen II – Vollzeit / Überstunden / Mehrarbeit

(Stand 2025)


Frage:


Darf mein Arbeitgeber von mir jede Arbeitszeit verlangen, die er für betrieblich notwendig hält? Bin ich verpflichtet, Überstunden zu leisten? Gibt es einen gesetzlichen Arbeitszeitschutz und eine gesetzliche Höchstarbeitszeit und wie sieht diese aus?


Der Fall:


Arbeitgeberin Coco Cianelli stellt den Arbeitnehmer Felix Wankel ein, damit er ihr einen neuen Parfumdosierungsmotor für Flacons konstruiert und baut. Den Kraftfahrer Karl Liebknecht stellt sie ein, damit dieser eilige Parfumsendungen an VIP-Kunden zu jeder Tages- und Nachtzeit exklusiv ausliefert.

Damit der Technologievorsprung erhalten bleibt, verlangt Arbeitgeberin Coco von Wankel, dass er Tag und Nacht an der Entwicklung des Dosierungsmotors bleibt.

Auch Karl Liebknecht muss je nach Laune der Kunden Tag und Nacht und an Wochenenden die Parfumbestellungen ausfahren.

Um Festlegungen und Diskussionen zu vermeiden, hat Arbeitgeberin Coco von vorneherein in den Arbeitsverträgen festgelegt, daß die Arbeitszeit alleine von der Arbeitgeberin nach betrieblichen Notwendigkeiten festgelegt wird. Beide Arbeitnehmer fragen sich, ob dies zulässig ist.

Arbeitgeber Alfred Hitchcock braucht für das Drehbuch eines neuen Thrillers einen Theologen, der ihn berät. Dafür stellt er Rudolf Bultmann ein.

Nach den Hollywood-Gebräuchlichkeiten geht Hitchcock davon aus, dass Bultmann regulär 60 – 90 Stunden pro Woche arbeitet oder wenigstens ihm zur Verfügung steht. Da Bultmann seine Arbeitsleistung in Deutschland erbringt, hat er Zweifel am Umfang einer solchen Arbeitszeit.


Die Lösung:


5. Vollzeitarbeit


Der Begriff der Vollzeitarbeit ist als „Terminus technicus“ im Gesetz zwar nicht zu finden. Dieser Begriff wird aber in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen vorausgesetzt. Darunter zu verstehen ist die volle betriebliche oder tarifliche Wochenarbeitszeit (38,5 Stunden, 40 Stunden etc.) mit einer entsprechenden vollen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.

Während dieser vertraglich geschuldeten Vollzeitarbeit muss der Arbeitnehmer mit seiner vollen Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Er muss die vereinbarte oder zumutbare Arbeit erbringen. Dabei muss er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anwenden. Er braucht sich nicht zu überanstrengen, darf aber seine Arbeitskraft auch nicht „künstlich“ zurückhalten.

Leistet der Arbeitnehmer aus Faulheit oder Frustration „Dienst nach Vorschrift“, begeht er eine Vertragspflichtverletzung. Senkt er gar seine ihm mögliche Arbeitsleistung oder Arbeitsmenge vorsätzlich ab, so kann im
Zweifelsfalle der Arbeitgeber ihn abmahnen oder gar kündigen.

Nach der „Low-Performer-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts darf der Arbeitgeber einen Mitarbeiter sogar dann personenbedingt kündigen, wenn dieser aufgrund mangelnder Fähigkeiten auf Dauer weit unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen erbringt.


6. Zusatzarbeit / Überstunden


Von Überstunden spricht die Rechtsprechung dann, wenn ein Arbeitnehmer über die betriebliche oder tarifliche Vollzeit-Wochenarbeitszeit hinaus zusätzlich für den Arbeitgeber Arbeitsleistungen erbringt.

Von Zusatzarbeit oder Überarbeit wird dann gesprochen, wenn ein Teilzeitarbeitnehmer über seine persönliche, einzelvertraglich vereinbarte Teilzeit hinaus zusätzlich für den Arbeitgeber arbeitet. Sofern die Arbeitsleistung des Teilzeitarbeitnehmers dann noch die betriebliche oder tarifliche Wochenarbeitszeit überschreitet, liegen auch Überstunden im technischen Sinne vor.

Arbeitet ein Arbeitnehmer über seine reguläre vertragliche Arbeitszeit hinaus für den Arbeitgeber, so besteht grundsätzlich immer ein Anspruch
auf Vergütung dieser zusätzlichen Arbeitszeit. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn arbeitsvertraglich vereinbart ist, dass eine bestimmte Anzahl von Zusatzarbeitsstunden oder Überstunden mit dem Gehalt
bereits abgegolten sind. Dabei muss aber die Zahl der Überstunden pro Woche oder Monat im Vertrag genau benannt sein!

Achtung: Eine vertragliche Vereinbarung, wonach sämtliche Überstunden mit dem Gehalt abgegolten seien, ist generell wegen unzulässiger Benachteiligung und unbilliger Regelung rechtsunwirksam. Coco und Alfred dürfen deshalb von ihren Mitarbeitern nicht unbegrenzte zusätzliche Arbeitszeitüberschreitungen ohne Entgelt verlangen.

Soweit Tarifverträge gelten, muss der Arbeitgeber außerdem regelmäßig für Überstunden auch Überstundenzuschläge bezahlen, wenn die betriebsübliche Arbeitszeit überschritten wird. Im Arbeitszeitgesetz sind Zuschläge für Überstunden oder Mehrarbeit nicht vorgesehen.

Sofern ein Tarifvertrag nicht gilt, können Überstundenzuschläge auch in Arbeitsverträgen vereinbart werden. Ein Anspruch besteht aber nur dann, wenn eine entsprechende Anspruchsgrundlage (Tarifvertrag oder
Arbeitsvertrag) vorhanden ist. Sofern alle anderen Mitarbeiter Überstundenzuschläge bekommen, gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz.


7. Teilzeitarbeitnehmer

 


Teilzeitarbeitnehmer haben keine Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden oder Zusatzarbeit. Sie haben vielmehr mit ihrem Vertrag eine genau geregelte Arbeitszeit vereinbart. An diese muss sich der Arbeitgeber halten.

Zu beachten ist auch, dass Teilzeitarbeitnehmer für Zusatzarbeit ebenfalls Überstundenzuschläge beanspruchen können.

Überstundenzuschläge, die in Tarifverträgen geregelt sind, werden erst gezahlt, wenn die tarifliche Wochenarbeitszeit (z.B. 38,5 oder 40 Stunden) überschritten wird.

Sofern Teilzeitarbeitnehmer Überstundenzuschläge für das Überschreiten der vertraglichen Teilzeit bereits vereinbart haben, ist die Rechtslage klar.

Doch selbst dann, wenn eine solche vertragliche Regelung fehlt, haben Teilzeitarbeitnehmer nach europäischem Recht und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Anspruch auf die Überstundenzuschläge, die auch die Vollzeitarbeitnehmer im Unternehmen bekommen.

Der Ausschluss von Teilzeitmitarbeitern bei der Zahlung von Überstundenzuschlägen stellt in Deutschland nicht nur eine rechtswidrige Ungleichbehandlung dar, sondern auch eine rechtswidrige Geschlechter-Diskriminierung. Teilzeitmitarbeiter sind in Deutschland ganz überwiegend Frauen. Ihre Schlechterbehandlung verstößt somit gegen die Anti-Diskriminierungsverordnungen der EU wie auch gegen § 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).

 

8. Mehrarbeit


Mehrarbeit im technischen Sinne liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer über die in § 3 Arbeitszeitgesetz vorgesehene Arbeitszeit von 8 Stunden/Tag bzw. von 48 Wochenstunden hinaus arbeitet.

In diesen Fällen liegen regelmäßig auch Überstunden vor, da damit regelmäßig auch die tarifvertragliche oder betriebliche Wochenarbeitszeit überschritten ist.

Auch für die über das gesetzliche Höchstmaß hinausgehende Mehrarbeit sind im Arbeitszeitgesetz selbst keine Zeitzuschläge vorgesehen. Wer also quasi  mehr arbeitet als er nach Gesetz muss oder gar darf, kann vom Arbeitgeber nur die reguläre Stundenvergütung ohne Zuschläge verlangen.


9. Fallösung


Es bringt der Arbeitgeberin Coco Cianelli und dem Arbeitgeber Hitchcock nichts, wenn sie die geschuldete Wochenarbeitszeit der Arbeitnehmer Wankel, Liebknecht und Bultmann nicht in den Arbeitsverträgen festlegen. Soweit in Vollzeitarbeitsverhältnissen nichts geregelt ist, gilt die tarifliche oder übliche Wochenarbeitszeit als vereinbart.

Dies mag in den vorliegenden Fällen eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche sein. Mangels anderer Regelungen muss alle Arbeitszeit, die darüber hinaus geleistet wird, zusätzlich zum Gehalt vergütet werden. Überstundenzuschläge gibt es allerdings nicht, da kein Tarif gilt und vertraglich nichts geregelt ist.

Darüber hinaus legt das Arbeitszeitgesetz verbindlich tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeiten fest (8, maximal 10 Stunden pro Arbeitstag und 48, maximal 60 Stunden pro Arbeitswoche bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden in einem Ausgleichszeitraum von 6 Monaten).

Die Arbeitgeber müssen deshalb damit rechnen, dass sie bei einer Klage ihrer Arbeitnehmer zu erheblichen Vergütungsnachzahlungen verurteilt werden können.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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