Frage:
Mein Arbeitgeber hat bei der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitsverhältnisses für mich falsche Sozialdaten berücksichtigt. Zu wessen Lasten geht das? Kann der Arbeitgeber sich
darauf berufen, daß ich ihm die falsche Kinderzahl und das falsche Lebensalter mitgeteilt habe?
Der Fall:
Arbeitnehmer Lucky Luciano hat dem Arbeitgeber Hans Moser seine genaue Kinderzahl nicht mitgeteilt. Der Arbeitgeber weiß nur, daß auf der Lohnsteuerkarte 3 Kinder verzeichnet sind.
Der Arbeitnehmer Sultan Mohammed hat dem Arbeitgeber bei der Einstellung als Lebensalter 34 Jahre angegeben. Jetzt ist er 15 Jahre beschäftigt und danach 49 Jahre alt. Arbeitgeber Hans Moser kündigt beide
betriebsbedingt. Daraufhin kommt Sultan Mohammed im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht und legt eine türkische amtliche Bescheinigung vor, wonach er tatsächlich 10 Jahre älter ist, nämlich
mittlerweile 59 Jahre alt. Aufgrund dessen sei die Sozialauswahl falsch und ein jüngerer Arbeitnehmer vorrangig zu kündigen.
Arbeitnehmer Lucky Luciano gibt in seiner Kündigungsschutzklage an, daß er
tatsächlich nicht 3, sondern 7 Kinder habe. Dazu gehören auch 3 außereheliche Kinder. Bei 7 Kindern sei in der Sozialauswahl ein anderer Arbeitskollege vorrangig zu kündigen gewesen.
Der Arbeitgeber meint,
daß er sich nur auf die Daten stützen könne, die ihm von den Mitarbeitern mitgeteilt sind oder bekannt sind, egal ob richtig oder falsch.
Die Lösung:
1. Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes
Der Allgemeine Kündigungsschutz findet nur Anwendung auf die Arbeitsverhältnisse, die dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen.
Nach § 1 Abs. 1 KSchG muß ein Arbeitnehmer mehr als 6
Monate beschäftigt sein, um in den Bereich des Allgemeinen Kündigungsschutzes zu gelangen. Außerdem müssen nach § 23 Abs. 1 KSchG im Betrieb bzw. dem Unternehmen i.d.R. mehr als 10 Arbeitnehmer (ohne
Auszubildende) beschäftigt sein. Dabei sind bei Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 20 Stunden mit 0,5
und mit einer Wochenarbeitszeit bis zu 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Beachtung des Kündigungsschutzgesetzes
unter Einhaltung der gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfristen jederzeit kündigen.
Achtung: Für Altarbeitnehmer, die vor dem 1.4.2003 schon beschäftigt waren, gilt z.T. noch der alte
Kündigungsschutz im Sinne einer Besitzstandsregelung (mehr als 5 Arbeitnehmer).
Auch ohne Geltung des Kündigungsschutzgesetzes sind Tatbestände des besonderen Kündigungsschutzes zu berücksichtigen, z.B. wenn
eine Mitarbeiterin schwanger ist, wenn der Schwerbehindertenschutz vorliegt oder eine Tätigkeit in Parlamenten.
2. Kündigungsgründe nach dem Kündigungsschutzgesetz
Nach § 1 Abs. 2 KSchG kann der Arbeitgeber bei Geltung des Allgemeinen Kündigungsschutzes das Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn entweder
– betriebsbedingte Kündigungsgründe vorliegen,
– verhaltensbedingte Kündigungsgründe vorliegen oder
– personenbedingte Gründe vorhanden sind.
Verhaltensbedingte Kündigungsgründe liegen vor allem dann
vor, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag in schwerwiegender Weise verletzt hat und ggf. entsprechende Abmahnungen vorliegen.
Personenbedingte Gründe sind dann gegeben, wenn ein
Arbeitnehmer die erforderliche Qualifikation in keiner Weise besitzt. Der Hauptfall der personenbedingten Kündigung ist jedoch die Kündigung wegen erheblicher Krankheitszeiten und dadurch entstehenden
wirtschaftlichen und betrieblichen Störungen beim Arbeitgeber.
Die betriebsbedingte Kündigung ist möglich, wenn Arbeitsplätze im Betrieb weggefallen sind und vom Arbeitgeber die Grundsätze der Sozialauswahl
gewahrt sind.
3. Wegfall des Arbeitsplatzes
Arbeitgeber Hans Moser kann nur kündigen, wenn die Arbeitsplätze von Lucky Luciano und Sultan Mohammed bzw. zwei entsprechende Arbeitsplätze auf Dauer weggefallen sind. Weitere
Voraussetzung ist, daß die Arbeitnehmer dann nicht auf einem anderen freien Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden können.
Dabei ist nicht
erforderlich, daß der Arbeitsplatz der gekündigten Arbeitnehmer selbst weggefallen ist. Es kann sich auch um einen anderen Arbeitsplatz handeln. Der Arbeitgeber muß im Rahmen der Sozialauswahl dann auswählen,
welche Arbeitnehmer er kündigt.
4. Sozialauswahl
Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers die notwendigen Sozialdaten
nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Bei diesen Sozialdaten handelt es sich um
– die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
– das Lebensalter,
– die Unterhaltspflichten und
– eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.
Der Arbeitgeber muß zunächst im Rahmen der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer prüfen, welche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl mit einzubeziehen sind und für eine
Kündigung in Betracht kommen.
Vergleichbarkeit bedeutet Austauschbarkeit, d.h. das Arbeitnehmer mit vergleichbaren Fähigkeiten und Ausbildungen sowie Arbeitsverträgen im Betrieb versetzbar und austauschbar
sind. Diese Arbeitnehmer sind in die Sozialauswahl einzubeziehen, z.B. die Gruppe der Maschinenarbeiter, der Elektrotechniker, der Werkzeugmacher, der Bauingenieure, der Industriekaufleute etc.
Der
Arbeitgeber hat die Sozialdaten der verschiedenen vergleichbaren Arbeitnehmer zu prüfen und zu gewichten. Er muß dann die sozial am meisten schutzwürdigen Arbeitnehmer kündigen.
Welche Arbeitnehmer sozial am
schutzwürdigsten sind, kann im Einzelfall sehr streitig sein. Klar ist aber, daß ein junger, noch nicht sehr lange beschäftigter Mitarbeiter ohne Unterhaltsverpflichtungen sozial weniger schützenswert ist, als
ein älterer Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit und vielen Kindern oder als ein schwerbehinderter Arbeitnehmer.
5. Falsche Daten
Der Arbeitgeber muß bei der Sozialauswahl möglichst die richtigen Sozialdaten der Mitarbeiter berücksichtigen. Er ist dabei aber auf die Mitarbeit der Arbeitnehmer angewiesen.
Nach
der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber vor einer Kündigung bei den vergleichbaren Mitarbeitern zuerst nachfragen, ob die bei ihm vorhandenen Sozialdaten richtig oder noch richtig sind.
Der Arbeitgeber muß dies aber nicht tun. Generell reicht es aus, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer mitgeteilten oder ihm bekannt gewordenen Daten zugrundelegt.
Der Arbeitgeber ist im Rahmen der
Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG, aber auch im Rahmen der Sozialauswahl nicht verpflichtet, die Richtigkeit der von ihm vom Arbeitnehmer mitgeteilten und dokumentierten Daten zu überprüfen. Er kann deshalb
mangels anderweitiger Kenntnisse wegen der Kinderzahl sich auf die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte verlassen und von ihnen ausgehen. Er muß dabei nur dem Betriebsrat mitteilen, daß er sich auf diese Angaben
in der Lohnsteuerkarte stützt.
Will der Arbeitnehmer Lucky Luciano dagegen, daß der Arbeitgeber stets die richtige Kinderzahl berücksichtigt, so hätte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber jeweils die aktuelle
Kinderzahl bei jeder Veränderung mitteilen müssen. Tut er das nicht, geht dies zu seinen Lasten.
6. Falsches Lebensalter
Es kommt immer wieder vor, daß ausländische Arbeitnehmer ein Lebensalter angeben, das im Nachhinein falsch sein soll. Dies beruht darauf, daß in verschiedenen Ländern, insbesondere
außerhalb Europas, keine Personenstandsregister geführt werden oder geführt wurden.
Gerade bei den türkischen Arbeitnehmern geschieht es, daß diese dann durch ein nachträgliches standesamtliches Verfahren das
richtige Lebensalter feststellen lassen, das dann ggf. von dem ursprünglich angegebenen Lebensalter abweicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie auch des Bundessozialgerichts ist jedoch für
die Regeln des Kündigungsschutzgesetzes und für die die Rentenberechtigung das zuerst angegebene Lebensalter ausschlaggebend.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ausspruch einer
Kündigung dem Arbeitgeber das neue Lebensalter mitgeteilt und ihm die entsprechenden amtlichen Unterlagen zugänglich gemacht hat.
Im vorliegenden Falle siegt der Arbeitgeber, da ihm die falschen Angaben der
Mitarbeiter nicht zuzurechnen sind.