Folge 308

AGG IX – Entschädigung / Schadenersatz


Frage:

    Was geschieht, wenn ein Arbeitnehmer im Betrieb tatsächlich benachteiligt und diskriminiert worden ist. Hat er Anspruch auf Einstellung, Beförderung oder auf Schadenersatz?


Die Lösung


1. Kein Erfüllungsanspruch

    Der Gesetzgeber hat in § 15 Abs. 6 AGG ausdrücklich geregelt, daß ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG keinen Anspruch des Arbeitnehmers oder
    Bewerbers auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, eines Berufsausbildungsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg auslöst. Für einen solchen Anspruch wäre eine vertragliche oder anderweitige
    gesetzliche Rechtsgrundlage erforderlich.

    Dies bedeutet, daß benachteiligte Bewerber oder Arbeitnehmer eine Einstellung und Beförderung nicht erzwingen können. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit bleibt damit
    für den Arbeitgeber trotz der Regelungen des AGG erhalten.

    Etwas anderes gilt für die Kündigung. Wenn die Kündigung wegen Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot rechtsunwirksam ist, besteht das
    Arbeitsverhältnis fort. Dies gilt aber auch dann, wenn die Kündigung aus anderen Gründen sozial nicht gerechtfertigt oder rechtsunwirksam ist.


2. Entschädigungsanspruch

    Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann die diskriminierte Person eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

    Der Entschädigungsanspruch kann sich gegen den
    Arbeitgeber richten. Da der Gesetzgeber keine Begrenzung vorgenommen hat, könnte sich der Entschädigungsanspruch auch gegen den Vorgesetzten oder Arbeitskollegen richten, der ihn diskriminiert hat.


3. Höhe der Entschädigung

    Der Gesetzgeber hat in § 15 Abs. 2 AGG die Höhe der Entschädigung bei Bewerbern auf 3 Monatsgehälter begrenzt, wenn die diskriminierte Person auch bei einer benachteiligungsfreien
    Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

    Es handelt sich insoweit um eine Strafvorschrift gegen den Arbeitgeber dafür, daß er diskriminiert, auch wenn die betreffende Person keine Aussicht auf Einstellung
    gehabt hätte. Im übrigen aber hat der Gesetzgeber keine Höchstgrenzen festgelegt.

    Nach dem Willen des Gesetzgebers hat die Entschädigung angemessen zu sein. Sie liegt allein in der Entscheidung der
    Arbeitsgerichte. Kriterien für die Höhe der Entschädigung sind:

    – Grad des Verschuldens,

    – Schwere und Art der Beeinträchtigung,

    – Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessenschädigung,

    – Anlaß und Beweggründe für die Diskriminierung.

    Bisher gehen deutsche Gerichte bei der Gewährung von Entschädigungszahlungen sehr restriktiv vor. Nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sollte die
    Entschädigung generell einer Monatsvergütung entsprechen. Das LAG Köln hat einer Bewerberin, die bei beanstandungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre, eine Entschädigung in Höhe von nur 2 Monatsvergütungen
    zugesprochen.

    Achtung: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes muß eine Entschädigung geeignet sein, eine abschreckende Wirkung auf den Arbeitgeber und die Vorgesetzten zu haben. Sie muß in
    einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Daraus folgt, daß in Zukunft die Arbeitsgerichte gehalten sind, deutlich höhere Entschädigungssummen festzusetzen, auch wenn die Höhe der
    amerikanischen Entschädigungszahlungen (Millionenhöhe) nicht erreicht werden sollen.


4. Schadenersatz / Verschulden

    Neben dem Entschädigungsanspruch hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 1 AGG den benachteiligten Personen einen Schadenersatzanspruch gegen den Arbeitgeber zugestanden. Der
    Schadenersatzanspruch besteht allerdings dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

    Nach dem Gesetz werden in diesen Fällen bei Verschulden des Arbeitgebers auch
    Vermögensschäden ersetzt, die der Arbeitnehmer durch die Benachteiligung erlitten hat.


5. Vermögensschäden

    Wäre der Bewerber ohne Benachteiligung eingestellt worden, so hat er Anspruch auf das Arbeitsentgelt zumindest bis zum Ende des ersten möglichen Kündigungstermins. Allerdings ist
    anderweitiger Erwerb schadensmindernd zu berücksichtigen.

    Wird ein Arbeitnehmer bei der Beförderung übergangen, so kann der Arbeitnehmer den Unterschiedsbetrag zwischen den Vergütungen bis zum Ende des
    Arbeitsverhältnisses verlangen.


6. Ausschlußfrist

    Ein Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch muß nach § 15 Abs. 4 AGG binnen einer Frist von 2 Monaten schriftlich beziffert beim Schuldner geltend gemacht werden. Die Frist beginnt
    mit Zugang der Ablehnung bzw. der Kenntnis der Diskriminierung.

    Lehnt der Schuldner die Zahlung ab, so muß der Anspruch binnen 3 Monaten beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden, § 616 Arbeitsgerichtsgesetz.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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