Folge 300

AGG VII – Unterschiedliche Behandlung wegen des Alters


Frage:

    Ich bin 53 Jahre alt und alle Bewerbungen scheitern. Kein Arbeitgeber will mich nehmen. Werde ich wegen meines Alters diskriminiert? Muß ich automatisch in Rente gehen, wenn ich 65/67
    Jahre alt werde? Warum darf ich nicht weiterarbeiten? Kann ich als Arbeitgeber gewisse Mindestanforderungen an das Lebensalter und die Berufserfahrung stellen?


Der Fall:

    Arbeitgeber Andrea Palatio baut komplizierte Villen. Alle Bauleute und Architekten, die er einstellt, muß er für seine Zwecke ausführlich schulen. Deshalb möchte er keinen Bewerber
    einstellen, der älter als 55 Jahre ist.

    Arbeitgeber Johannes Keppler ist sehr sozial und hat eine betriebliche Altersversorgung für seine Astronomen und Astronauten eingeführt. Die Altersversorgung will er
    aber nur an Mitarbeiter zahlen, die eine Wartezeit von 15 Jahren erfüllen und damit beim Eintritt nicht älter als 50 Jahre alt sind. Außerdem will er Hinterbliebenenrente nur an die Hinterbliebenen zahlen, die
    höchstens 15 Jahre jünger, als der Arbeitnehmer sind. Die 17jährige Lucretia Borgia hat den 63jährigen Galileo geheiratet. Sie findet es diskriminierend, daß sie von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen
    werden soll.


Die Lösung:


1. Zulässige Differenzierung bei Alter

    Nach § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn diese unterschiedliche Behandlung objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.
    Auch die Mittel zur Erreichung dieses Zieles müssen angemessen und erforderlich sein.

    Der Gesetzgeber hat damit im Gegensatz zu den anderen Diskriminierungstatbeständen deutlich leichtere
    Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine unterschiedliche Behandlung des Alters zugelassen. Die Möglichkeit, bei objektiven und angemessenen Gründen Altersunterschiede zu berücksichtigen, gilt sowohl für
    Individual-Arbeitsverträge, wie auch für Kollektiv-rechtliche Regeln (Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge).

    Aus diesem Grunde ist es z.B. nach wie vor gerechtfertigt, wenn der Urlaubsanspruch in
    Tarifverträgen nach Lebensalter gestaffelt ist. Dies dient dem Gesundheitsschutz für ältere Arbeitnehmer. Hier liegt ein angemessener sachlicher Grund vor.


2. Eingliederung von Jugendlichen/älteren Beschäftigten

    Nach § 10 Ziff. 1 AGG darf der Arbeitgeber besondere Altersgrenzen für die Einstellung von Bewerbern, wie auch für die berufliche Bildung im Unternehmen festlegen, wenn es um die
    berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten oder Personen mit Fürsorgepflichten geht.

    In diesem Falle darf der Arbeitgeber für diese speziellen Arbeitnehmergruppen außerdem auch
    besondere Bedingungen für die Entlohnung und die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vertraglich vereinbaren. Der Gesetzgeber hält die Einführung besonderer Bedingungen für diese gefährdeten
    Arbeitnehmergruppen für angemessen und sachlich gerechtfertigt.


3. Mindestanforderungen an Alter/Berufserfahrung/Dienstalter

    Nach § 10 Ziff. 2 AGG ist es sachlich gerechtfertigt, daß der Arbeitgeber sowohl an das Lebensalter, wie auch an das Dienstalter oder die Berufserfahrung von Bewerbern
    Mindestanforderungen stellt. Dasselbe gilt auch für die Verteilung sonstiger Vorteile im Betrieb, z.B. bei der Beförderung.

    Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen
    Freiheit nicht gezwungen ist, die Kriterien von Lebens- und Berufserfahrung zu ignorieren.


4. Festsetzung eines Höchstalters

    Die Festsetzung eines Höchstalters bei Einstellungen ist nach § 10 Ziff. 3 AGG zulässig, wenn auf bestimmten Arbeitsplätzen spezifische Ausbildungsanforderungen sich stellen oder wenn
    vor dem Eintritt in den Ruhestand eine angemessene Beschäftigungszeit noch zurückgelegt werden muß. Dies gilt vor allem dann, wenn das Erreichen des Rentenalters bereits absehbar ist, i.d.R. ab dem 55.
    Lebensjahr.

    Die gesetzgeberische Überlegung zielt auf Arbeitsverhältnisse, die eine aufwendige Einarbeitung und Einarbeitungszeit am Arbeitsplatz erfordern. Das gilt auch, wenn neben der Einarbeitung
    aufwendige zusätzliche Ausbildungen absolviert werden müssen. In diesen Fällen hat der Arbeitgeber ein berechtigtes betriebswirtschaftliches Interesse daran, daß eine sinnvolle Mindestdauer im Arbeitsverhältnis
    zurückgelegt wird, um eine produktive Arbeitsleistung für den Arbeitgeber zu gewährleisten. Schließlich ist das Arbeitsverhältnis von Gegenseitigkeit geprägt.

    Weitere Beispiele:

    – Die Höchstaltersgrenze
    kann auch zulässig sein, wenn eine bestimmte körperliche Belastbarkeit erforderlich ist, die evtl. bei höherem Lebensalter nicht mehr gewährleistet wird.

    – Eine Höchstaltersgrenze ist sachlich gerechtfertigt,
    wenn im Film oder Theater ein jugendlicher Liebhaber gefordert wird.

    – Dasselbe gilt, wenn ein Redakteur für Musiksendungen gesucht wird, die sich überwiegend an Jugendliche richten,

    – eine
    Höchstaltersgrenze kann dann gerechtfertigt sein, wenn im Reisebüro ein Ansprechpartner speziell für Jugendliche und junge Kunden gesucht wird.


5. Betriebliche Altersversorgung

    Nach § 10 Ziff. 4 AGG ist die Festsetzung von Altersgrenzen bei dem betrieblichen System der sozialen Sicherheit (betriebliche Altersversorgung) als Voraussetzung für die Mitgliedschaft
    oder den Bezug von Altersrente zulässig.

    Die Rechtsprechung hat schon in der Vergangenheit im Bereich der betrieblichen Altersversorgung verschiedene Altersgrenzen für zulässig erachtet. Der Gesetzgeber hat
    durch die neue gesetzliche Regelung die Zulässigkeit dieser Altersgrenzen bestätigt.

    Dies gilt zum einen für Wartezeitregelungen und Höchsteintrittsaltersgrenzen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, festzulegen,
    welchen Kreis von Arbeitnehmern er mit einer betrieblichen Altersversorgung bedenken will. Er will mit der Altersversorgung Betriebstreue entlohnen und die Mitarbeiter im Betrieb halten bzw. von einem Wechsel,
    z.B. zur Konkurrenz, abhalten. Deshalb kann er festlegen, daß Arbeitnehmer, die aufgrund des nahenden Rentenalters nicht mehr erhebliche Zeiten im Betrieb zurücklegen können, von ihm keine Altersversorgung
    bekommen.

    Auch die sog. „Spätehenklausel“ ist nach bisheriger Rechtsprechung zulässig. Wenn Ehepartner wesentlich jünger sind als der Betriebsrentner, so braucht der Arbeitgeber für Hinterbliebene keine
    Hinterbliebenenversorgung zu erbringen. Es soll u.a. verhindert werden, daß so die Betriebsgemeinschaft für „Versorgungsehen“ aufzukommen hat (sog. „Josephsehen“).


6. Ausscheiden wegen Rentenberechtigung

    Nach § 10 Ziff. 5 AGG sind Vereinbarungen weiterhin zulässig, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsehen, zu dem der oder die
    Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann.

    Nach § 41 Sozialgesetzbuch VI ist der Anspruch auf Rente wegen Alters nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den
    Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Allerdings ist auch nach dieser Vorschrift eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Rentenzeitpunkt möglich.

    Diese Regelung
    des Gesetzes ist sachgerecht, um einer Überalterung der Belegschaft vorzubeugen und um junge Bewerber in Arbeit zu bringen.


7. Kündigung

Nach dem bisher geltenden Regeln des Kündigungsschutzgesetzes sowie des BGB ist auch bei Kündigungen das Alter ein Kriterium, nach dem bei der Länge von Kündigungsfristen und bei der
sozialen Schutzwürdigkeit differenziert werden darf. Wie sich hier zukünftig die Rechtsprechung entwickelt, bleibt abzuwarten.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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