Frage:
Muß ich mir eine sexuelle Belästigung durch Arbeitskollegen oder Arbeitgeber im Betrieb gefallen lassen? Wo kann ich mich beschweren, muß mir der Betriebsrat helfen? Habe ich eine Chance, wenn ich wegen dem
Erzählen von Witzen oder dem Streicheln oder Küssen einer Arbeitskollegin gekündigt werde?
Der Fall:
Die Arbeitnehmer Casanova und Potemkin machen sich einen Spaß daraus, jeden Montag die weiblichen Auszubildenden über ihre amourösen Abenteuer am Wochenende zu befragen und einer Schilderung aller Einzelheiten zu
bestehen. Die Arbeitgeberin Katharina von Anhalt-Zerbst tobt, als sie das erfährt und wirft beide fristlos raus. Casanova und Potemkin klagen und fühlen sich wegen ihrer Kollegialität mißverstanden.
Die Lösung:
1. Schutz vor Belästigung
Wer sich sexuell oder in anderer Weise im Betrieb belästigt fühlt, hat das Recht, sich beim Arbeitgeber und/oder beim Betriebsrat zu beschweren. Sowohl der Arbeitgeber, wie der Betriebsrat sind verpflichtet,
umgehend entsprechende Maßnahmen einzuleiten bzw. eine Klärung der Vorwürfe durchzuführen.
Achtung: In der Praxis besteht das Problem in der Regel in der Beweisbarkeit der Vorwürfe. Solche Belästigungen
erfolgen zumeist unter vier Augen und werden im Streitfall abgestritten. Trotz aller Bemühungen sind in solchen Fällen die Aufklärungsmöglichkeiten von Betriebsrat, Arbeitgeber oder auch des Arbeitsgerichts sehr
beschränkt. Wichtig ist deshalb im Vorfeld eine entsprechende Beweissicherung
2. Ermahnung
In ganz leichten Fällen der sexuellen Belästigung kommt eine formlose Ermahnung in Betracht. Zu denken wäre z.B. an eine einmalige Belästigung durch einen sexuellen Witz, der gegen den Willen der betroffenen
Person erzählt wird.
3. Abmahnung
Die Abmahnung ist gegenüber der Kündigung stets das mildere Mittel. Vor einer verhaltensbedingten Kündigung ist sie deshalb stets erforderlich, wenn nicht schon erhebliche einschlägige Vorgänge vorhanden sind.
Die Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn die Verstöße so schwerwiegend sind, daß der Arbeitnehmer nicht damit rechnen konnte, der Arbeitgeber werde die Verstöße ohne Kündigung hinnehmen.
Von der Rechtsprechung entschiedene Fälle:
– unerwünschtes Streicheln (ein Arbeitnehmer hat wiederholt seinen Arm um die Schulter einer Auszubildenden gelegt und sie an einer nicht-kompromittierenden Stelle
gestreichelt),
– Pieksen, Hinterherpfeifen, In-den-Weg-Stellen (ein Arbeitnehmer hat Kolleginnen durch Pieksen, Stechen und Hinterherpfeifen belästigt und sich ihnen in den Weg gestellt),
– sexuell
gefärbter Spott (ein Arbeitnehmer hat sich mit sexuellen Anspielungen über Herpesbläschen bei Kolleginnen lustig gemacht).
4. Ordentliche Kündigung
Bei stärkerer sexuelle „Anmache“ oder Tätlichkeiten im Bereich erogener Zonen sieht die Rechtsprechung zumindest eine ordentliche Kündigung als angemessen an.
Beispiele:
– Bewerbungsgespräch in einer Sauna
(ein Personalchef traf sich mit Stellenbewerberinnen in den Abendstunden und begab sich mit ihnen in die Sauna, um dort Einstellungsgespräche zu führen),
– wiederholt obszöne Angebote (ein Bereichsleiter hat
seinen Mitarbeiterinnen gegenüber wiederholt obszöne Angebote gemacht und diese mit keuchenden Geräuschen untermalt),
– Schlag gegen weibliche Brust (ein Arbeitskollege hat einer Kollegin gegenüber öfters
Bemerkungen sexuellen Inhalts gemacht, ihr mit dem Handrücken gegen die Brust geschlagen und gemeint, sie solle sich nicht so anstellen),
– Anfassen weiblicher Brust,
– wiederholte Umarmungen und
Berührungen bzw. Streicheln gegen den Willen der Mitarbeiterin.
5. Außerordentliche Kündigung
Sind die Belästigungen so stark, daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wird, so ist die fristlose, außerordentliche Kündigung nach der Rechtsprechung gerechtfertigt.
Beispiele:
– Anfassen
an Po und Brüsten (ein Ausbilder pflegte mit Auszubildenden einen besonders lockeren Umgang und faßte sie an die entsprechenden Körperstellen),
– fortgesetztes Erzählen sexueller Geschichten (ein Arbeitnehmer
hat seine Kollegin über einen längeren Zeitraum damit belästigt, daß er ihr immer wieder pornographische Geschichten und Witze erzählte, um sie damit zum Erröten zu bringen oder anzumachen),
– obszöne
Aufforderung zu sexuellen Handlungen (ein Arbeitnehmer hat seine Kollegin mehrfach zu sexuellen Handlungen aufgefordert, u.a. mit Worten wie „kleine süße Sau“ etc.,
– obszönes Ausfragen, Bemerkungen und
Berühren (ein Arbeitnehmer hat eine Kollegin regelmäßig montags in obszöner Weise nach ihren sexuellen Aktivitäten während des Wochenendes befragt, sie dabei auch an die Brust gefaßt und ihr mitgeteilt, er könne
ihr verschiedene Techniken zeigen).
6. Ergebnis
Die Rechtsprechung reagierte bereits vor dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz scharf auf sexuelle Belästigungen aller Art am Arbeitsplatz. Nach der Einführung dieses Gesetzes ist allen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern dringend angeraten, von solchen Belästigungen abzusehen und auch nur den „bösen Anschein“ zu vermeiden, um nicht unschuldig in Verdacht zu geraten.
Die Arbeitgeber müssen, wenn sie Kenntnisse
erlangen, nach dem aufgeführten abgestuften System reagieren, um selbst nicht in Gefahr zu geraten, ein „feindliches Umfeld“ geschaffen oder geduldet zu haben.
Allerdings wird in der Praxis weiter das Problem
der Beweisbarkeit von Vorwürfen sich stellen. Um „Hexenjagden“ und dem Vorwurf der Verleumdung zu begegnen, ist allen Belästigten dringend anzuraten, zunächst ausreichende Beweise zu sammeln, soweit dies möglich
ist.