Frage:
Ich fühle mich in meinem Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber, aber auch von Vorgesetzten und von Arbeitskollegen benachteiligt. Hilft mir das neue Gleichbehandlungsgesetz weiter, am Arbeitsplatz mein Recht zu
finden?
Der Fall:
Arbeitgeber Heinrich von Kleist ist ein sehr sensibler und empfindsamer Arbeitgeber. Er versucht es allen Recht zu machen und ist gleichwohl verzweifelt darüber, daß viele seiner Arbeitnehmer unzufrieden sind
bzw. sich benachteiligt fühlen.
Prokurist Henry de Toulouse-Lautrec erklärt, daß er wegen seiner Kleinwüchsigkeit und Verkrüppelung schon seit seiner Einstellung verspottet und benachteiligt werden.
Finanzleiter Baruch Spinoza fühlt sich als Jude wegen seiner Rasse diskriminiert. Der Pförtner Friedrich Engels meint, daß er als bekennender Marxist wegen seiner Weltanschauung nie befördert worden sei. Die
Chefsekretärin Edith Piaf meint, daß sie als Frau in dieser Firma von den sie umgebenden Obermachos ständig benachteiligt werden. Die Betriebspsychologin Hildegard von Bingen fühlt sich wegen ihrer Religion als
praktizierende Christin diskriminiert. Mit ihrem Nonnenschleier dürfe sie noch nicht einmal die Kantine aufsuchen.
Der im Dienst ergraute Lagerarbeiter Nostradamus wird vom Lagerleiter ständig bedrängt,
endlich in die Rente zu gehen. Nostradamus fühlt sich wegen seines Alters diskriminiert. Der Dekorateur und Knabenliebhaber Michelangelo Caravaggio soll zukünftig nur noch mit Damen zusammenarbeiten oder ganz
alleine dekorieren. Er meint, daß diese Anweisung eine Benachteiligung wegen seiner sexuellen Identität beinhalte und rechtswidrig sei.
Können die Mitarbeiter des Arbeitgebers Heinrich von Kleist aufgrund des
allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erfolgreich gerichtlich vorgehen?
Die Lösung:
1. Verbotene Spielarten der Diskriminierung
Der Gesetzgeber hat in § 3 AGG geregelt, welche Arten von Handlungen, Akten, Unterlassungen aus seiner Sicht im Rahmen eines Benachteiligungsverbotes in Betracht kommen bzw. zu unterlassen sind.
Der
Gesetzgeber hat dabei 5 Handlungen bzw. Vorgehensweisen im Rahmen von Diskriminierungen ausdrücklich aufgeführt und gewertet:
– Die unmittelbare Benachteilung,
– die mittelbare Benachteiligung,
– die Belästigung,
– Sexuelle Belästigung und
– die Anweisung zur Benachteiligung einer Person.
2. Unmittelbare Benachteiligung
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine beschäftigte Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere vergleichbare Person. Eine
unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt auch dann vor, wenn eine Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft benachteiligt wird.
Beispiele:
– Wir stellen keine Frauen ein,
– für gleiche Arbeit bekommen Ausländer weniger Geld,
– Schwerbehinderte bekommen kein Weihnachtsgeld, weil sie dem Betrieb ohnehin viel Geld kosten.
Seit Abschaffung der „Leichtlohngruppen“ (Frauen
bekamen bei gleicher Arbeit und Leistung weniger Geld) bemühen sich die meisten Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie Betriebsräte unmittelbare Diskriminierungen in den Betrieben zu
unterlassen.
Achtung: Soweit unmittelbare Diskriminierungen noch geschehen, finden diese zumeist zwischen Arbeitskollegen statt. Hier hat der Arbeitgeber die Pflicht, bei Bekanntwerden sofort einzugreifen und
dies zu unterbinden, andernfalls macht er sich schadenersatzpflichtig.
3. Mittelbare Diskriminierung
Die mittelbare Benachteiligung von Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen ist heute der Hauptfall der Diskriminierung in der Arbeitswelt bzw. in den Betrieben. Da in den Zeiten der „political correctness“
anerkannt ist, daß unmittelbare Diskriminierungen „unfein“ sind, weichen viele Menschen in der Arbeitswelt – Arbeitgeber wie Arbeitnehmer – in den Bereich der mittelbaren Benachteiligung aus.
Nach § 3 Abs. 2
AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften oder neutrale Kriterien und Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen
im Betrieb in besonderer Weise benachteiligen können. Eine solche mittelbare Benachteiligung ist nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings dann zulässig, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder
Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind.
In der Vergangenheit hat sich die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes vor allem mit der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechtes befaßt. Nach dem klar war, daß die unmittelbare Diskriminierung der Frau in der
Arbeitswelt nicht zu halten ist, traten viele Bereiche der mittelbaren Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt auf, z.B.:
– Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten bei betrieblicher Altersversorgung,
–
Ausschluß der Geringbeschäftigten von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
– die Weigerung, Geringbeschäftigten oder anderen Teilzeitbeschäftigten Urlaub zu gewähren oder Feiertagsvergütung bzw. die
Pflicht, Feiertage nachzuarbeiten.
Nach der Rechtsprechung handelte es sich in allen diesen Fällen um die mittelbare Benachteiligung einer Geschlechtergruppe, da hier zwischen 75 und 98 % ausschließlich
Frauen betroffen waren. Ein sachlicher Grund für diese mittelbare Diskriminierung lag nicht vor.
Auch heute können scheinbar völlig neutrale Anforderungen/Kriterien diskriminierend sein, z.B.
–
Beförderungsvoraussetzungen: ununterbrochene tatsächliche Beschäftigung = mittelbare Diskriminierung von Frauen,
– Einstellungsbedingung: Akzentfreies Deutsch oder einwandfreies Ergebnis bei schriftlichem
Deutsch-Sprachtest, obwohl die fehlerfreie schriftliche Beherrschung der deutschen Sprache für den Arbeitsplatz nicht notwendig ist = mittelbare Diskriminierung ausländischer Bewerber (Nationalität/ethnische
Herkunft),
– Einstellungs-/Beförderungsbedingung: Uneingeschränkte körperliche Belastbarkeit = mittelbare Diskriminierung von Behinderten,
– Einstellungsvoraussetzung in der Gastronomie: Glattes Haar =
mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft,
– keine Kopfbedeckung im Dienst = möglicherweise mittelbare Diskriminierung wegen der Religion.