Folge 284

Überstunden / Verfallfrist II

(Stand 2025)


Der Fall

Heidschnuckenschäfer Hermann Löns war bei dem Jungunternehmer Emil von Behring als Landschaftspfleger angestellt, um die Grünanlagen rund um das gesamte Firmengelände und die Produktionsanlagen mit seinen Heidschnucken in Ordnung zu halten.

Im schriftlichen Arbeitsvertrag war ein Gehalt von 2.500 Euro brutto monatlich bei 40 Wochenarbeitsstunden geregelt. Außerdem war vereinbart, dass mit diesem Gehalt sämtliche Überstunden, egal welcher Art und aus welchem Grunde, abgegolten seien.

In § 15 des Arbeitsvertrages war außerdem eine Ausschlussklausel geregelt. Danach war der Arbeitnehmer verpflichtet, sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach Fälligkeit schriftlich innerhalb eines Monats geltend zu machen. Andernfalls sollen diese Ansprüche verfallen.

Als Hermann Löns im Frühsommer mit seinen Heidschnucken in der Sonne so still vor sich hin träumte, erhielt er die schneidige Anweisung des Betriebsleiters Doc Holiday, sich die nächsten Wochen über das normale Maß hinaus kräftig ins Zeug zu legen, um die Außenanlagen für den Tag der Offenen Tür der Behringwerke TipTop auf Vordermann zu bringen. Löns und seine Schafe knieten sich kräftig ins Gras. Zur Erfüllung des Auftrages leistete Löns im Juni 262 Stunden, im Juli 270 Stunden.

Als die Herbstnebel durch das Lahntal zogen, kam dem still vor sich hin sinnierenden Heidschnuckenschäfer die Idee, dass er wenigstens einen Teil seiner Überstunden bezahlt bekommen müsse.

Er machte deshalb mit Schreiben vom 20.11. die Bezahlung aller Überstunden geltend, die über 216 Monatsstunden hinaus gingen. Außerdem wollte er einen Zuschlag von 25 % auf die Überstunden.

Unternehmer Emil von Behring ist der Ansicht, dass ein Überstundenanspruch wegen der vertraglichen Regelung generell nicht besteht. Außerdem wäre ein solcher Anspruch durch die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist verfallen und untergegangen.

Doch der von Hermann Löns eingeschaltete Rechtsanwalt Dr. Eisenbart fackelte nicht lange und erhob Klage. Mit Erfolg?


Die Lösung


6. Arbeitgeberanweisung

Vom Arbeitgeber zu vergütende Überstunden oder Mehrarbeit liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber oder seine Repräsentanten, Abteilungsleiter etc. diese Überstunden angeordnet haben.


Ein Überstundenanspruch kann jedoch auch dann entstehen, wenn die Überstunden zwar ohne Anweisung des Arbeitgebers, aber mit dessen Wissen und Duldung abgeleistet wurden.

Hermann Löns hat seine Überstunden auf Anweisung des Betriebsleiters Doc Holiday durchgeführt, insoweit besteht für die Verantwortlichkeit der Arbeitgeberseite kein Bedenken.


7. Anspruch trotz gesetzlichem Beschäftigungsverbot

Emil von Behring und sein Betriebsleiter Doc Holiday hätten aufgrund des Beschäftigungsverbotes des § 3 Arbeitszeitgesetz die Arbeitsleistung von Hermann Löns über 208 bzw. 216 Arbeitsstunden pro Monat hinaus weder anordnen, noch dulden, noch entgegennehmen dürfen. Nach § 3 ArbZG darf die gesetzliche Höchstarbeitszeit in der Regel nur 48 Stunden pro Woche, maximal aber 60 Stunden pro Woche betragen, wenn innerhalb von 6 Monaten ein Ausgleich auf den Durchschnitt von 48 Stunden erfolgt. Ein solcher Ausgleich durch Verminderung der nachfolgenden Arbeitszeit ist aber nicht erfolgt.

Dieses gesetzliche Beschäftigungsverbot führt aber nicht dazu, dass der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Gesetz dann von seiner Zahlungspflichtbefreit wäre. Verstößt der Arbeitgeber gegen das Gesetz, wird er vom Gesetzgeber nicht noch durch den Wegfall des Vergütungsanspruches für den Gesetzesverstoß belohnt!

Der Sinn des Beschäftigungsverbotes besteht vielmehr darin, eine Arbeitsleistung zu verhindern, die zu einer Überforderung des Arbeitnehmers und einer Gefährdung seiner Gesundheit führt. Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bleibt von diesem Beschäftigungsverbot unberührt, wenn er unzulässige Mehrarbeit ableistet.


8. Bezahlung der Mehrarbeit

In den Herbstnebeln kam Hermann Löns richtigerweise zu dem Schluss, dass mit seiner Gehaltsvereinbarung und Abgeltung aller Überstunden mit dem Gehalt maximal die Überstunden innerhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeit abgegolten sein könnten. Die darüber hinausgehende Vereinbarung stellte auf alle Fälle eine unzulässige Benachteiligung des Arbeitnehmers dar. Mit dieser Vereinbarung verstieß der Arbeitgeber gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, sowie gegen das Benachteiligungsverbot des § 307 BGB.

Emil von Behring muss dem Schäfer Hermann Löns jedoch die gesamte Mehrarbeit bezahlen, nicht nur die Arbeitszeit, die über 208 Stunden pro Monat hinaus von ihm abgeleistet wurde.

Die Rechtsprechung hat festgestellt, dass es zwar zulässig sein kann eine bestimmte Zahl von Überstunden mit dem in der Regel dann überdurchschnittlich hohen Gehalt abzugelten. Ist das gewollt, dann muss aber im Arbeitsvertrag im Vorhinein genau festgelegt sein, wie viele Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Klartext: Die konkrete Zahl muss genannt sein!

Der Arbeitnehmer muss schon vor der Unterschrift unter die Vereinbarung genau wissen, auf was er sich einlässt, d.h. sehen, ob die zu zahlende Vergütung so hoch ist, dass er mit der Überstundenabgeltung einverstanden sein kann. Andernfalls liegt wegen der Unklarheit der Regelung zu Lasten des Arbeitnehmers eine unzulässige Benachteiligung nach § 307 Abs.1 BGB vor. Daraus ergibt sich die Unwirksamkeit der Abgeltungsvereinbarung im Arbeitsvertrag von Hermann Löns.

Einen Zuschlag für diese Mehrarbeit, z.B. 25 % kann Hermann Löns jedoch nicht verlangen, da kein Tarifvertrag gilt und Überstundenprozente im Arbeitsvertrag nicht vereinbart wurden.


9. Untergang eines Anspruchs im Arbeitsverhältnis

Es stellt sich weiterhin die Frage, ob der nunmehr festgesellte Anspruch von Hermann Löns auf Bezahlung von Mehrarbeit (alle Arbeit, die über die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche abgeleistet wurde) noch besteht, rechtzeitig geltend gemacht wurde, oder vielleicht untergegangen ist, wie Emil von Behring meint.


10. Verjährung

Die regelmäßige Verjährungsfrist für alle Ansprüche aus Verträgen beträgt mittlerweile nach § 195 BGB 3 Jahre. Da Hermann Löns seinen Mehrarbeitsvergütungsanspruch noch im selben Jahr am
20.11. geltend gemacht hatte, liegt keine Verjährung vor.


11. Tarifliche Verfallfristen

In Tarifverträgen sind regelmäßig weitaus kürzere Verfallfristen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vorgesehen. Die in Gehalts-, Mantel- oder Rahmentarifverträgen enthaltenen Verfallfristen verlangen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen einer gewissen Frist geltend machen. Erfolgt die Geltendmachung nicht innerhalb der Frist, so verfällt der Anspruch.

Die in den Tarifverträgen vorgesehenen Verfallfristen bewegen sich i.d.R. zwischen 1 Monat und 6 Monaten nach Fälligkeit. In der Mehrzahl der Fälle beträgt die Ausschlussfrist 2-3 Monate nach Fälligkeit.

Voraussetzung ist allerdings, dass die Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.


12. Einzelvertragliche Verfallfristen

Finden auf das Arbeitsverhältnis Tarifverträge keine Anwendung, so können nach ständiger Rechtsprechung auch in Arbeitsverträgen solche Verfall- oder Ausschlussfristen vereinbart werden.

Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwingend, ihre Ansprüche zeitnah geltend zu machen und zu klären. Da das Arbeitsverhältnis ein Austauschverhältnis ist, ist
stets die zeitnahe Abwicklung der gegenseitigen Ansprüche wünschenswert.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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