Folge 267

Zulässigkeit von Nebentätigkeiten II


Der Fall

    Buchhalter Jonathan Swift möchte neben seinem Brotberuf Bücher schreiben. Die am Abend beschäftigte Bedienung Marylin Monroe möchte tagsüber in Hollywood als angestellte Schauspielerin
    arbeiten. Der in Khartoum stationierte General Charles George Gordon möchte, von der Langeweile getrieben, eine Brauerei für die vom Wüstensand ausgedörrten Engländerkehlen eröffnen. Der Archivar Ludwig Bickell
    sammelt Antiquitäten und ist ständig klamm. Zur Aufbesserung seiner Finanzen möchte er in der Würstchenbude neben dem Staatsarchiv in seiner Freizeit als Verkäufer arbeiten.

    In den Verträgen aller Genannten
    befindet sich ein Nebentätigkeitsverbot. Zumindest muß die Nebentätigkeit zuerst vom Arbeitgeber oder Dienstherrn genehmigt werden.

    Der Antrag von Jonathan Swift wird abgelehnt, weil Bücherschreiben die
    Fantasie eines Buchhalters zu sehr erregt. Die Bedienung Marylin erhält eine Ablehnung, weil die Filmaufnahmen am Tag sowie die Tätigkeit in der Nacht zusammengerechnet gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.

    General Gordon und Archivar Bickell erhalten eine Ablehnung, weil sich die geplanten Nebentätigkeiten mit den althergebrachten Grundsätzen des Öffentlichen Dienstes nicht vertragen und die profane Tätigkeit im
    Genußbereich das Ansehen der ausgeübten Berufe beflecke.

    Buchhalter Swift und General Gordon sehen sich in ihrer freien Berufsausübung unzulässig behindert. Bedienung Marylin und Archivar Bickell brauchen
    einfach das zusätzliche Geld für ihren Lebensunterhalt bzw. die Antiquitätensammlung.


Die Lösung


5. Grenzen der Nebentätigkeitsverbote

    Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können zunächst Nebentätigkeitsverbote zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder den Tarifvertragsparteien bzw. den Betriebsparteien (Betriebsrat
    und Arbeitgeber) vereinbart werden. Allerdings steht auch die Vertragsfreiheit unter gewissen Einschränkungen. Die vereinbarten Regeln dürfen weder sittenwidrig sein, noch gegen Treu und Glauben, noch gegen
    grundgesetzlich verbriefte Rechte oder andere zwingende Gesetze verstoßen. Der Arbeitgeber darf mit der Nebentätigkeitsgenehmigung vor allem den Arbeitnehmer nicht in seiner grundgesetzlich gewährleisteten
    freien Entfaltung der Persönlichkeit ohne sachliche, berechtigte Interessen beeinträchtigen. Das bedeutet, der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer insoweit nicht knebeln. Andererseits aber muß der Arbeitnehmer die
    berechtigten Interessen des Arbeitgebers berücksichtigen. Wer seine Arbeitskraft verkauft, muß im Rahmen der vertraglichen Nebenpflicht auch den vollen Einsatz seiner Arbeitskraft gewährleisten.

    – Freie Berufsausübung

    Die Vertragsparteien müssen beim Abfassen des Arbeitsvertrages berücksichtigen, daß die freie Berufsausübung des Arbeitnehmers nach Art. 12 GG verfassungsmäßig geschützt ist. Der
    Arbeitnehmer muß die Möglichkeit haben, seinen notwendigen oder auch gewünschten Lebensunterhalt durch die Verwertung seiner Arbeitskraft im gewünschten Umfange zu bestreiten.

    Deshalb hat das
    Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß aus dem Schutzbereich des Art. 12 GG auch das Recht des Arbeitnehmers auf Nebentätigkeiten oder Zweitberufe folgt. Durch dieses Grundrecht soll jeder in die Lage versetzt
    werden, jede Tätigkeit auszuüben, die er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts für notwendig hält. Der Arbeitnehmer stellt nämlich bei Abschluß des Arbeitsvertrages seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber nicht
    unbeschränkt zur Verfügung, sondern nur in einem bestimmten vereinbarten Zeitrahmen. Außerhalb dieses Zeitrahmens ist der Arbeitnehmer mit der Verwertung seiner Arbeitskraft generell frei, soweit dadurch der
    bestehende Vertrag nicht beeinträchtigt wird.

    – Billiges Ermessen / Treu und Glauben

    Der Arbeitgeber darf Nebentätigkeiten des Arbeitnehmers – egal ob ehrenamtlich oder bezahlt – nach den Grundsätzen des §
    315 BGB und des § 242 BGB nur insoweit einschränken, als er nach billigem Ermessen auch berechtigte, sachlich ausgewogene Gründe für eine Einschränkung der Nebentätigkeit und den Umfang besitzt. Willkürliche
    oder „grundsätzliche“ Verbote sind gesetzeswidrig.

    – Verbot der unangemessenen Benachteiligung:

    § 307 BGB verbietet im Rahmen von Formularverträgen und Arbeitsverträgen, die der Arbeitgeber einseitig
    formuliert hat, die unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers als Vertragspartner. Auch danach benötigt der Arbeitgeber ausgewogene und sachlich fundierte Gründe, um einem Arbeitnehmer Nebentätigkeiten im
    ehrenamtlichen oder im kommerziellen Bereich zu verbieten. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, daß die Formulierung des Nebentätigkeitsverbots nicht ausreichend klar und deutlich
    ist.

    Fazit: Die maßgebliche Grenze für Nebentätigkeitsverbote bzw. die Pflicht zur Genehmigung ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag und der dort übernommenen Arbeitspflicht des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer
    hat jede Nebentätigkeit – auch ehrenamtliche Nebentätigkeit! – zu unterlassen, die mit der Arbeitspflicht kollidiert, die die Arbeitsleistung beeinträchtigt oder unmöglich macht und damit zur Verletzung der
    Arbeitspflicht und des Arbeitsvertrages führt. Wann diese Grenzen verletzt sind, muß in jedem Einzelfall entschieden werden.

    6. Anzeigepflicht

    Ist im Arbeitsvertrag zur Nebentätigkeit nichts vereinbart, so
    besteht regelmäßig noch nicht einmal eine Anzeigepflicht bei Eingehung einer Nebentätigkeit außerhalb der Arbeitszeit. Soweit allerdings die Nebentätigkeit mit dem Arbeitsverhältnis kollidieren könnte oder mit
    dem Arbeitgeber wegen der Nebentätigkeit Probleme entstehen könnten, empfiehlt es sich, vorsorglich dem Arbeitgeber eine Mitteilung darüber zu machen. Erfolgt vom Arbeitgeber keine Reaktion, ist der Arbeitnehmer
    dann abgesichert.

    Gegen eine vertraglich vereinbarte Anzeigepflicht für Nebentätigkeiten bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Dies gilt insbesondere für Zweitarbeitsverhältnisse oder gewerbliche
    Selbständigkeit. Der Arbeitgeber hat nach § 242 BGB generell einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer wegen bezahlter Nebentätigkeiten. Er hat das Recht zur Prüfung, ob die Nebentätigkeit mit den
    arbeitsvertraglichen Pflichten kollidiert. Er hat sogar die Pflicht, zu kontrollieren, daß insgesamt die Grenzen der Arbeitszeitordnung gewahrt sind.


7. Genehmigungsvorbehalt

    Die Rechtsprechung hat bisher auch keine Einwendungen gegen eine arbeitsvertraglich vereinbarte Meldepflicht mit Genehmigungsvorbehalt für Nebentätigkeiten erhoben. Der Arbeitgeber ist
    jedoch nicht darin frei, die Genehmigung zu erteilen oder zu verweigern. Vielmehr muß er nach der Rechtsprechung unter Berücksichtigung der grundgesetzlich gesicherten Berufsfreiheit und des Rechts auf freie
    Entfaltung der Persönlichkeit eine Nebentätigkeit genehmigen, wenn die vertraglich geschuldete Leistung durch die Nebentätigkeit nicht beeinträchtigt wird. Nur dann hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse
    an einer Verweigerung der Genehmigung.

    Im Falle von Marylin Monroe muß der Arbeitgeber prüfen, ob die Bedienungstätigkeit sich zeitlich mit Filmaufnahmen im Studio vereinbaren lassen und die Regeln des
    Arbeitszeitgesetzes dann noch gewahrt sind.

    Im Fall von General Gordon und Archivar Bickell könnten die besonderen Interessen des Öffentlichen Dienstes gegen Brauerei- und Imbißtätigkeiten stehen, wenn
    dadurch Ansehen und Würde des Amtes beeinträchtigt werden können. Beim Archivar Bickell dürfte dies aber kaum der Fall sein.


8. Generelles Verbot

    Ein generelles Verbot von Nebentätigkeiten ist unzulässig. Damit greift der Arbeitgeber in jedem Falle rechtswidrig in die Rechtspositionen des Arbeitnehmers ein.

    Das Schreibverbot
    für Buchhalter Jonathan Swift wäre deshalb als willkürlich abzulehnen.

    Nach bisheriger Rechtsprechung war ein generelles Nebentätigkeitsverbot dahingehend auszulegen, daß der Arbeitgeber nur bei berechtigten
    Interessen Nebentätigkeiten verbieten durfte. Im übrigen sollte das Nebentätigkeitsverbot rechtsunwirksam sein.

    Ob diese Rechtsprechung nach der neuen Schuldrechtsreform aufrechterhalten werden kann, ist
    fraglich. In § 307 BGB n.F. ist klar geregelt, daß Bestimmungen in Formularverträgen etc. rechtsunwirksam sind, in denen ein Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt wird. Ein rechtswidriges generelles
    Nebentätigkeitsverbot ist eine solche Benachteiligung. Nach dem Gesetz ist damit das Nebentätigkeitsverbot generell rechtsunwirksam.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.