Folge 260

Heiße Tage VI – Maßnahmen (2)


Der Fall

    Arbeitgeber Sergej Eisenstein residiert mit seinem Filmimperium im gläsernen Potempkin-Tower. Die Arbeitnehmer stöhnen im Sommer über die massive Sonneneinstrahlung. Betriebsrätin
    Florence Nightingale möchte helfen. Sie fordert deshalb von Eisenstein für den Sommer zusätzlich bezahlte Pausen, den Einbau einer umfassenden Klimaanlage und als Sofortmaßnahme kostenlose Getränke für alle
    Arbeitnehmer.

    Arbeitgeber Eisenstein schlägt dagegen eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf die Vormittagsstunden vor und die Verrechnung des Nachmittags mit dem Urlaubsanspruch, evtl. noch eine Woche
    Betriebsferien. Arbeitnehmerin Katharina erhebt Einspruch, weil sie keinen Urlaubsanspruch mehr besitzt.

    Arbeitnehmer Ivan der Schreckliche wäre schon froh, wenn er nicht jeden Tag am Arbeitsplatz frisch
    rasiert, mit geschlossenem weißen Hemd, Jacket und Schlips antreten müßte.


Die Lösung:


1. Arbeitszeitverkürzung

    Eine vorübergehende Arbeitszeitverkürzung auf die kühleren Vormittage während der Hitzewochen ohne Lohnausgleich ist problematisch. Sofern kein Betriebsrat besteht, wäre eine
    Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich per Direktionsrecht generell nicht möglich. Entsprechende Eingriffsmöglichkeiten des Arbeitgebers sind in Arbeitsverträgen normalerweise nicht geregelt. Selbst dann wäre
    eine einseitige Reduzierung der Arbeitszeit gegen den Willen des Arbeitnehmers wegen Verstoßes gegen die Billigkeitsgrundsätze des § 315 BGB problematisch.

    Arbeitgeber Eisenstein könnte mit der Betriebsrätin
    Nightingale per Betriebsvereinbarung Kurzarbeit als vorübergehende Arbeitszeitverkürzung gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 3 Betriebsverfassungsgesetz regeln. In diesem Falle würde eine entsprechende Vergütungsminderung
    für den Mitarbeiter eintreten. Es ist aber nicht davon auszugehen, daß die Betriebsrätin eine solche Betriebsvereinbarung ohne Not unterschreibt. Wenn nicht massive Gründe vorliegen, könnte dies sogar eine
    Amtspflichtverletzung darstellen.

    Anders würde es sich verhalten, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat per Betriebsvereinbarung wegen der Hitze die Durchführung von Betriebsferien vereinbaren. Da hier eine
    Anrechnung auf den Urlaubsanspruch erfolgt, entfällt der Lohnanspruch nicht. Die Durchführung von Betriebsferien bedarf jedoch der Zustimmung der Betriebsrätin Nightingale nach § 87 Abs. 1 Nr. 5
    Betriebsverfassungsgesetz. Dringende betriebliche Belange im Sinne des § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz lägen vor.

    Sollte kein Betriebsrat existieren, ist die Einführung von Betriebsferien zwar generell
    möglich, aber schwieriger. Nach § 7 Bundesurlaubsgesetz müssen die dringenden betrieblichen Belange gegenüber den persönlichen Interessen der Mitarbeiter überwiegen. Dies muß jedoch genau geprüft werden.

    Wird
    Betriebsurlaub kurzfristig eingeführt, so muß der Arbeitgeber auch den Mitarbeitern Urlaub gewähren, die ihren Urlaubsanspruch bereits aufgezehrt haben. Er bleibt diesen Mitarbeitern gegenüber zahlungspflichtig
    aus den Grundsätzen des Annahmeverzugs nach § 615 BGB. Arbeitnehmerin Katharina braucht keine Bedenken zu haben.

    Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber den restlichen Urlaub des Arbeitnehmers in Übereinstimmung
    mit diesem bereits genehmigt und festgelegt hat. Auch dann wäre er bei der Einführung des kurzfristigen Betriebsurlaubs verpflichtet, diesem Mitarbeiter den Urlaub zusätzlich zu gewähren und zu bezahlen.

    Achtung: Es ist nicht möglich, die tägliche Arbeitszeitverkürzung auf den Vormittag mit dem Urlaubsanspruch zu verrechnen. Halbe Tage (Nachmittag) können nicht als Urlaub gewährt werden. Der Urlaub muß
    mindestens tageweise genommen werden. Der entsprechende Vorschlag von Eisenstein ist rechtlich nicht durchführbar.


2. Pausen

    Arbeitgeber und Betriebsrat können per Betriebsvereinbarung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz die Einführung von zusätzlichen Pausen vereinbaren. Betriebsrätin Florence
    Nightingale kann dies auch durch ihr Initiativrecht wegen der Hitze beantragen.

    Allerdings sind solche Pausen generell nicht vergütungspflichtig. Die Betriebsrätin kann durch Initiativrecht
    vergütungspflichtige Pausen nicht durchsetzen. Dies könnte Arbeitgeber Eisenstein nur freiwillig den Mitarbeitern anbieten.

    Andererseits kann Arbeitgeber Eisenstein einseitig durch das Direktionsrecht nicht
    zusätzlich unbezahlte Pausen den Arbeitnehmern aufzwingen. Insoweit ist, wenn ein Betriebsrat nicht existiert, nur eine einvernehmliche Regelung mit Zustimmung der Arbeitnehmer möglich.


3. Kostenlose Erfrischungen

    Arbeitnehmer haben aus dem Arbeitsvertrag gegen den Arbeitgeber in der Regel weder einen Anspruch auf kostenlose Erfrischungen, Speisen, Gelatti oder Getränke. Auch in der sommerlichen
    Hitze entsteht ein solcher arbeitsvertraglicher Anspruch nicht kraft „höherer Gewalt“.

    Aus diesem Grunde kann Betriebsrätin Nightingale zwar dem Arbeitgeber einen solchen Vorschlag gem. § 80 Abs. 1 Ziff. 2
    Betriebsverfassungsgesetz machen. Sie kann diesen Vorschlag jedoch nicht gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen.


4. Sonnenschutz

    Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung und nach den §§ 3, 4 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, eine Gefährdung der Gesundheit der Mitarbeiter mit allen zumutbaren
    Mitteln zu vermeiden. Dies gilt insbesondere für die Abwehr schädigender oder belastender unmittelbarer Sonneneinstrahlung. Aus diesem Grunde ist Arbeitgeber Eisenstein verpflichtet, in seinem Kristall-Tower die
    Fenster mit einer entsprechenden Schutztönung zu versehen oder Sonnenrollos, Gardinen, Sonnensegel etc. anzubringen.

    Der Betriebsrat hat hier ein Mitbestimmungsrecht sowohl nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG wie
    auch nach § 90 Abs. 1 BetrVG.


5. Klimaanlage etc.

    Zur Minderung der Hitzebelastung kann der Einbau verschiedener mechanischer Vorrichtungen beitragen, wie z.B. der Einbau von Ventilatoren, eines Gebläses oder einer Klimaanlage.

    Es
    ist im Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit der Einbau solcher Anlagen für die Verminderung der gesundheitlichen Belastung oder zur Verhinderung der Gesundheitsgefährdung erforderlich und geeignet ist. Dies
    muß stets im Einzelfall geprüft werden, da sowohl Ventilatoren, wie auch Gebläse und Klimaanlagen wiederum negative gesundheitliche Auswirkungen haben können. Teilweise sind die gesundheitlichen Schäden durch
    solche Anlagen größer, als die Belastungen durch die Hitze.

    Aus diesen Gründen kann Betriebsrätin Nightingale den Einbau einer Klimaanlage oder sonstigen Lüftungsgeräte durch den Arbeitgeber Eisenstein nicht
    erzwingen.

    Sollte allerdings eine solche Anlage eingebaut werden, besteht nach § 90 und nach § 87 Abs. 1 Ziff. 7 Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungsrecht, da der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter in
    jedem Falle durch den Einbau der Anlagen berührt ist.


6. Bekleidung

    Strenge Bekleidungsvorschriften sind im Laufe der letzten 10 Jahre in den meisten Unternehmen deutlich gelockert worden.

    Die Frage, ob die strengen Bekleidungsvorschriften im
    Firmenimperium geändert werden, ist zunächst eine Entscheidung des Arbeitgebers Eisenstein. Gerade bei entsprechender Hitzebelastung und dem Fehlen von Publikumsverkehr erscheint eine entsprechende Suspendierung
    sachlich gerechtfertigt und angebracht. Allerdings kann Arbeitnehmer Ivan die Änderung der Kleidervorschriften nicht einseitig erzwingen.

    Achtung: Bekleidungsvorschriften betreffen in der Regel nicht die
    Erbringung der Arbeitsleistung, sondern das Ordnungsverhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Aus diesem Grunde sind Bekleidungsvorschriften generell mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1
    Betriebsverfassungsgesetz. Besteht ein Betriebsrat und will der Arbeitgeber Bekleidungsvorschriften, z.B. Krawattenzwang einführen, so benötigt er die Zustimmung des Betriebsrats. Dasselbe gilt für die Änderung
    oder die Abschaffung der Kleiderordnung. Auch hier muß Betriebsrätin Nightingale zustimmen. Verweigert sie dies, muß Igor weiter mit weißen Hemd, Schlips und Jacket am Arbeitsplatz dienen.

    Beachte: Etwas
    anderes gilt für Sicherheitskleidung. Soweit durch berufsgenossenschaftliche Vorschriften Sicherheitsbekleidung vorgeschrieben ist, darf der Arbeitgeber diese Vorschriften nicht suspendieren. Insoweit besteht
    auch kein Mitbestimmungsrecht, da der Arbeitgeber durch zwingende Vorschriften keine Entscheidungs- und Ermessensfreiheit besitzt.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
Linkverweise ohne Einschränkung/Begrenzung. Bitte kopieren Sie dazu die URL aus der Browserzeile.
Wörtliche Textzitate: Ohne Rücksprache bis 2 Absätze aus bis zu 10 Folgen jew. mit Linkverweis. Weitergehende Textübernahmen nur mit schriftlicher Genehmigung.
Wichtiger Hinweis: Bitte keine e-mails mit konkreten Rechtsfragen einsenden, da diese nicht beantwortet werden können.