Der Fall
Arbeitgeber Karl der Kahle hat schon viele Hitzewellen im Laufe seines langen Lebens überstanden. Er ist alt und müde und möchte nur noch seine Ruhe. Am liebsten ist ihm, wenn der
Betrieb so weiterläuft wie er schon immer lief.
Den Arbeitnehmer Pippin drückt die sommerliche Hitze furchtbar auf seine kurzen Beine, so daß er vor lauter Schwellungen kaum noch stehen kann. Er möchte
möglichst früh am morgen in der Kühle mit seiner Arbeit beginnen.
Arbeitnehmer Caracalla dagegen erinnert sich an seine italienische Heimat. Ihm wäre am liebsten, die Arbeitszeit möglichst in den kühleren
Abend hinein zu verschieben.
Die neugewählte Betriebsrätin Florence Nightingale wird deshalb beim Arbeitgeber Karl vorstellig. Sie will vor allem die Gleitzeitregelung für die Sommertage flexibilisieren und
die Kernzeitregelung aufheben, um den Arbeitnehmern ein Ausweichen in den Morgen oder Abend zu ermöglichen.
Karl der Kahle fragt seinen Rechtsberater Mephisto Ulpianius, ob er reagieren muß.
Die Lösung
1. Arbeitsschutzgesetz – Pflichten des Arbeitgebers
Der Gesetzgeber hat in § 3 Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber klar die Verpflichtung auferlegt, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes für die Sicherheit und Gesundheit der
Beschäftigten zu ergreifen. Nach § 4 dieses Gesetzes muß die Arbeit so gestaltet werden, daß eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden wird und die verbleibende Gefährdung möglichst gering
gehalten wird.
Dies gilt in erster Linie für die Gefahren, die aus der Arbeit, von Maschinen und durch Arbeitsabläufe bedingt sind. Letztendlich aber gilt dies auch für eine Gesundheitsgefährdung durch große
Hitze am Arbeitsplatz, mag sie von Maschinen verursacht sein, oder durch die Außentemperatur.
§ 4 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, die Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen. Dies ist bei
großer Hitze möglich, wenn die Hitze von den Arbeitsmitteln, den Maschinen etc. ausgeht. Gegen das Wetter allerdings kann der Arbeitgeber nicht kämpfen.
Das Gesetz will weiterhin, daß bei der Durchführung
entsprechender Schutzmaßnahmen der Stand der Technik und Arbeitsmedizin zu berücksichtigen ist. Die Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik und Arbeitsorganisation sowie sonstige Arbeitsbedingungen
sachgerecht miteinander zu knüpfen. Dabei ist der kollektive Schutz vorrangig. Individuelle Schutzmaßnahmen müssen zurückstehen, soweit sie den kollektiven betrieblichen Maßnahmen entgegenstehen, oder ihre
Realisierung unverhältnismäßig wäre (§ 4 Ziff. 5 Arbeitsschutzgesetz).
Auch wenn der Gesetzgeber in den verschiedenen Vorschriften offen gelassen hat, welche Maßnahmen vom Arbeitgeber zum Schutz der
Gesundheit der Mitarbeiter im einzelnen ergriffen werden, so hat der Gesetzgeber jedoch immer wieder unmißverständlich dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegt, Maßnahmen zu ergreifen, soweit dies technisch möglich
und organisatorisch möglich sowie wirtschaftlich zumutbar erscheint.
Sollte der Arbeitgeber dies pflichtwidrig unterlassen, müßte ggf. der Betriebsrat im Wege des Initiativrechtes vorstellig werden und
Vorschläge nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz machen oder mitbestimmungspflichtige Maßnahmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz einfordern.
2. Änderung der Arbeitszeit
In vielen Fällen kann gerade bei großer Hitze am Tage eine Entlastung der Mitarbeiter schon dadurch erreicht werden, daß die Arbeitszeit in den Morgen oder in den Abend verschoben wird.
Wenn dies technisch möglich ist und kein Schichtbetrieb besteht, so sind diese Maßnahmen regelmäßig für den Arbeitgeber auch am kostengünstigsten durchzuführen.
Welche Regelungen im einzelnen sachgerecht
sind, muß in jedem Unternehmen bzw. in jedem Betrieb im einzelnen geprüft werden. Vom Grundgedanken her hat sich eine Verlagerung der Arbeitszeit in die frühen Morgenstunden bewährt, zum Teil aber auch eine
Verlagerung in die Abendstunden.
Sofern eine Gleitzeitvereinbarung besteht, muß in diesen Fällen die Regelung über die Kernarbeitszeit und die Anwesenheitspflicht der Arbeitnehmer suspendiert werden. Die
Kernarbeitszeit muß aufgehoben oder umverlegt werden.
Erfahrungsgemäß sind die Wünsche und persönlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer unterschiedlich gestaltet. Es empfiehlt sich deshalb, darüber nachzudenken,
inwieweit es die Betriebsabläufe zulassen, auch den Arbeitnehmern die Einteilung ihrer Arbeitszeit freizustellen und individuelle Regelungen zu ermöglichen.
3. Mitbestimmung des Betriebsrats
Jede Veränderung der betrieblichen Arbeitszeit ist zwingend mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz. Dies gilt insbesondere für die Veränderung der
Gleitzeitarbeit und der mit dem Betriebsrat festgelegten Gleitzeitordnung.
Die Mitbestimmung des Betriebsrats kann weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer und den Arbeitnehmern gemeinsam ausgeschaltet
werden.
Dies wäre auch nicht sinnvoll. Soweit nämlich Betriebsrat und Arbeitgeber einer gemeinsame Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit in Hitzeperioden abschließen, gilt diese Betriebsvereinbarung gem.
§ 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz unmittelbar und zwingend in allen Arbeitsverhältnissen des Betriebes. Der Arbeitgeber braucht dann in der Regel keine weiteren individualrechtlichen Maßnahmen durchzuführen,
um die neue Arbeitszeitregelung gegenüber den Mitarbeitern durchzusetzen.
Achtung: Etwas anderes gilt nur dann, wenn einzelne Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages eine für sie spezielle
Arbeitszeitregelung getroffen haben. Dies gilt vor allem für Teilzeitarbeitnehmer. Nach dem Günstigkeitsprinzip gilt diese Individualabrede weiter. Sie wird nicht durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst oder
aufgehoben.
Es ist im übrigen dringend zu empfehlen, die Betriebsvereinbarung über die neue Arbeitszeitregelung offen zu gestalten und nicht als Zwangsinstrument einzusetzen. Dies bedeutet, daß die
Betriebsvereinbarung die Möglichkeit einer Arbeitszeitverlagerung eröffnet, ohne die Arbeitnehmer dazu zu zwingen. Es darf dabei nämlich nicht verkannt werden, daß einzelne Arbeitnehmer aufgrund privater
Verpflichtungen vielleicht nicht in der Lage sind, ohne weiteres ihre bisherige Arbeitszeit zu verlagern.
4. Direktionsrecht
Soweit im Betrieb ein Betriebsrat nicht existiert, entfällt die Möglichkeit der unmittelbar zwingend geltenden Betriebsvereinbarung. Wenn in diesen Fällen der Arbeitgeber die Arbeitszeit
flexibilisieren will, so geschieht dies in der Regel durch sein Direktionsrecht oder durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer.
Ob das Direktionsrecht gegen den Willen des Arbeitnehmers
jedoch eine Arbeitszeitverlagerung zuläßt, muß im Einzelfall geprüft werden. Dies hängt von der Ausgestaltung des Arbeitsvertrages ab. Soweit nur eine Wochenarbeitszeit vereinbart ist, liegt die Bestimmung des
täglichen Beginns und Endes der Arbeitszeit regelmäßig in der Hand des Arbeitgebers. Etwas anderes könnte sich allerdings ergeben, wenn durch eine langjährige Übung eine Konkretisierung auf eine bestimmte
Arbeitszeit eingetreten ist.
Sofern das Direktionsrecht nicht greift, wäre eine Änderungskündigung oder eine Änderungsvereinbarung vonnöten. Auch hier empfiehlt es sich, soweit wie möglich auf die
individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen.