Folge 258

Heiße Tage am Arbeitsplatz IV


Der Fall

    Während des heißen Sommers steigen die Temperaturen in der Sargfabrik von Vito Corleone unmäßig an. Trotz der heftigen Klagen der Mitarbeiter Schopenhauer, Barbarossa und Heinrich Schütz
    sorgt Vito Corleone nicht für eine Besserung. Als Capo del Capi liebt er zwar nicht das Tageslicht, umso mehr aber die Sonne.

    Dem sibirischen Asylbewerber Fjodor Ivanovic platzt der Kragen. Er will hitzefrei
    und macht ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Die dadurch aufgeschreckte Betriebsrätin Berta Krupp macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und verlangt kostenloses Eisdessert in der Mittagspause, eine Verlagerung
    der Arbeit in die Abendstunden, eine Klimaanlage und für die Übergangszeit zusätzlich bezahlte Pausen mit Liegestühlen im schattigen Fabrikgarten.

    Vito Corleone bangt um seine geliebten Sonnenstunden im Betrieb.


Die Lösung


1. Zurückbehaltungsrecht

    Nach § 273 BGB kann ein Vertragspartner ein Zurückbehaltungsrecht ausüben, wenn der andere Partner seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Ein solches
    Leistungsverweigerungsrecht ist aber bei sommerlich verursachter Hitze im Betrieb regelmäßig nicht gegeben (Ausnahmen bestätigen bei extremer Hitze die Regel).

    Die Arbeitsstättenverordnung verpflichtet
    Arbeitgeber Don Vito nicht zu bestimmten Schutzmaßnahmen bei Hitze. Deshalb handelt Fjodor Ivanovich auf eigenes Risiko, wenn er nicht arbeitet. Die Leistungsverweigerung führt bei Hitze regelmäßig nicht zum
    Annahmeverzug des Arbeitgebers. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Hitze so groß ist, daß ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig wird oder Gesundheitsschädigungen erleidet. Dann kann er sich allerdings
    Krankschreiben lassen.

    „Hitzefrei“ bedeutet eigenmächtige Freizeit. Dies führt zum Wegfall des Lohnanspruchs und ggf. zu einer Abmahnung. Das Recht auf Selbstbeurlaubung besteht nicht.

    Achtung: Kommt es
    durch die große Hitze zu Störungen des Betriebsablaufs, z.B. wegen Ausfall der Computer oder von Maschinen, so bleibt der Arbeitgeber trotzdem zur Zahlung des Arbeitsentgelts nach den Grundsätzen des
    Annahmeverzugs § 615 BGB verpflichtet. Im Rahmen des Allgemeinen Betriebsrisikos ist er verpflichtet, die notwendigen Arbeitsmittel zu stellen.


2. Mitbestimmung

    Betriebsrätin Berta Krupp hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungsrecht für alle Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
    sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschrift. Wenn Arbeitgeber Don Vito Corleone keine Maßnahmen ergreift, besitzt sie ein Initiativrecht und kann ein Tätigwerden des Arbeitgebers
    verlangen. Unterläßt er dies, kann sie die Einsetzung einer Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht erzwingen.

    Achtung: Das Mitbestimmungsrecht besteht nur soweit, wie die zwingenden gesetzlichen
    Vorschriften dem Arbeitgeber einen Ermessens- und Regelungsspielraum geben. Wo alles durch den Gesetzgeber festgelegt ist, gibt es keinen Handlungsspielraum für den Arbeitgeber, aber auch kein
    Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat.

    § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung schreibt vor, daß die Arbeitsstätte vom Arbeitgeber so zu organisieren ist, daß von ihr keine Gefährdung für die Sicherheit und
    Gesundheit der Beschäftigten ausgeht.

    Darüber hinaus regelt § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der
    Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Dabei hat er stets eine Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten anzustreben. Er muß nach § 4 Ziff.
    1 Arbeitsschutzgesetz die Arbeit so gestalten, daß eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.

    Da der Gesetzgeber keine
    einzelnen Maßnahmen vorgeschrieben hat, hat der Arbeitgeber insoweit eine sehr breite und weitgehende Gestaltungsmöglichkeit.

    Aus diesem Grunde ist das Mitbestimmungsrecht der Betriebsrätin Berta Krupp ebenso
    weit ausgestaltet. Im Rahmen ihrer Initiativrechtes kann sie vom Arbeitgeber zunächst das verlangen, was sie für richtig hält. Ob dies dann immer gerichtlich durchsetzbar ist, muß im Einzelfall geprüft werden.

    Ergänzend dazu bestimmt § 80 Abs. 1 Ziff. 2 Betriebsverfassungsgesetz, daß der Betriebsrat die allgemeine Aufgabe hat, Maßnahmen beim Arbeitgeber zu beantragen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen.
    Dazu gehören auch Maßnahmen zur Kühlung der Betriebsräume bzw. zur Abwehr der Hitze. Der Gesetzgeber hat zunächst keine Einschränkungen bei diesem Vorschlagsrecht des Betriebsrats gemacht. Alles, was ihr
    hilfreich und praktisch erscheint, kann deshalb Betriebsrätin Berta Krupp vorschlagen.

    Auch wenn eine einzelne Maßnahme von der Betriebsrätin Krupp nicht gerichtlich durchsetzbar sein sollte, könnte es im
    Ergebnis gleichwohl auch im Interesse des Arbeitgebers liegen, wenn es ihm technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. In diesem Falle können Betriebsrat und Arbeitgeber eine freiwillige
    Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG über die Durchführung von Hitzebekämpfungsmaßnahmen abschließen. Auch die Einschaltung der Berufsgenossenschaft zur Verhinderung von Betriebsunfällen kann im Einzelfall
    geboten sein.

    Da der Gesetzgeber in § 87 Abs. 1 Ziff. 7 Betriebsverfassungsgesetz ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Regelungen über den Gesundheitsschutz vorgesehen hat und in § 4 Abs. 1
    Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten, daß eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden wird, empfiehlt es sich für den Arbeitgeber Don Vito dringend, die
    Initiative der Betriebsrätin Berta Krupp zu respektieren und ernsthaft mit ihr zu verhandeln. Andernfalls müßte ggf. eine Einigungsstelle über die im Betrieb zu treffenden Anti-Hitze-Maßnahmen befinden.

    Achtung: Die Mitbestimmung dient dazu, allgemeine Regelungen im Betrieb zu treffen, nicht aber Maßnahmen für einzelne Mitarbeiter mitzubestimmen. Regelungen in Einzelfällen sind deshalb mitbestimmungsfrei.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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