Folge 257

Heiße Tage am Arbeitsplatz III


Der Fall:

    Arbeitgeberin Annette von Droste hat wunderschöne Betriebsräume im Herbst angemietet mit großen Fenstern, Helligkeit und Südhanglage. Im Sommer aber knallt die Sonne auf das Gebäude und
    heizt die Räume auf 30 Grad und mehr auf.

    Arbeitnehmer Schopenhauer ist sonnen- und wärmeempfindlich. Er kann kaum noch arbeiten und verlangt hitzefrei bei voller Bezahlung.

    Arbeitnehmern Charlotte Buff
    ist von Johann Wolfgang im 6. Monat schwanger. Sie leidet sehr unter der Hitze und will von den großen Fenstern weg.

    Arbeitnehmer Fjodor Ivanovic war schon im Winter recht durstig. Jetzt fordert er von
    Arbeitgeberin Annette wegen der Hitze kostenlose Getränke aller Art.

    Dem Betriebsrat Guiseppe Verdi hat es bei den hohen Temperaturen fast die Stimme verschlagen. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und
    verlangt von Annette das Anbringen von Sonnenjalousien, die Einführung von Nachtarbeit, kostenlose Getränke für alle und eine bezahlte verlängerte Mittagspause mit Liegestühlen unter schattigen Bäumen.

    Arbeitgeberin Annette ist verzweifelt. Sie will die Räume wieder kündigen, wenn sie eine andere Betriebsstätte findet. Kurzfristig bietet sie den Arbeitnehmern Kurzarbeit an, allerdings bei voller Lohnkürzung.


Die Lösung


7. Temperaturgrenze 26 Grad Celsius

    Im Gesetz, d.h. in der Arbeitsstättenverordnung ist die Temperaturgrenze von 26 Grad Celsius als Höchsttemperatur in Betriebsstätten nicht aufgeführt. Diese Obergrenze findet sich nur
    ein Mal in Ziff. 3.3 der Arbeitsstätten-Richtlinie Raumtemperaturen Nr. 6. Doch auch dort ist diese Vorschrift lediglich eine Soll-Vorschrift. Der Arbeitnehmer kann die Einhaltung dieser Vorschrift nicht
    erzwingen.

    Achtung: Die Arbeitsstätten-Richtlinien sind – im Gegensatz zur Arbeitsstättenverordnung – keine Gesetze oder Rechtsnormen. Es handelt sich hierbei um arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und
    Empfehlungen, die vom Gesetzgeber übernommen worden sind, ohne daß der Gesetzgeber diese Richtlinien in Gesetzesform gegossen hätte.

    Außerdem gilt nach den Hinweisen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
    Arbeitsmedizin die Grenze von 26 Grad Celsius in der ASR 6 nur für Temperatureinflüsse, die durch die Betriebsanlagen selbst, d.h. durch warme Maschinen, die Beleuchtung, Heizung usw. verursacht wird. Sofern die
    Innentemperatur durch hohe Außentemperaturen erhöht wird, gilt die Regelung, daß die Lufttemperatur zumindest in Ausnahmefällen höher sein darf.

    Somit können sich die Arbeitnehmer die Rechtsprechung der
    Oberlandesgerichte zum Gewerbemietrecht nicht zunutze machen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist alleine auf das Verhältnis zwischen dem Vermieter und der Arbeitgeberin als Mieterin bezogen.

    Generell muß davon ausgegangen werden, daß Überschreitungen der Grenze von 26 Grad Celsius in Arbeitsräumen durch sommerliche Hitze nicht automatisch eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin
    beinhaltet.

    Allerdings folgt aus § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung, daß die Arbeitgeberin dafür zu sorgen hat, daß von den Arbeitsstätten keine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten ausgeht. Dies
    bedeutet, daß die Arbeitgeberin versuchen muß, gesundheitlich erträgliche Raumtemperaturen durch organisatorische oder praktische Maßnahmen herzustellen. Dabei darf sie die Besonderheiten der betrieblichen
    Verhältnisse und die Grundsätze der wirtschaftlichen Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.

    Inwieweit die Pflicht zur Ergreifung einzelner Maßnahmen, z.B. der Einführung einer Klimaanlage, von Jalousien oder
    Dienstbefreiung/Hitzefrei besteht, muß im Einzelfall geprüft werden (dazu später).


8. Wohlbefinden

    Aus der gesetzlichen Formulierung „keine Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten“ muß gefolgert werden, daß die Arbeitnehmer von Seiten der Arbeitgeberin nicht verlangen können,
    daß schon ihr bloßes Wohlbefinden durch Absenkung der Raumtemperatur gesteigert wird.

    Es besteht zwar ein erhebliches Eigeninteresse der Arbeitgeberin für ein „gutes Klima“ im Betrieb zu sorgen. Die
    schädlichen Folgen einer hohen Raumtemperatur und damit die Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen liegen auf der Hand, wie nachlassende Leistungsfähigkeit, Gefährdung der Gesundheit mit Krankschreibungen,
    Konzentrationsschwächen, steigende Unfallgefahr etc. Die Arbeitgeberin muß jedoch erst dann aufgrund ihrer Fürsorgepflicht eingreifen, wenn die Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Arbeitnehmer umschlägt in
    eine Gesundheitsgefährdung.

    Diese Grenzen sind fließend und objektiv nicht ohne weiteres festzumachen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch die subjektiven Befindlichkeiten der einzelnen Arbeitnehmer
    teilweise sehr unterschiedlich sind.


9. Schwangere / Jugendliche

    Für Schwangere und stillende Mütter gibt es besondere Schutzvorschriften.

    § 4 Abs. 1 Mutterschutzgesetz verbietet für werdende Mütter, also für Schwangere, die Beschäftigung mit
    Arbeiten, bei denen sie schädlichen Einwirkungen u.a. von Hitze oder Kälte ausgesetzt sind. Dies bedeutet, daß Arbeitgeberin Annette der schwangeren Mitarbeiterin Charlotte Buff in jedem Falle einen Arbeitsplatz
    geben muß, der auch von der Raumtemperatur her zuträglich ist und die schwangere Charlotte nicht der Hitze aussetzt. Allerdings spielt auch die subjektive Befindlichkeit der Schwangeren eine Rolle. Sofern
    Charlotte besonders wärmeliebend ist, wären vielleicht 20 oder 30 Grad noch zuträglich. Insoweit muß aber mit ihr ein Einvernehmen erzielt werden.

    Dasselbe Beschäftigungsverbot gilt gem. § 6 Abs. 3
    Mutterschutzgesetz auch für stillende Mütter nach der Entbindung.

    Für Jugendliche gibt es ebenso besondere Schutzvorschriften. Nach § 22 Jugendarbeitsschutzgesetz dürfen Jugendliche nicht mit gefährlichen
    Arbeiten beschäftigt werden, die ihre Gesundheit gefährden. In § 22 Abs. 1 Ziff. 4 Jugendarbeitsschutzgesetz ist geregelt, daß Jugendliche nicht mit Arbeiten beschäftigt werden dürfen, bei denen ihre Gesundheit
    durch außergewöhnliche Hitze oder Kälte oder starke Nässe gefährdet wird. Die Frage, was außerordentliche Hitze im Sinne des Gesetzes ist, muß in jedem Einzelfall geprüft und beantwortet werden. Auch hier hat
    der Gesetzgeber keine objektive Temperaturgrenze angegeben.

    Da auf die Gesundheitsgefährdung sowohl bei Schwangeren, stillenden Müttern wie auch bei Jugendlichen abgestellt wird, muß jeweils im Einzelfall
    geprüft werden, wie die gesundheitliche Konstitution der Mitarbeiter ist und ob individuell betrachtet eine Gesundheitsgefährdung vorliegt oder ob die erhöhte Temperatur im Einzelfall sogar das Wohlbefinden
    fördert.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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