Der Fall
Arbeitgeberin Annette von Droste hat wunderschöne Betriebsräume im Herbst angemietet mit großen Fenstern, Helligkeit und Südhanglage. Im Sommer aber knallt die Sonne auf das Gebäude und
heizt die Räume auf 30 Grad und mehr auf.
Arbeitnehmer Schopenhauer ist sonnen- und wärmeempfindlich. Er kann kaum noch arbeiten und verlangt hitzefrei bei voller Bezahlung.
Arbeitnehmern Charlotte Buff
ist von Johann Wolfgang im 6. Monat schwanger. Sie leidet sehr unter der Hitze und will von den großen Fenstern weg.
Arbeitnehmer Fjodor Ivanovic war schon im Winter recht durstig. Jetzt fordert er von
Arbeitgeberin Annette wegen der Hitze kostenlose Getränke aller Art.
Dem Betriebsrat Guiseppe Verdi hat es bei den hohen Temperaturen fast die Stimme verschlagen. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und
verlangt von Annette das Anbringen von Sonnenjalousien, die Einführung von Nachtarbeit, kostenlose Getränke für alle und eine bezahlte verlängerte Mittagspause mit Liegestühlen unter schattigen Bäumen.
Arbeitgeberin Annette ist verzweifelt. Sie will die Räume wieder kündigen, wenn sie eine andere Betriebsstätte findet. Kurzfristig bietet sie den Arbeitnehmern Kurzarbeit an, allerdings bei voller Lohnkürzung.
Die Lösung
1. Fürsorgepflicht
Die Arbeitnehmer verkaufen zwar ihre Arbeitskraft und einen Teil ihrer Lebenszeit an die Arbeitgeberin. Dies bedeutet aber nicht, daß sie am Arbeitsplatz alle Zustände hinnehmen müßten,
die sich dort durch betriebliche Umstände, aber auch durch Klimaeinwirkungen bieten.
Neben den Hauptleistungspflichten trifft den Arbeitgeber die allgemeine Fürsorgepflicht als vertragliche Nebenpflicht
gegenüber den Arbeitnehmern. Er hat dafür zu sorgen, daß die Arbeitsbedingungen gesundheitszuträglich sind. Gesundheitsgefahren und gesundheitliche Schädigungen muß er mit allen ihm zur Verfügung stehenden,
zumutbaren Mitteln abwenden. Er hat die Betriebsabläufe, die Produktionsmittel und Maschinen, die Gebäude, die Arbeitsräume, und die Arbeitsplätze so zu gestalten, daß ein möglichst gesundheitlich zuträgliches
Arbeiten gewährleistet ist. Hierbei muß im Einzelfall allerdings abgewogen werden zwischen der technischen und sonstigen Machbarkeit einerseits und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit andererseits.
Studien der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben ergeben, daß besonders hohe Temperaturen an Arbeitsstätten einerseits zu einer erheblichen Belastung der Mitarbeiter, andererseits aber auch zu einem
erhöhten Unfallrisiko führt. Bei einem Anstieg der Temperaturen über 22 Grad muß mit einem Abfall der Leistungsfähigkeit um 5 % pro zusätzlichem Grad Raumtemperatur gerechnet werden.
Achtung: Das bedeutet
auch, daß im Winter in überhitzten Räumen die Arbeitsleistung der Mitarbeiter spürbar absinken kann!
Da die heißen Sommer (z.B. 2003) zunehmen werden, muß Arbeitgeberin Annette schon im eigenen Interesse
dafür sorgen, daß in ihren Betriebsräumen zuträgliche Temperaturen herrschen, um betriebliche Verluste durch Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Unfallgefahren etc. abzuwenden.
2. Dürftige Vorschriftenlage
Soweit es um die Ausgestaltung der Räumlichkeiten außerhalb der Sicherheitsanforderungen im engeren Sinne geht, ist die Gesetzes- und Rechtslage recht dürftig ausgestattet. Sowohl
Betriebsräte wie Arbeitnehmer sind bei der Suche nach entsprechende Vorschriften zu Recht enttäuscht. Der Gesetzgeber hat insoweit kaum Regelungen getroffen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, welche
Temperaturen am Arbeitsplatz zu herrschen haben, bzw. den Arbeitnehmern noch zumutbar sind.
In der Arbeitsstättenverordnung alter Fassung war in § 6 wenigstens noch geregelt, daß eine „gesundheitlich
zuträgliche Raumtemperatur“ am Arbeitsplatz herrschen muß. Der Gesetzgeber hat jedoch die Arbeitsstättenverordnung mit dem Gesetz vom 12. August 2004 neu gefaßt und „entrümpelt“. Dabei sind die teilweise schon
recht bescheidenen Anforderungen an Arbeitsstätten noch einmal ausgedünnt worden. Die Neuregelung der Arbeitsstättenverordnung 2004 hat u.a. das Ziel verfolgt, die Betriebe von den detaillierten Regelungen der
Arbeitsstättenverordnung 1975 zu entlasten und praxisorientierte Regelungen durch einen zu bildenden „Ausschuß für Arbeitsstätten“ vornehmen zu lassen.
Die Arbeitsstättenverordnung 2004 enthält in ihrem
Anhang zu § 3 keine Anforderungen mehr an Mindestmaße für Arbeitsräume (Grundfläche, Höhe und Mindestluftraum), keine Erfordernisse einer Sichtverbindung nach außen, keine Maßvorgaben an die Gestaltung von
Pausen-, Bereitschafts- und Sanitärräumen sowie eine Erleichterung zur Toilettengestaltung.
3. § 618 BGB
Nach § 618 Abs. 1 BGB muß die Arbeitgeberin Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften zur
Arbeitsleistung so einrichten und unterhalten, daß die Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.
Es handelt sich hier um eine
gesetzliche Ausformung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht. Der Gesetzgeber hatte in dieser Generalklausel dem Arbeitgeber aufgegeben, Gesundheit und Leben der Mitarbeiter zu schützen. Allerdings enthält
das Gesetz den einschränkenden Hinweis auf die Art sowie die Natur der Arbeitsleistung. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber insbesondere die technische und wirtschaftliche Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit in die
Abwägung einbezieht, wieweit die Schutzverpflichtung der Arbeitgeberin geht.
§ 618 Abs. 2 BGB regelt die Verpflichtung der Arbeitgeberin zum Schadenersatz, wenn sie die ihr obliegende Verpflichtung zum Schutz
von Leben und Gesundheit des Mitarbeiters schuldhaft nicht erfüllt. Neben dem arbeitsvertraglichen Schadenersatzanspruch besteht dann auch ein spezieller deliktischer Schadenersatzanspruch nach §§ 842 ff. BGB
mit dem Anspruch auf Schmerzensgeld.
Achtung: Bei Arbeitsunfällen ist die Haftung des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen nach den §§ 104, 105 SGB VII jedoch beschränkt auf die Schadensverursachung durch
Vorsatz. Bei fahrlässiger oder grob fahrlässiger Schädigung ist der Schadenersatzanspruch gegen Arbeitgeber und Arbeitskollegen ausgeschlossen. Statt dessen entsteht ein Anspruch gegen die Berufsgenossenschaft.
§ 618 BGB enthält jedoch keine konkrete Vorschrift darüber, wie hoch die Raumtemperaturen im Betrieb sein dürfen oder sein müssen. Es ist insbesondere nicht geregelt, ab welcher Temperatur Arbeitnehmer
eventuell vom Arbeitgeber zusätzliche Leistungen, wie Getränke, fordern oder gar ihre Arbeit einstellen dürfen.