Der Fall
Arbeitgeber Gotthilf Riö unterhält ein Konzertensemble. Sänger und Musikanten tragen beim Konzert eine wohlgefällige Einheitskleidung. Aus Gründen der „Corporate Identity“ ordnet
Gotthilf Riö an, diese auch im privaten Bereich bei festlichen Gelegenheiten zu tragen. Arbeitnehmer Rudi Karacho findet diese Kleidung altbacken und geschmacklos. Er will sich nicht daran halten.
Arbeitgeber
Ibrahim Pascha ordnet für seine Süßwarenfabriken an, daß wegen der weltweiten Einheitlichkeit die männlichen Arbeitnehmer auch in Deutschland Vollbart und die Arbeitnehmerinnen ein Kopftuch tragen. Betriebsrat
Paulus reklamiert eine Mitbestimmung.
Arbeitgeber Willy Graham hat neben seiner Brotfabrik eine Kapelle gebaut. Er ordnet zur Persönlichkeits- und Gewissensbildung für die gesamte Belegschaft und 9 Uhr
Morgengottesdienst und um 12 Uhr gemeinsames Hallelujah-Rufen an. Der Betriebsrat Thomas will das nicht dulden und opponiert.
Die Lösung
1. Arbeitskleidung
Die Kleidung ist etwas sehr persönliches. Sie ziert oder entstellt nicht nur den Arbeitnehmer, sondern ist Ausdruck seines Geschmacks und seiner Persönlichkeit.
Trotzdem kann der
Arbeitgeber bei berechtigtem Interesse eine bestimmte Arbeitskleidung vom Arbeitnehmer im Betrieb fordern. Berechtigte sachliche Gründe können Sicherheitsvorschriften oder –anforderungen sein, z.B. für
Sicherheitsschuhe, Sicherheitskleidung (Forstarbeiter), Helme, Handschuhe, Gehörschutz etc.
Arbeitgeber Gotthilf hat ein berechtigtes Interesse an einem einheitlichen Auftreten seines Konzertensembles im
Falle der Aufführung. So kommt der festliche und geschlossene Charakter des Ensembles weitaus besser zum Tragen, als bei individueller Kleidung.
Arbeitnehmer Rudi Karacho muß als Sänger oder Fiedler im
Aufführungsfalle diese Kleidung tragen. Sein persönlicher Geschmack ist nicht entscheidend. Allerdings wehrt sich Rudi zu Recht dagegen, die Kleidung auch im Privatbereich zu tragen. Im Arbeitsvertrag hat er
sich nicht verpflichtet, auch privat die Zugehörigkeit zum Ensemble Gotthilf Riö zu demonstrieren. Freiwillig darf er das allerdings tun.
2. Mitbestimmung
Soweit nicht Sicherheitsvorschriften bestehen, ist die Festlegung der Kleiderordnung zwingend mitbestimmungspflichtig. Arbeitgeber Gotthilf will mit der einheitlichen Kleidung das äußere
Erscheinungsbild und das Image seines Ensembles verbessern. Die Kleiderordnung betrifft deshalb die Frage der Ordnung des Betriebes. Über Geschmack läßt sich streiten. Gotthilf Riö muß deshalb mit dem
Betriebsrat über die Konzertkleidung verhandeln.
Wenn Gesetzgeber oder Berufsgenossenschaft aber bestimmte Kleidung aus Sicherheitsgründen vorschreiben, hat der Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum mehr.
Insoweit entfällt dann auch die Mitbestimmung des Betriebsrats.
3. Bart und Kopftuch
Auch wenn der Arbeitgeber Ibrahim Pascha ein Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter hat, so muß er im Rahmen der Güterabwägung jedoch das
Persönlichkeitsrecht seiner Mitarbeiter berücksichtigen und wahren.
Zum einen ist fraglich, ob die Tätigkeit von Süßwarenarbeitern innerhalb der Fabrik ein einheitliches Erscheinungsbild im Sinne von
Corporate Identity erfordert. Im Zweifel gelangen keine fremden Menschen in das Fabrikgelände.
Zum anderen aber handelt es sich in diesem Falle bei Bart und Kopftuch auch um religiöse Symbole mit einer
bestimmten Botschaft und Aussagekraft. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, vom Arbeitnehmer das Tragen politischer oder religiöser Symbole während der Arbeit zu verlangen. Eine Ausnahme gilt nur für sog.
„Tendenzunternehmen“, z.B. für politische Parteien oder Mitarbeiter von Religionsgemeinschaften und Kirchen.
Das Tragen einer bestimmten Bartzier greift außerdem tief in den individuellen Bereich des Mannes
ein, da er sich mit dieser Zier gezwungenermaßen auch im Privatleben präsentieren muß.
Die Anforderungen von Ibrahim Pascha greifen tief in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein. Sie tangieren massiv
die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Damit verletzen die entsprechenden Anweisungen die verfassungsmäßige Ordnung und das geltende Sittengesetz in der Bundesrepublik. Die
Anweisungen sind rechtsunwirksam.
Aus diesem Grunde braucht Betriebsrat Paulus kein Mitbestimmungsrecht geltend machen. Unwirksame Regeln sind nicht mitbestimmungspflichtig. Paulus muß vielmehr auf Abhilfe
dringen.
4. Gebet und Hallelujah-Ruf
Arbeitgeber Willy Graham ist Recht darin zu geben, daß Religion und Religionsausübung im Einzelfall die Charakterbildung und Gewissensbildung fördern kann. Missionieren ist jedoch nicht
Aufgabe des Arbeitgebers.
Soweit der Arbeitgeber von Mitarbeitern während der Arbeitszeit die Ausübung religiöser Gebräuche fordert, verstößt er ebenfalls gegen zwingende Regeln des Persönlichkeitsrechts,
gegen die Würde des Menschen und vor allem gegen die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit.
Die Arbeitnehmer dürfen sich ohne betriebliche Sanktionen gegen Kollektivgebet und Hallelujah-Rufen wehren.
Der ungläubige Betriebsrat Thomas hat kein Mitbestimmungsrecht für diese rechtswidrige Praxis. Vielmehr muß er auf Abhilfe drängen, um die Mitarbeiter vor ungerechtfertigten Übergriffen ihres Arbeitgebers zu
schützen.