(Stand 2025)
Der Fall
Arbeitgeber Gotthilf Riöh unterhält ein Konzertensemble. Sänger und Musikanten tragen beim Konzert eine wohlgefällige Einheitskleidung. Aus Gründen der „Corporate Identity“ ordnet Gotthilf Riöh an, diese auch im privaten Bereich bei festlichen Gelegenheiten zu tragen. Arbeitnehmer Rudi Karacho findet diese Kleidung altbacken und geschmacklos. Er will sich nicht daran halten.
Arbeitgeber Ibrahim Pascha ordnet für seine Süßwarenfabriken an, dass wegen der weltweiten Einheitlichkeit die männlichen Arbeitnehmer auch in Deutschland Vollbart und die Arbeitnehmerinnen ein Kopftuch tragen müssen.
Betriebsrat Paulus reklamiert eine Mitbestimmung.
Arbeitgeber Willy Graham hat neben seiner Brotfabrik eine Kapelle gebaut. Er ordnet zur Persönlichkeits- und Gewissensbildung für die gesamte Belegschaft und 9 Uhr Morgengottesdienst und um 12 Uhr gemeinsames Hallelujah-Rufen an.
Der Betriebsrat Thomas will das nicht dulden und opponiert.
Die Lösung
1. Arbeitskleidung
Die Kleidung ist etwas sehr persönliches. Sie ziert oder entstellt nicht nur den Arbeitnehmer, sondern ist Ausdruck seines Geschmacks und seiner Persönlichkeit.
Trotzdem kann der Arbeitgeber bei berechtigtem Interesse eine bestimmte Arbeitskleidung vom Arbeitnehmer im Betrieb fordern. Berechtigte sachliche Gründe können Sicherheitsvorschriften oder –Anforderungen sein, z.B. für
Sicherheitsschuhe, Sicherheitskleidung (Forstarbeiter), Helme, Handschuhe, Gehörschutz etc.
Arbeitgeber Gotthilf hat ein berechtigtes Interesse an einem einheitlichen Auftreten seines Konzertensembles im Falle der Aufführung. So kommt der festliche und geschlossene Charakter des Ensembles weitaus besser zum Tragen, als bei individueller Kleidung.
Arbeitnehmer Rudi Karacho muss als Sänger oder Fiedler im Aufführungsfalle diese Kleidung tragen. Sein persönlicher Geschmack ist nicht entscheidend. Allerdings wehrt sich Rudi zu Recht dagegen, die Kleidung auch im Privatbereich zu tragen. Im Arbeitsvertrag hat er sich nicht verpflichtet, auch privat die Zugehörigkeit zum Ensemble Gotthilf Riöh zu demonstrieren. Freiwillig darf er das allerdings tun.
2. Mitbestimmung
Soweit nicht öffentlich-rechtliche Sicherheitsvorschriften bestehen, ist die Festlegung der Kleiderordnung zwingend mitbestimmungspflichtig.
Arbeitgeber Gotthilf will mit der einheitlichen Kleidung das äußere
Erscheinungsbild und das Image seines Ensembles verbessern. Die Kleiderordnung betrifft deshalb das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer, also die Ordnung des Betriebes.
Über Geschmack lässt sich streiten. Gotthilf Riöh muss trotzdem oder gerade deshalb mit dem Betriebsrat über die Konzertkleidung verhandeln.
Wenn Gesetzgeber oder Berufsgenossenschaft aber bestimmte Kleidung aus Sicherheitsgründen vorschreiben, hat der Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum mehr. Insoweit entfällt dann auch die Mitbestimmung des Betriebsrats.
3. Bart und Kopftuch
Auch wenn der Arbeitgeber Ibrahim Pascha ein Interesse an einem einheitlichen Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter hat, so muss er im Rahmen der Güterabwägung jedoch das Persönlichkeitsrecht seiner Mitarbeiter berücksichtigen und wahren.
Zum einen ist fraglich, ob die Tätigkeit von Süßwarenarbeitern innerhalb der Fabrik ein einheitliches Erscheinungsbild im Sinne von Corporate Identity erfordert. Im Zweifel gelangen keine fremden Menschen in das Fabrikgelände.
Zum anderen aber handelt es sich in diesem Falle bei Bart und Kopftuch auch um religiöse Symbole mit einer bestimmten Botschaft und Aussagekraft. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, vom Arbeitnehmer das Tragen politischer oder religiöser Symbole während der Arbeit zu verlangen. Eine Ausnahme gilt nur für sog. Tendenzunternehmen“, z.B. für politische Parteien oder Mitarbeiter von Religionsgemeinschaften und Kirchen.
Das Tragen einer bestimmten Bart-Zier greift außerdem massiv in den individuellen Bereich des Mannes ein, da er sich mit dieser Zier gezwungenermaßen auch im Privatleben präsentieren muss.
Die Anforderungen von Ibrahim Pascha greifen tief in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein. Sie tangieren massiv
die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Damit verletzen die entsprechenden Anweisungen die verfassungsmäßige Ordnung und das geltende Sittengesetz in der Bundesrepublik. Die
Anweisungen sind rechtsunwirksam.
Aus diesem Grunde braucht Betriebsrat Paulus kein Mitbestimmungsrecht geltend machen. Unwirksame Regeln sind nicht mitbestimmungspflichtig. Paulus muss vielmehr auf Abhilfe dringen.
4. Gebet und Hallelujah-Ruf
Arbeitgeber Willy Graham ist Recht darin zu geben, dass Religion und Religionsausübung im Einzelfall die Charakterbildung und Gewissensbildung fördern kann. Missionieren ist jedoch nicht Aufgabe des Arbeitgebers.
Soweit der Arbeitgeber von Mitarbeitern während der Arbeitszeit die Ausübung religiöser Gebräuche fordert, verstößt er ebenfalls gegen zwingende Regeln des Persönlichkeitsrechts, gegen die Würde des Menschen und vor allem gegen die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit.
Die Arbeitnehmer dürfen sich ohne betriebliche Sanktionen gegen Kollektivgebet und Hallelujah-Rufen wehren.
Der ungläubige Betriebsrat Thomas hat kein Mitbestimmungsrecht für diese rechtswidrige Praxis. Vielmehr muß er auf Abhilfe drängen, um die Mitarbeiter vor ungerechtfertigten Übergriffen ihres Arbeitgebers zu schützen.