Der Fall
Arbeitgeber Johnny Cash sieht sich wegen laufender Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche seiner Mitarbeiter gezwungen, Ethik-Richtlinien mit folgendem Inhalt in seinem Betrieb
einzuführen:
„Belästigung und unangemessenes Verhalten.
Belästigungen jeder Art gegenüber Kollegen, Lieferanten, Kunden oder jeder anderen Person, die mit der Cash-GmbH in Geschäftsbeziehung steht, werden
nicht toleriert. Belästigung ist jedes Verhalten, das eine negative Auswirkung auf die Arbeitsleistung hat, die Würde einer Person herabsetzt oder eine einschüchternde, feindliche oder aggressive Arbeitsumgebung
schafft.
Verbale Äußerungen, Gesten und Blicke sowie körperliche Handlungen sexueller Natur können rechtswidrige sexuelle Belästigungen darstellen. Beispiele dafür sind:
Sexuelle Annäherung, Bitten um
sexuelle Gefälligkeiten, Gossensprache, zweideutige Witze, Bemerkungen über Körper oder sexuelle Aktivitäten.
Untersagt ist insbesondere auch unangemessenes Anfassen, die Schaustellungen sexuell suggestiver
Bilder und lüsterne oder anzügliche Blicke! Vermeiden Sie Witze oder Kommentare, verwenden Sie keine Spitznamen, wenn Sie nicht sicher sind, ob diese korrekt sind. Keine sexuellen Annäherungen gegenüber allen
Kollegen oder einer anderen Person, mit der Sie zusammenarbeiten.
Es darf niemand bevorzugt werden, wenn Sie in persönlicher Beziehung zu dieser Person stehen. Geben Sie unverzüglich Bericht über jede Art von
Belästigungen oder unangemessenem Verhalten.“
Betriebsrat Igor Nastarowje ist durch das Alkoholverbot schon heftig gebeutelt. Er wird bei Johnny Cash vorstellig und wettert heftig gegen diesen neuen
Ethik-Kram. Zumindest aber müssen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gewahrt werden. Ohne Zustimmung des Betriebsrats laufe überhaupt nichts.
Auch der Arbeitnehmer Luigi Casanova fragt sich, ob der
Arbeitgeber Johnny Cash hier nicht die Grenzen des gezielten Mobbings überschreitet. Schließlich müsse ein Späßchen in Ehren zulässig sein. Sonst sei das Arbeitsklima völlig versaut. Luigi Casanova erwartet
deshalb Rückendeckung vom Betriebsrat.
Arbeitgeber Johnny Cash ist nun richtig sauer. Er erweitert deshalb die Ethik-Richtlinie um folgenden Punkt:
„Johnny Cash toleriert keine Gewalt oder Androhung von
Gewalt auf dem Betriebsgelände oder bei der Ausübung der Arbeitspflichten gegenüber Mitarbeitern, Kunden oder sonstigen dritten Personen.“
Nun ruft Igor Nastarowje das Arbeitsgericht an, weil er sich und die
Belegschaft ständig übergangen und gemobbt fühlt.
Die Lösung
1. Sexuelle Belästigung
Arbeitgeber Johnny Cash wird von seinen Mitarbeitern völlig verkannt. Er ist schon aus gesetzlichen Gründen verpflichtet, alle Arbeitnehmer oder andere Personen vor sexueller Belästigung
am Arbeitsplatz zu schützen. Dies ist zwingend in § 2 Abs. 1 Beschäftigtenschutzgesetz geregelt. Außerdem verlangt der Gesetzgeber von ihm auch vorbeugende Maßnahmen.
Wo eine solche gesetzliche Verpflichtung
besteht, hat Arbeitgeber Johnny keinen Handlungsspielraum. Er muß tätig werden. Sexuelle Belästigung darf im Betrieb nicht geduldet werden. Insoweit besteht auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats!
Nach § 3 Beschäftigtenschutzgesetz haben die betroffenen Mitarbeiter das Recht, sich im Betrieb zu beschweren. Nach § 4 Beschäftigtenschutzgesetz muß der Arbeitgeber bei berechtigten Beschwerden angemessene
arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen, wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder gar Kündigung.
Ergreift der Arbeitgeber keine geeigneten Maßnahmen zur Unterbindung der sexuellen Belästigungen, so sind die
betroffenen Arbeitnehmer berechtigt, ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz ohne Verlust des Arbeitsentgeltes einzustellen. Sie können darüber hinaus Schmerzensgeld oder Schadenersatz verlangen.
2. Mitbestimmung
Bei dieser zwingenden gesetzlichen Regelung gibt es kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, da der Arbeitgeber selbst keinen Spielraum hat. Allerdings gibt das Gesetz dem Arbeitgeber
einen Regelungsspielraum bei der konkreten Umsetzung und Durchführung des Belästigungsverbotes.
Arbeitgeber Johnny muß dann eingreifen und geeignete Maßnahmen durchführen, wenn ein Betroffener die sexuelle
Belästigung erkennbar ablehnt (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Beschäftigtenschutzgesetz). Wie dann vorgegangen wird, ob durch Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung, Versetzung etc., ist regelbar. Hier bestehen Mitbestimmungsrechte
des Betriebsrats Igor, die der Arbeitgeber beachten muß (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, § 99 und § 102 BetrVG).
Auch bei den gesetzlich geforderten vorbeugenden Maßnahmen besteht ein Mitbestimmungsrecht, wenn es um das
„Wie“, d.h. um die Durchführung geht, z.B. um die Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes, die Beleuchtung von Parkplätzen und Wegen, Sichtblenden an Arbeitstischen, Aufklärung und Fortbildungsveranstaltungen.
3. Allgemeine Belästigung
Bei der Ethik-Richtlinie geht es aber nicht nur um sexuelle Belästigung. Arbeitgeber Johnny verbietet zu Recht jegliches Verhalten, das die Würde der Person herabsetzt oder z.B. eine
einschüchternde oder aggressive Arbeitsumgebung schafft. Er verbietet auch zu Recht beleidigende, beschimpfende Bemerkungen und Witze. Damit geht der Arbeitgeber erheblich über die Regelungen des
Beschäftigtenschutzgesetzes hinaus.
4. Direktionsrecht
Die Ethik-Richtlinien sind insoweit grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfaßt. Jeder Arbeitnehmer hat die vertragliche Nebenpflicht, beleidigende, entwürdigende
Bemerkungen, Handlungen oder Witze gegenüber Arbeitskollegen, Kunden etc. zu unterlassen. Dies muß im Arbeitsvertrag nicht besonders geregelt werden. Diese Nebenpflichten ergeben sich aus der Natur des
Arbeitsverhältnisses. Es handelt sich hierbei nicht um eine Art Mobbing des Arbeitgebers, sondern um die Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Achtung: Der
Arbeitgeber muß sich jedoch davor hüten, bei Ethik-Richtlinien zu überziehen, Modetenzenden nachzuahmen und unklare, schwammige Begrifflichkeiten zu benutzen:
Das Verbot der „Gossensprache“, oder „suggestiver
Bilder“, oder „lüsterner Blicke“ ist problematisch, weil nur schwer objektiv festzustellen ist, was z.B. ein lüsterner oder anzüglicher Blick ist. Auch die Anweisung, generell Spitznamen zu vermeiden, dürfte
eine überzogene Maßregelung der Mitarbeiter darstellen.
5. Aufgabe des Betriebsrats
Soweit die Ethik-Richtlinie über die gesetzlich geregelte sexuelle Belästigung hinausgeht, regelt sie insgesamt das Zusammenleben der Mitarbeiter innerhalb des Betriebes neben oder
parallel zur Arbeitsleistung. Damit regelt die Richtlinie das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb und das Zusammenleben der Betriebsgemeinschaft insgesamt.
Diese Regelungen sind deshalb nach §
87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG stets mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, mit dem Arbeitgeber zusammen genau zu regeln, in welchem Umfang Belästigungen untersagt werden sollen, welche Art von
Belästigungen etc. Hier besteht die Aufgabe des Betriebsrats auch darin, die Belegschaft einerseits vor zu laschen und zu indifferenten Maßnahmen des Arbeitgebers zu schützen. Andererseits muß der Betriebsrat
die Mitarbeiter auch vor einem etwaigen Übereifer des Arbeitgebers und einem zu starken Druck zu schützen, der die Betriebsgemeinschaft zerstören könnte.
Achtung: Der Betriebsrat hat hier die Aufgabe,
Scheinlösungen, Doppelbödigkeiten und Scheinheiligkeiten entgegenzutreten.
Der Mitbestimmung unterliegt insbesondere auch das Procedere, d.h. die Durchführung der Maßnahmen.
6. Gewalt
Kein Mitbestimmungsrecht besteht beim Gewaltverbot des Arbeitgebers. Er kann in Wahrnehmung seines Hausrechts zur Erhaltung des Betriebsfriedens anordnen, daß während der Arbeit
ausnahmslos keine Gewalt ausgeübt wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber ein absolutes Gewaltverbot ausspricht und keinen Spielraum für Gestaltungsregelungen läßt.