Folge 241

Ethik-Regeln I


Der Fall:

    Der amerikanische Großunternehmer Walter Marton will in seinen Unternehmen und Supermärkten weltweit Ethik-Richtlinien (Codes of Ethics) einführen. Alle Mitarbeiter erhalten per Rundschreiben den weltweit
    gültigen 28-seitigen Verhaltenscodex.

    Dieser „Code of Ethics“ enthält ein Verbot von sexuellen und anderen Belästigungen von Kunden und Kollegen, die Pflicht zu Alkohol- und Drogentests, zur Geheimhaltung von
    Betriebsgeheimnissen, zur Verantwortung gegenüber Kunden, Kollegen, Behörden, das Verbot der Annahme von Zuwendungen, ein Flirt- und Liebesverbot am Arbeitsplatz, ein Liebes- und Ausgehverbot mit Untergebenen
    oder Vorgesetzten im privaten Bereich, ein Verbot der privaten Internetnutzung. Außerdem beinhaltet das Papier die Pflicht aller Mitarbeiter zur Meldung sämtlicher Verstöße von Kollegen gegen die Ethik-Regeln
    über eine anonyme Hotline, an einen Vorgesetzten oder an das Ethik-Büro.

    Der orientalische Süßwarenhersteller Ibrahim Pascha will in seinen Süßwarenfabriken in Europa ebenso wie im Orient eine Kopftuchpflicht
    für Frauen sowie eine Bartpflicht für Männer einführen.

    Der christliche Unternehmer Willi Graham hat eine Kapelle neben seine Brotfabrik gebaut. Er fordert per Poster alle Mitarbeiter auf, dort um 9 Uhr am
    Morgengebet und um 12 Uhr am Halleluja-Rufen teilzunehmen.

    Die Arbeitnehmer Emmy Schneeweiß und Erwin Risotto fragen sich, ob diese Arbeitgeber das Recht haben, ihre ethischen und religiösen Vorstellungen am
    Arbeitsplatz durchzusetzen, Betriebsratsvorsitzender Rinaldo Kuttelwascher ist empört. Er macht ein Mitbestimmungsrecht geltend und meint, daß ohne Zustimmung des Betriebsrats gar nichts möglich sei.


Die Lösung


1. Allgemeines

    In der globalisierten Marktwirtschaft entwickelt sich die Tendenz, die jeweiligen ethischen, religiösen oder moralischen Prinzipien des Stammunternehmens auf den weltweiten Konzern zu übertragen.

    Zur
    Bekämpfung von Korruption, Egoismen, aber auch nationaler Alleingänge verfassen zunehmend Unternehmen Ethik-Richtlinien (sog. „Codes of Conduct“ oder „Codes of Ethics“) als Leitbild für das Verhalten ihrer
    Mitarbeiter weltweit. Diese Ethik-Welle färbt langsam auch auf deutsche Unternehmen ab, insbesondere wenn sie international tätig sind. Auch die deutschen Unternehmen können sich nur schwer diesem Sog entziehen,
    wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen.

    Dabei handelt es sich in vielen Fällen durchaus nicht um einen „Ethik-Imperialismus“. Erst jüngst gerieten die Ethik-Richtlinien des amerikanischen Handels-Konzerns
    Wal-Mart in Deutschland in die Schußlinie der Kritik und der Arbeitsgerichte.

    Bei der Kritik an den „bösen Amerikanern“ und ihrem Kultur-Imperialismus muß jedoch berücksichtigt werden, daß in den USA
    börsennotierte Unternehmen per Gesetz verpflichtet sind, Ethik-Richtlinien für ihre Arbeitnehmer einzuführen. Diese Pflicht erstreckt sich gesetzlich auch auf alle Tochterunternehmen im Ausland.

    Als Folge der
    Finanzskandale um Enron, WorldCom etc. haben die USA im „Sarbanes-Oxley-Act“ die Unternehmen zu den Ethik-Richtlinien verpflichtet. Verstöße dagegen werden streng geahndet.


2. Problemstellung

    Ein Problem besteht darin, daß mittlerweile Weltregionen, die kulturell, ethisch oder religiöse anders geprägt sind, sich durch solche Entwicklungen provoziert fühlen und versuchen, ihre ethischen Standards
    ebenfalls per Wirtschaftsmacht umzusetzen. Daraus droht mittelfristig ein Kulturkampf mittels Wirtschaftsmacht in den Unternehmen. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist es nicht gleichgültig, ob er in einem
    deutschen, europäischen, amerikanischen oder asiatischen Unternehmen tätig ist.

    Dies zeigt der Fall „Wal-Mart“ sehr deutlich. Es darf auch nicht übersehen werden, daß dies kein Problem eines einzelnen
    Unternehmens ist. Vielmehr bahnt sich ein Ethik-Konflikt mit weit größeren Dimensionen an.

    Konkret: Für die deutschen Tochterunternehmen und Betriebe bedeutet dies, daß sich viele Ethik- und Verhaltensregeln,
    z.B. aus den USA oder Asien mit der deutschen Rechtsordnung nicht oder nur sehr schwer vereinbaren lassen, obwohl sie im Ursprungsgebiet durchaus sinnvoll, sogar gesetzlich vorgeschrieben sein können.

    Solchen
    Ethik-Regeln können in Deutschland/Europa individuelle Rechte der Arbeitnehmer entgegenstehen, insbesondere das Persönlichkeitsrecht. Vor allem aber muß das Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der
    Einführung von Verhaltensregeln im Betrieb beachtet werden.

    Diese Probleme sollen in den nächsten Folgen näher beleuchtet werden.

    3. Deutsche Rechtsprobleme

    Nach deutschem Arbeitsrecht kann der
    Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen, daß er seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erbringt. Als Gegenleistung erhält er dafür insbesondere die entsprechende Vergütung. Schon ein Abweichen
    von der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, eine Veränderung der Arbeitspflichten, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, des Arbeitsentgeltes etc. kann vom Arbeitgeber nicht mehr einseitig durch
    Direktionsrecht, sondern nur durch Änderungskündigung oder Änderungsvertrag herbeigeführt werden.

    Neben der Erbringung der Arbeitsleistung steht der Arbeitnehmer in einem komplexen betrieblichen Umfeld mit
    vielfältigen betriebstechnischen, aber auch sozialen, betrieblichen und menschlichen Bezügen. Diesen Bereich bezeichnet die Rechtsprechung als Ordnungsverhalten. Das Ordnungsverhalten unterliegt nicht der
    unmittelbaren Erbringung der Arbeitsleistung. Es steht aber in einem unauflösbaren Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung.

    Das Ordnungsverhalten ist zwar bis zu einem gewissen
    Grad mittelbar durch die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag als „vertragliche Nebenpflichten“ durch den Arbeitgeber regelbar. Im weiteren Sinne aber kann der Arbeitgeber das Ordnungsverhalten im Betrieb nicht
    einseitig, jedenfalls nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats bestimmen. Dies betrifft die Frage des Benehmens, der Arbeitskleidung, des Parkens auf dem Betriebsgelände ebenso wie die Frage der Kantinennutzung,
    der Sicherheitsvorkehrungen, der Diebstahls- und Torkontrolle, der Anwesenheitskontrolle, des Radiohörens am Arbeitsplatzes des Rauch- und Alkoholverbotes etc.

    Noch weniger kann der Arbeitgeber das private
    Verhalten der Arbeitnehmer im Freizeitbereich einseitig bestimmen.

    Für diese wichtige Frage der Ordnung des Betriebes und das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer besitzt der Betriebsrat ein zwingendes
    Mitbestimmungsrecht. In all diesen Bereichen kann der Arbeitgeber einseitige Regeln nur mit Zustimmung des Betriebsrats einführen. Soweit das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gravierend oder gar seine
    Privatsphäre betroffen ist, benötigt der Arbeitgeber im Zweifel auch die Zustimmung des Arbeitnehmers. Dies gilt jedenfalls solange, wie auf Seiten des Arbeitgebers keine erheblichen sachlichen Gründe
    vorliegen,d ie einen solchen Eingriff rechtfertigen könnten.

    Da dies in anderen Ländern und Kontinenten anders oder gar nicht geregelt ist, erwächst durch die Globalisierung der Wirtschaft ein neues
    Konfliktfeld.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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