Folge 232

Neue Sperrzeitprobleme IV



Der Fall:


    Kammerherr Theseus arbeitet beim geldgierigen König Midas, der teilweise die Löhne nur mit monatelanger Verspätung auszahlt.

    Die Textilarbeiterin
    Ariadne ist bei dem Spinnereiunternehmer Minotaurus beschäftigt. Wegen schlechter Auftragslage bekommt Minotaurus regelmäßig Tobsuchtsanfälle und beschimpft die Arbeitnehmer.

    Die Bedienung Aphrodite arbeitet
    beim Gastwirt Bacchus. Dieser verfolgt ihre weiblichen Reize leider nicht nur mit Augen.

    Eurydike arbeitet als Animateurin beim Thermenbetreiber Poseidon. Eurydike behauptet, von Poseidon ständig gemobbt zu
    werden.

    Können diese Arbeitnehmer es wagen, das Arbeitsverhältnis selbst zu kündigen oder per Aufhebungsvertrag zu beenden, ohne eine Sperrfrist zu bekommen?



Die Lösung:



1. Eigenkündigung


    Ein Arbeitnehmer, der eine Eigenkündigung ausspricht, hat ebenso die Arbeitslosigkeit im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III herbeigeführt, wie ein
    Arbeitnehmer, der einen einvernehmlichen Auflösungsvertrag abschließt.

    Generell müssen solche Arbeitnehmer deshalb mit einer Sperrfrist von 12 Wochen beim Arbeitslosengeld rechnen.



2. Ausnahme: Wichtiger Grund


    Der Gesetzgeber hat bestimmt, daß die Sperrzeit nicht verhängt werden darf, wenn der Arbeitnehmer für sein Verhalten, z.B. die Eigenkündigung, einen
    wichtigen Grund hat. Dann tritt die Sperrzeit nicht ein. Der Arbeitnehmer muß jedoch alle für die Beurteilung des wichtigen Grundes maßgeblichen Tatsachen darlegen und auch nachweisen! Dies gilt jedenfalls dann,
    wenn diese Gründe und Tatsachen in seiner Sphäre oder in seinem Verantwortungsbereich liegen.



3. Was ist wichtiger Grund?


    Ein wichtiger Grund gegen die Verhängung einer Sperrzeit durch die Arbeitsagentur ist stets dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer wegen gravierender
    Vertragsverletzungen durch den Arbeitgeber Anlaß für eine außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB hat.

    Danach müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter
    Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.

    Im Einzelfall
    kann dies schwierig zu bestimmen sein. Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß erhebliche Lohnrückstände über längere Zeiträume (mehr als 2 Monate), wie bei Kammerherr Theseus ein wichtiger Grund sein kann.

    Auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber kann – wie im Fall Aphrodite – ein Grund für eine fristlose Kündigung der Arbeitnehmerin sein.

    Dies kann auch für die Fälle von Beschimpfungen
    durch Minotaurus oder Mobbing durch Poseidon der Fall sein. Es muß allerdings abgewogen werden, wie stark die Beeinträchtigungen sind, was unter Mobbing oder Beschimpfung fällt. Ggf. muß auch der Arbeitnehmer
    zunächst das Gespräch suchen oder den Arbeitgeber abmahnen.




    Achtung:

    Nicht jede Fehlverhaltensweise des Arbeitgebers ist ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers. Dementsprechend kann die Verhängung einer Sperrzeit in diesen Fällen nicht immer ausgeschlossen werden.



4. Beweislast


    Bestreitet der Arbeitgeber seine Fehlverhaltensweisen gegenüber der Arbeitsagentur, so muß der Arbeitnehmer Beweis antreten. Dies kann im Einzelfall sehr
    schwierig sein. Das muß sich vor allem die gemobbte Eurydike, die beschimpfte Ariadne und die belästigte Aphrodite klarmachen. Es ist wichtig, daß rechtzeitig Beweise gesammelt und sichergestellt werden!



5. Ratschlag


    In solchen Fällen ist den Arbeitnehmern zur Vermeidung einer Sperrzeit generell zu raten, sich vor Ausspruch einer Eigenkündigung oder vor Abschluß eines
    Auflösungsvertrages zunächst mit der zuständigen Arbeitsagentur in Verbindung zu setzen und die Sachlage abzuklären. Gibt diese eine verbindliche Zusage, so kann die Arbeitnehmerin gehen.



6. Fazit


    – Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Unterscheidung zwischen Aufhebungs- und Abfindungsvertrag nur „erfunden“ worden, um eine
    Sperrzeit zu umgehen. Deshalb kann der Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen damit rechnen, keine Sperrzeit zu bekommen, wenn er solche Verträge abschließt.

    – Nur Abwicklungsverträge nach Ablauf der Klagefrist
    für die Kündigungsschutzklage bieten die Gewähr, keine Sperrzeit zu bekommen, wenn lediglich noch Einzelheiten geregelt und abgewickelt werden, wie z.B. eine Abfindung, ein Zeugnis, die Arbeitspapiere.

    – Die
    Abfindungsregelung nach § 1 a KSchG ist von einer Sperrzeitregelung nicht erfaßt. Der Gesetzgeber und der Arbeitnehmer müssen sich allerdings nach den gesetzlichen Vorschriften richten.

    – Arbeitsgerichtliche
    Abwicklungsvergleiche mindern das Sperrzeitrisiko. Allerdings ist die Arbeitsagentur an Prozeßvergleiche nicht zwingend gebunden, ebenso wenig wie an arbeitsgerichtliche Urteile.

    – Im Falle eines Aufhebungs-
    oder Abwicklungsvertrages ist dem Arbeitgeber dringend zu raten, den Arbeitnehmer im Vertrag auf das Sperrzeitrisiko hinzuweisen.

    – Das Sperrzeitrisiko minimiert sich oder entfällt, wenn der Arbeitnehmer
    schnell eine neue Arbeitsstelle gefunden hat.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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