Folge 231

Neue Sperrzeitprobleme III



Der Fall:


    Arbeitgeber Ödipus fühlt sich von der jungen Betriebskrankenschwester Nausikaa genervt. Er schafft kurzerhand den betrieblichen medizinischen Dienst ab und
    kündigt Nausikaa betriebsbedingt.

    Ödipus fiel wegen dieser Tat später in Depressionen. Seine weise Mutter Iokaste riet ihm, der gekündigten, arbeitslosen Nausikaa mit einer Abfindung unter die Arme zu
    greifen. 2 Monate nach erfolgter Kündigung schlossen beide einen Abwicklungsvertrag, in dem sich Ödipus verpflichtete, 10.000 Euro Abfindung an Nausikaa zu zahlen.

    Die Arbeitsagentur möchte gerne eine Sperrzeit verhängen. Darf sie das?



Die Lösung



1. Die neue Rechtsprechung


    In dem neuen Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.12.2003 hat das Gericht generell die Verhängung einer Sperrfrist auch bei Abschluß eines
    „Abwicklungsvertrages“ anerkannt. Das Gericht begründet dies damit, daß die Arbeitnehmerin generell mit einem Abwicklungsvertrag und der Entgegennahme einer Abfindung oder anderer Leistungen einen aktiven
    Beitrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses leistet und auf ihren Kündigungsschutz verzichtet.

    Davon gibt es jedoch 2 gewichtige Ausnahmen, die nachfolgend behandelt werden. Nausikaa erfüllt eine der
    wichtigen Ausnahmen.



2. Später Abwicklungsvertrag


    Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezieht sich auf alle die Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge, die entweder vor Ausspruch einer Kündigung
    (Aufhebungsvertrag) oder nach Ausspruch einer Kündigung (Abwicklungsvertrag) innerhalb der ersten 3 Wochen nach Zugang der Kündigung abgeschlossen werden.

    Nach § 4 Kündigungsschutzgesetz muß ein Arbeitnehmer
    nach Erhalt der schriftlichen Kündigung binnen 3 Wochen klagen. Unterläßt er die Klage, gilt die Kündigung gem. § 7 Kündigungsschutzgesetz als rechtswirksam. Eine weitere gerichtliche Überprüfung ist in der
    Regel dann ausgeschlossen.

    Das Bundessozialgericht geht davon aus, daß der Abwicklungsvertrag vor oder in diesen ersten 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung den Arbeitnehmer von der Geltendmachung seines
    Kündigungsschutzes abhält. Er verzichtet auf die Kündigungsschutzklage gegen Zahlung einer Abfindung.

    Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Abwicklungsvertrag erst nach Ablauf der Klagefrist für die
    Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) abgeschlossen wird. Bedingung ist allerdings, daß vorherige Absprachen oder Ankündigungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht bestehen. Das BSG führt aus,
    daß eine Ausnahme von den (in den letzten Folgen) geschilderten Grundsätzen bestehen könne, soweit in einem Abwicklungsvertrag



    nach Ablauf der Klagefrist

    ohne vorherige Absprache „lediglich Einzelheiten zur Beendigung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses“ geregelt werden, die nicht in Beziehung zur Kündigung an sich stehen.



    Im Falle Nausikaa bedeutet dies, daß der gesetzliche Kündigungsschutz von Nausikaa nach Zugang der Kündigung und Ablauf von 3 Wochen verloren war. Ödipus und Nausikaa haben
    erst 2 Monate nach Ausspruch der Kündigung den Abwicklungs- und Abfindungsvertrag geschlossen.

    Die Zahlung der Abfindung war somit nicht ursächlich für die Versäumung der Klagefrist. Es darf deshalb von der
    Arbeitsagentur deshalb keine Sperrzeit verhängt werden!



3. Arbeitsgerichtlicher Vergleich?


    Das Bundessozialgericht hat weiter ausgeführt, daß die Arbeitsagenturen bei der Verhängung von Sperrfristen eine besondere Betrachtung anstellen müssen,
    wenn ein Abfindungs- und Abwicklungsvertrag ohne vorherige Absprache in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren geschlossen wird.

    Danach scheint BSG davon auszugehen, daß arbeitsgerichtliche Vergleiche von der
    Bundesagentur respektiert werden sollten.

    Dies gilt allerdings nur dann, wenn der arbeitsgerichtliche Vergleich nicht durch vorherige Manipulationen in die Wege geleitet wurde. Werden solche Verdachtsmomente
    der Arbeitsagentur bekannt, muß mit der Verhängung einer Sperrzeit gerechnet werden.




    Achtung:

    Ein solches Verfahren bietet keine wirkliche Sicherheit vor Sperrzeiten. Die Bundesagentur ist vom Grundsatz her weder an arbeitsgerichtliche Vergleiche, noch an arbeitsgerichtliche Urteile gebunden. Sie entscheidet nach eigenem Ermessen. Dies bedeutet, daß auch bei arbeitsgerichtlichen Abfindungsvergleichen eine Sperrzeit von 12 Wochen für den Arbeitslosengeldbezug verhängt werden kann.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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