Der Fall:
Arbeitgeberin Medusa schüttelt gramgebeugt ihr Haupt. Buchhalterin Calypso hat gekündigt, um Selbstverwirklichung zu betreiben. Putzfrau Persephone wurde
von Mutter Iokaste abgeworben, die für ihre Sohn Ödipus eine Reinigerin braucht. Hausmeister Phaeton mußte betriebsbedingt gekündigt werden, da der Hausmeisterdienst an eine Hausverwaltung fremdvergeben wurde.
In allen Fällen will Medusa die schon ausgezahlte Jahressonderzahlung zurück haben. Calypso erhielt ein 13. Monatsgehalt von 2.000 Euro. Sie kündigte zum 31.3. des Folgejahres. Persephone kündigte zum 31.12.
Sie erhielt ein Monatsgehalt von 500 Euro. Hausmeister Phaeton wurde ebenfalls zum 31.12. gekündigt. Seine Jahresgratifikation belief sich auf 150 Euro.
Die Arbeitnehmer halten das Rückzahlungsbegehren für
unmoralisch und einen Eingriff in ihre Freiheit der Berufswahl. Sie verweigern die Rückzahlung.
Hat Arbeitgeberin Medusa Chancen?
Die Lösung
1. Rückzahlungsvereinbarungen
Jahressonderzahlungen, Gratifikation, 13. Monatsgehalt etc. sind zum Einen Belohnung für erbrachte Dienste und Betriebstreue im laufenden Arbeitsjahr. Sie
können auch Anreiz zur Weiterbeschäftigung in der Zukunft sein, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Rückzahlungsvereinbarung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens getroffen haben.
Solche
Rückzahlungsvereinbarungen finden sich in Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder auch Arbeitsverträgen.
Beispiel:
Rückzahlungspflicht für das 13.
Monatsgehalt bei Ausscheiden bis 31.3. des Folgejahres.
2. Zulässigkeit
Rückzahlungsklauseln sind generell zulässig, wenn sie die Freiheit der Berufswahl des Arbeitnehmers nicht übermäßig oder unsachlich einschränken.
Rückzahlungsklauseln gibt es deshalb generell nicht bei dem normalen Lohn, der arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich geschuldet wird. Rückzahlungsklauseln finden sich aber zulässigerweise bei freiwilligen
Leistungen des Arbeitgebers, z.B. bei Gratifikationen oder bei freiwilligen Ausbildungs-/Weiterbildungszahlungen des Arbeitgebers.
Allerdings bedarf der Arbeitnehmer des Schutzes vor übermäßigen Zugriffen der
Arbeitgeberseite.
3. Fehlende Vereinbarung
Fehlt eine Rückzahlungsvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien oder eine Rückzahlungsklausel in Betriebsvereinbarungen / Tarifverträgen, so hat
der Arbeitgeber keinen Rückforderungsanspruch. Er muß die Jahressonderzahlung wie vereinbart oder zugesagt auszahlen und den kündigenden Arbeitnehmer ziehen lassen.
4. Beschränkte Bindungsdauer
Der Arbeitgeber darf nach dem Willen des Gesetzgebers nicht übermäßig lange an das Arbeitsverhältnis gebunden werden. Eine solche unzulässige Bindungsdauer
darf nicht dadurch erreicht werden, daß dem Arbeitnehmer zu hohe wirtschaftliche Belastungen beim Ausscheiden auferlegt werden, z.B. durch die Rückzahlung von freiwilligen Leistungen (Gratifikationen).
Das
Bundesarbeitsgericht hat deshalb in Auslegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze entsprechende Regelungen für Rückzahlungsvereinbarungen aufgestellt:
– Zahlt Arbeitgeberin Medusa eine Gratifikation von 1
Monatsgehalt, kann sie verlangen, daß die Arbeitnehmerin Calypso über den 31.3. des Folgejahres hinaus im Arbeitsverhältnis verbleibt. Da Calypso zum 31.3. gekündigt hatte, kann Arbeitgeberin Medusa bei
Vorliegen einer Rückzahlungsklausel das 13. Monatsgehalt zurückverlangen.
– Hätte Calypso zum 30.4. des Folgejahres gekündigt, so entstünde kein Auszahlungsanspruch.
– Auch die Putzfrau Persephone muß ihre
Jahressonderzahlung von 500 Euro bei Vorliegen einer Rückzahlungsklausel an Medusa zurückzahlen. Auch sie hätte über den 31.3. des Folgejahres im Arbeitsverhältnis verbleiben müssen, da auch ihre Gratifikation
einen Monatslohn umfaßte. Es hilft nicht, daß Persephone lediglich teilzeitbeschäftigt ist und ihre Jahressonderzahlung mit 500 Euro entsprechend niedriger war.
– Ist die Gratifikation sehr niedrig, so wäre
ein Rückforderungsanspruch der Arbeitgeberin unverhältnismäßig. Die Rechtsprechung hat deshalb bisher bei Sonderzahlungen bis 100 Euro einen Rückzahlungsanspruch generell als unverhältnismäßig verneint. Meines
Erachtens kann diese Rechtsprechung auch auf die Gratifikation von Hausmeister Phaeton in Höhe von 150 Euro erstreckt werden. Das Rückzahlungsbegehren von Medusa ist bei dieser Höhe wohl nicht gerechtfertigt.
5. Betriebsbedingte Kündigung
Problematisch ist das Rückzahlungsbegehren der Arbeitgeberin insbesondere dann, wenn sie selbst betriebsbedingt kündigt. Hausmeister Phaeton wäre gerne
länger beschäftigt geblieben. Arbeitgeberin Medusa hat mir ihrem Outsourcing der Hausmeistertätigkeit die Ursache für die Kündigung selbst gesetzt.
Die Rechtsprechung zu dieser Frage hat mehrfach geschwankt.
Nach neuerer Rechtsprechung läßt die Vertragsfreiheit es zwar zu, daß individualvertragliche Rückzahlungsklauseln auch für betriebsbedingte Kündigungen vereinbart werden. Allerdings muß eine Billigkeitskontrolle
in jedem Einzelfalle vorgenommen werden. Wenn keine wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Zwänge vorhanden sind, sondern lediglich organisatorische Bestrebungen oder ein Rationalisierungswille, so dürfte das
Rückzahlungsbegehren der Arbeitgeberseite bei betriebsbedingter Kündigung unverhältnismäßig sein. Arbeitgeberin Medusa steht deshalb auch aus diesem Grunde gegen Hausmeister Phaeton kein Rückzahlungsanspruch zu.