Folge 206

Betriebliche Mitarbeiterkontrollen II – Ehrlichkeitstests



Der Fall


    Kaufmann Billig-Maxx betreibt eine Vielzahl von Verkaufsfilialen und an seinem Stammsitz in seinem Büro ein großes Lager. In den Filialen fehlt immer
    wieder Geld in der Kasse. Es besteht der begründete Verdacht, daß in dem einen oder anderen Fall neben Fehlern in der Kassenführung und beim Herausgeben des Geldes auch Diebstahl oder Unterschlagung vorliegen
    könnte. Kaufmann Billig-Maxx führt deshalb Ehrlichkeitskontrollen durch. Zum einen läßt er heimlich den Kassenbarbestand bei manchen Mitarbeitern erhöhen, um die Ehrlichkeit zu überprüfen, zum anderen schickt er
    Testkäufer in die Filialen, um das Verhalten der Mitarbeiter an der Kasse zu prüfen.

    In seinem computergesteuerten Lager geht eigentlich alles klar. Aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Überprüfung der
    Ehrlichkeit schafft er hier ebenfalls einen erhöhten Lagerbestand, um die Lagerarbeiter zu überprüfen.

    Nachdem durch die Überprüfungsmaßnahmen tatsächlich Unregelmäßigkeiten herauskamen, wurden fristlose
    Kündigungen ausgesprochen. Die Arbeitnehmer halten dies für ungerechtfertigt. Sie werfen dem Arbeitgeber Heimtücke vor und einen Verstoß gegen das „Vaterunser“: Und führe mich nicht in Versuchung. Wer gewinnt
    vor dem Arbeitsgericht?



Die Lösung



1. Persönlichkeitsrecht


    Jede Kontrollmaßnahme des Arbeitgebers muß am Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter gemessen werden. Dieses Persönlichkeitsrecht ist
    verfassungsrechtlich geschützt.

    Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers muß jedoch hinter die betrieblichen Interessen zurücktreten, wenn die berechtigten Belange des Arbeitgebers beeinträchtigt sind
    oder sein Betrieb und sein Eigentum potentiell gefährdet sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber keine andere Möglichkeit hat, den Mitarbeiter zu überführen.

    Allerdings muß der Arbeitgeber
    beim Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers immer das geringste Mittel wählen, das zur Regelung des Problems ausreicht.



2. Zulässigkeit von Ehrlichkeitstests


    Die Rechtsprechung hat Ehrlichkeitstests in verschiedenen Gewerbezweigen als zulässig angesehen, wenn für die Maßnahme konkrete betriebliche Gründe
    bestanden, die den Arbeitgeber veranlaßten, in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einzugreifen.

    Es ist hier eine Güterabwägung vorzunehmen, da die grundrechtlich geschützten Interessen des
    Arbeitnehmers und die des Arbeitgebers kollidieren.

    Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß der Arbeitgeber in vielen Fällen ein berechtigtes Interesse daran hat, die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der
    Mitarbeiter zu überprüfen. Dies gilt insbesondere in Bereichen, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein gesteigertes oder besonderes Vertrauen entgegenbringt, oder aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten
    entgegenbringen muß.

    Die Beispiele sind vielfältig. Wer ohne ständige Kontrollmöglichkeit des Arbeitgebers Zugriff auf dessen Eigentum und Vermögenswerte, auf dessen Ware oder Geld, aber auch Zugriff auf
    Vermögenswerte dritter Personen, von Kunden etc. hat, der muß sich z.B. solchen Ehrlichkeitskontrollen unterziehen.

    Ergibt sich aus der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses oder der betrieblichen Bereiche bei
    verständiger Würdigung eine potentielle Gefährdungssituation für die Rechtsgüter und die Interessen des Arbeitgebers oder von Kunden und dritten Personen, gegenüber denen der Arbeitgeber haftet, so liegen
    betriebliche Gründe vor, die Kontrollen des Arbeitgebers unter Hintanstellung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers zulassen.



3. Keine generellen Zuverlässigkeitstests


    Ehrlichkeits- und Zuverlässigkeitstests dürfen vom Arbeitgeber jedoch nur in Bezug auf die konkret geschuldete Arbeitsaufgabe durchgeführt werden. Es ist
    nicht zulässig und grob unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber allgemeine Ehrlichkeitstests und Charakterprüfungen von Mitarbeitern innerhalb und außerhalb des Arbeitsverhältnisses durchführen wollte. Für
    solche Tests besteht kein schutzwürdiges Interesse.



4. Konkreter Verdacht


    In allen Bereichen, in denen der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber jederzeit offen überwacht werden kann, dürfen verdeckte Ehrlichkeitstests nur dann
    durchgeführt werden, wenn bereits konkrete Verdachtsumstände für Vertragsverletzungen oder strafbare Handlungen vorliegen. Erforderlich ist weiterhin, daß andere Maßnahmen, als eine verdeckte Kontrolle keinen
    hinreichenden Erfolg versprechen.

    Dies bedeutet für die Lagerarbeiter von Billig-Maxx, daß hier verdeckte Ehrlichkeitstests ohne konkrete Schäden und Verdachtsmomente unzulässig wären, da der Arbeitgeber hier
    jederzeit unmittelbar das Lager überwachen kann. Heimliche Tests sind unverhältnismäßig. Deren Ergebnisse könnten in einem Kündigungsschutzverfahren eventuell nicht verwertet werden (Beweisverwertungsverbot).



5. Zulässigkeit verdeckter Tests


    Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter nicht jederzeit überwachen kann. Dies gilt insbesondere für Filialbetriebe,
    Außendiensttätigkeiten, Vorgesetztentätigkeiten oder für die Kontrolle der Kontrolleure. Hier hat die Rechtsprechung auch verdeckte Ehrlichkeitstests ohne jeden Anfangsverdacht als zulässig erachtet. Sonst hätte
    der Arbeitgeber keine Möglichkeit, sich der Ehrlichkeit der Mitarbeiter ausreichend zu versichern.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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