Der Fall
  
 
  
   Kaufmann Billig-Maxx betreibt eine Vielzahl von Verkaufsfilialen und an seinem Stammsitz in seinem Büro ein großes Lager. In den Filialen fehlt immer
                                    wieder Geld in der Kasse. Es besteht der begründete Verdacht, daß in dem einen oder anderen Fall neben Fehlern in der Kassenführung und beim Herausgeben des Geldes auch Diebstahl oder Unterschlagung vorliegen
                                    könnte. Kaufmann Billig-Maxx führt deshalb Ehrlichkeitskontrollen durch. Zum einen läßt er heimlich den Kassenbarbestand bei manchen Mitarbeitern erhöhen, um die Ehrlichkeit zu überprüfen, zum anderen schickt er
                                    Testkäufer in die Filialen, um das Verhalten der Mitarbeiter an der Kasse zu prüfen.
   
   In seinem computergesteuerten Lager geht eigentlich alles klar. Aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Überprüfung der
                                    Ehrlichkeit schafft er hier ebenfalls einen erhöhten Lagerbestand, um die Lagerarbeiter zu überprüfen.
   
   Nachdem durch die Überprüfungsmaßnahmen tatsächlich Unregelmäßigkeiten herauskamen, wurden fristlose
                                    Kündigungen ausgesprochen. Die Arbeitnehmer halten dies für ungerechtfertigt. Sie werfen dem Arbeitgeber Heimtücke vor und einen Verstoß gegen das „Vaterunser“: Und führe mich nicht in Versuchung. Wer gewinnt
                                    vor dem Arbeitsgericht?
  
 
 
  
   Die Lösung
  
 
 
  
   1. Persönlichkeitsrecht
  
 
  
   Jede Kontrollmaßnahme des Arbeitgebers muß am Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter gemessen werden. Dieses Persönlichkeitsrecht ist
                                    verfassungsrechtlich geschützt.
   
   Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers muß jedoch hinter die betrieblichen Interessen zurücktreten, wenn die berechtigten Belange des Arbeitgebers beeinträchtigt sind
                                    oder sein Betrieb und sein Eigentum potentiell gefährdet sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber keine andere Möglichkeit hat, den Mitarbeiter zu überführen.
   
   Allerdings muß der Arbeitgeber
                                    beim Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers immer das geringste Mittel wählen, das zur Regelung des Problems ausreicht.
  
 
 
  
   2. Zulässigkeit von Ehrlichkeitstests
  
 
  
   Die Rechtsprechung hat Ehrlichkeitstests in verschiedenen Gewerbezweigen als zulässig angesehen, wenn für die Maßnahme konkrete betriebliche Gründe
                                    bestanden, die den Arbeitgeber veranlaßten, in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers einzugreifen.
   
   Es ist hier eine Güterabwägung vorzunehmen, da die grundrechtlich geschützten Interessen des
                                    Arbeitnehmers und die des Arbeitgebers kollidieren.
   
   Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß der Arbeitgeber in vielen Fällen ein berechtigtes Interesse daran hat, die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der
                                    Mitarbeiter zu überprüfen. Dies gilt insbesondere in Bereichen, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein gesteigertes oder besonderes Vertrauen entgegenbringt, oder aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten
                                    entgegenbringen muß.
   
   Die Beispiele sind vielfältig. Wer ohne ständige Kontrollmöglichkeit des Arbeitgebers Zugriff auf dessen Eigentum und Vermögenswerte, auf dessen Ware oder Geld, aber auch Zugriff auf
                                    Vermögenswerte dritter Personen, von Kunden etc. hat, der muß sich z.B. solchen Ehrlichkeitskontrollen unterziehen.
   
   Ergibt sich aus der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses oder der betrieblichen Bereiche bei
                                    verständiger Würdigung eine potentielle Gefährdungssituation für die Rechtsgüter und die Interessen des Arbeitgebers oder von Kunden und dritten Personen, gegenüber denen der Arbeitgeber haftet, so liegen
                                    betriebliche Gründe vor, die Kontrollen des Arbeitgebers unter Hintanstellung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers zulassen.
  
 
 
  
   3. Keine generellen Zuverlässigkeitstests
  
 
  
   Ehrlichkeits- und Zuverlässigkeitstests dürfen vom Arbeitgeber jedoch nur in Bezug auf die konkret geschuldete Arbeitsaufgabe durchgeführt werden. Es ist
                                    nicht zulässig und grob unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber allgemeine Ehrlichkeitstests und Charakterprüfungen von Mitarbeitern innerhalb und außerhalb des Arbeitsverhältnisses durchführen wollte. Für
                                    solche Tests besteht kein schutzwürdiges Interesse.
  
 
 
  
   4. Konkreter Verdacht
  
 
  
   In allen Bereichen, in denen der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber jederzeit offen überwacht werden kann, dürfen verdeckte Ehrlichkeitstests nur dann
                                    durchgeführt werden, wenn bereits konkrete Verdachtsumstände für Vertragsverletzungen oder strafbare Handlungen vorliegen. Erforderlich ist weiterhin, daß andere Maßnahmen, als eine verdeckte Kontrolle keinen
                                    hinreichenden Erfolg versprechen.
   
   Dies bedeutet für die Lagerarbeiter von Billig-Maxx, daß hier verdeckte Ehrlichkeitstests ohne konkrete Schäden und Verdachtsmomente unzulässig wären, da der Arbeitgeber hier
                                    jederzeit unmittelbar das Lager überwachen kann. Heimliche Tests sind unverhältnismäßig. Deren Ergebnisse könnten in einem Kündigungsschutzverfahren eventuell nicht verwertet werden (Beweisverwertungsverbot).
  
 
 
  
   5. Zulässigkeit verdeckter Tests
  
 
  
   Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter nicht jederzeit überwachen kann. Dies gilt insbesondere für Filialbetriebe,
                                    Außendiensttätigkeiten, Vorgesetztentätigkeiten oder für die Kontrolle der Kontrolleure. Hier hat die Rechtsprechung auch verdeckte Ehrlichkeitstests ohne jeden Anfangsverdacht als zulässig erachtet. Sonst hätte
                                    der Arbeitgeber keine Möglichkeit, sich der Ehrlichkeit der Mitarbeiter ausreichend zu versichern.