Folge 203

Betriebsratsanhörung bei Einstellung



Der Fall


    Arbeitgeber Wallenstein will in seiner Armee die Stelle des Quartier- und Verpflegungsmeisters neu besetzen. Von den 30 Stellenbewerbern wurden zuerst 2
    Frauen und 7 Männer zu Vorstellungsgesprächen geladen. In die engste Auswahl kamen dann neben Rittmeister Pappenheim und General Tilly auch die Bewerberin Mutter Courage. Aufgrund der Ergebnisse der
    Vorstellungsgespräche entschied sich Wallenstein für Pappenheim. Dem Betriebsratsvorsitzenden Gustav Adolf teilte Arbeitgeber Wallenstein die geplante Einstellung von Rittmeister Pappenheim mit. Dieser habe im
    Einstellungsgespräch die Auswahlkriterien mit Abstand am besten erfüllt.

    Betriebsratsvorsitzende Gustav Adolf hat durch sein Spionagesystem von den anderen Bewerbern erfahren. Er hält Tilly für bestens
    geeignet. Auf sein Betreiben widersprach der Betriebsrat der Einstellung von Pappenheim.

    Wallenstein muß schnell die Stelle des Quartier- und Verpflegungsmeisters besetzen. Er klagt deshalb beim
    Arbeitsgericht. Der Betriebsrat besteht auf seinen Rechten.



Die Lösung



1. Mitbestimmung bei Bewerbern


    Nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat
    vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung zu unterrichten. Er muß ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen und Auskünfte über die Person der Beteiligten, bei der
    Einstellung über die Person der Bewerber geben. Er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskünfte über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und muß die Zustimmung des
    Betriebsrats zur geplanten Maßnahme, z.B. zu der Einstellung, einholen.

    Diese Anhörung muß der Arbeitgeber in vollständiger Form durchführen und die Unterlagen in vollständiger Form dem Arbeitnehmer vorlegen.



2. Umfang der Anhörung


    Bei Neueinstellung muß der Arbeitgeber nach § 99 Abs. 1 BetrVG die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber dem Betriebsrat zur Kenntnisnahme übergeben. Dazu
    zählen Bewerbungsschreiben, Zeugnisse, Teilnahmebestätigungen, Lebenslauf, Lichtbild, Angaben über den Gesundheitszustand etc.

    Der Arbeitgeber darf die Übergabe der Bewerbungsunterlagen nicht nur auf die von
    ihm zur Einstellung vorgesehenen Bewerber beschränken. Er muß vielmehr die Unterlagen aller Stellenbewerber vorlegen, auch derjenigen, die von ihm abgelehnt werden.



3. Begrenzung


    Es gibt begehrte Stellen, bei denen im Falle einer Ausschreibung eine Vielzahl, ggf. Hunderte von Bewerbern vorhanden sind. Die Übergabe sämtlicher
    Unterlagen an den Betriebsrat bedeutet, daß der Betriebsrat mit Papier „zugeschüttet“ wird. Der Betriebsrat würde sich dadurch selbst in seiner Arbeitsfähigkeit blockieren.

    Aus diesem Grunde empfiehlt es sich
    dringend, in solchen Fällen zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsvereinbarung eine Regelung darüber zu treffen. Zu empfehlen ist, daß nur die Unterlagen der Bewerber im engeren
    Auswahlverfahren an den Betriebsrat übergeben werden. Dies zu entscheiden ist jedoch Sache jedes einzelnen Betriebsratsgremiums.



4. Unterlagen des Arbeitgebers


    Zu den erforderlichen Bewerbungsunterlagen gehören nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber auch die Unterlagen, die der Arbeitgeber selbst
    anläßlich der Bewerbung erstellt hat, wie z.B. Personalfragebögen, schriftliche Auskünfte von dritter Seite, das Ergebnis von Einstellungsprüfungen, Tests, Assessment-Centern.

    Der Begriff
    „Bewerbungsunterlagen“ ist nach der Rechtsprechung nicht nur dem Wortlaut nach, sondern nach Sinn und Zweck auszulegen. Nach Sinn und Zweck muß der Betriebsrat über alle Kriterien der Einstellung und über alle
    Qualifikationsmerkmale bzw. persönlichen Merkmale der Bewerber unterrichtet werden. Die Auskünfte dürfen sich deshalb nicht auf Namen und Personalien im engeren Sinne erstrecken, sondern auch auf die fachlichen
    und persönlichen Voraussetzungen der Bewerber für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz. Aus diesem Grunde gehören z.B. auch Auskünfte über Test- und Übungsergebnisse, die der Arbeitgeber selbst erhoben hat,
    zum notwendigen Unterrichtungsinhalt.



5. Vorstellungsgespräche


    Wenn für die Auswahlentscheidung Vorstellungsgespräche mit verschiedenen Bewerbern geführt wurden und der Inhalt dieser Gespräche für die Einstellung
    maßgeblich ist, so gehören zu einer vollständigen Auskunft auch die Mitteilung des Arbeitgebers an den Betriebsrat über die Teilnehmer dieser Vorstellungsgespräche und über den Gesprächsinhalt. Gerade dann, wenn
    nur noch Vorstellungsgespräche im engsten Raume geführt werden, ist der Inhalt der Vorstellungsgespräche für einen Betriebsrat evtl. von großer Bedeutung. Es ist deshalb nicht ausreichend, wenn Wallenstein den
    Betriebsratsvorsitzenden Gustav Adolf lediglich über das Ergebnis des Vorstellungsgespräches von Rittmeister Pappenheim informiert. Er hätte auch über die anderen Mitarbeiter, ihre Bewerbungsunterlagen und das
    Ergebnis der Vorstellungsgespräche informieren müssen.



6. Nachfrage des Betriebsrates


    Es ist nicht erforderlich, daß der Betriebsrat solche Informationen beim Arbeitgeber nach erfolgter Anhörung nachträglich einholt. Dies gilt jedenfalls
    dann, wenn die Anhörung des Betriebsrats nicht vollständig war. Nur bei vollständiger Anhörung kann sich der Arbeitgeber darauf verlassen, daß der Betriebsrat bei Ergänzungsfragen selbst nachfragen muß.



7. Frauenförderung


    Unterlag Wallenstein als Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes im weiteren Sinne einem Frauenförderplan, so war er verpflichtet, den Betriebsrat
    insbesondere über die Bewerbung und den Ausgang des Bewerbungsgespräches von Mutter Courage zu unterrichten. Dies gilt auch, wenn bei privaten Arbeitgebern ein Frauenförderplan besteht. Sollte geregelt sein, daß
    bei gleicher Eignung Frauen bevorzugt eingestellt werden, so muß Arbeitgeber Wallenstein insbesondere auch darlegen, weshalb er dann doch Rittmeister Pappenheim und nicht Mutter Courage einstellen möchte.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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