Der Fall
  
 
  
   Arbeitnehmerin Maria Theresia war nach der Geburt ihres zweiten Kindes in Elternzeit. Als sie wiederkam, arbeitete sie beim Arbeitgeber Potsdam-Fritz mit
                                    20 Wochenstunden in Teilzeit weiter, weil sie ihren Beruf als Silbertaler-Prägerin nicht aufgeben wollte.
   
   Im Einvernehmen mit Potsdam-Fritz konnte sie ihre Arbeit in der Münze in Nachtschicht verrichten. So
                                    konnte sie ihre Kinder betreuen. Der kleine Franzl war vormittags im Kindergarten. Die ältere Sissi war schon schulpflichtig.
   
   Arbeitgeber Potsdam-Fritz gestaltete dann die Arbeitszeit der Münze um in einen
                                    Zweischichtbetrieb. Die alleinerziehende Maria Theresia sollte nunmehr Früh- und Spätschicht arbeiten. Sie kann das mit der Kinderbetreuung nicht vereinbaren und klagt deshalb.
  
 
 
  
   Die Lösung
  
 
 
  
   1. Vertragliche Regelung
  
 
  
   Maria Theresia macht einen Anspruch auf Arbeit in der Nachtschicht geltend bzw. einen Anspruch auf eine Arbeitszeit, die sich mit den
                                    Kinderbetreuungszeiten vereinbaren läßt.
   
   Ein solcher Anspruch kann in einem Arbeitsvertrag vereinbart sein. Dann könnte der Arbeitgeber diesen vertraglichen Anspruch einseitig nur noch per Änderungskündigung
                                    beseitigen. Diese Änderungskündigung wäre gerichtlich überprüfbar.
   
   Solche vertraglichen Regelungen gibt es in der betrieblichen Praxis jedoch zumeist nicht. Auch Maria Theresia hat eine solche Vereinbarung
                                    nicht getroffen.
  
 
 
  
   2. § 106 Gewerbeordnung / Direktionsrecht
  
 
  
   Der Gesetzgeber hat in § 106 Abs. 1 Gewerbeordnung bestimmt, daß der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher
                                    bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, durch die Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung oder eines anwendbaren Tarifvertrages festgelegt sind. Der Gesetzgeber hat damit das
                                    Direktionsrecht des Arbeitgebers gesetzlich festgehalten.
   
   Im vorliegenden Falle bedeutet dies, daß Arbeitgeber Potsdam-Fritz die Arbeitszeit und die Schichteinteilung nach den betrieblichen Notwendigkeiten
                                    regeln kann. Er muß jedoch über die Grundsätze des billigen Ermessens die berechtigten Interessen der Mitarbeiter ausreichend würdigen und berücksichtigen.
   
   Die Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber
                                    entspricht den Grundsätzen des billigen Ermessens, wenn dieser die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat.
   
   Nach neuerer Rechtsprechung
                                    gehören zu den angemessen zu berücksichtigenden Interessen der Arbeitnehmerin insbesondere auch deren schutzwürdigen familiären Belange.
   
  
  
   
    Achtung:
   
  
  Deshalb
                                    muß der Arbeitgeber bei der einseitigen Bestimmung der Lage der Arbeit
  
   szeit auch auf die Erziehungspflichten und die Personensorgepflichten der Mitarbeiter aus §§ 1626, 1627 BGB
                                    ausreichend Rücksicht nehmen.
   
   Vorliegend hat Arbeitgeber Potsdam-Fritz im Falle eines Prozesses deshalb darzulegen, ob und inwieweit er bei seiner Umorganisation des Betriebes und bei der Abänderung des
                                    Schichtsystems die persönlichen Belange einzelner Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigt hat. Dies gilt vorliegend insbesondere für die Interessen der Maria Theresia, da sie als alleinerziehende Mutter in
                                    besonderer Weise einer Fürsorgepflicht anheimgegeben ist. Sie ist durch ihre familiäre Situation in einer besonders schwierigen Lage. Dies muß der Arbeitgeber zumindest bei seiner Abwägung berücksichtigen.
  
 
 
  
   3. Mitbestimmung
  
 
  
   Soweit im Betrieb des Arbeitgebers Potsdam-Fritz ein Betriebsrat existiert, muß er bei der Veränderung der Schichtsysteme und bei der Veränderung der
                                    betrieblichen Arbeitszeit außerdem zunächst die Zustimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 Betriebsverfassungsgesetz einholen.
   
   Auch der Betriebsrat muß bei den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber
                                    über die neue Lage der Arbeitszeit und bei der Inanspruchnahme seines Mitbestimmungsrechtes im Rahmen seiner Amtspflichten auf die berechtigten familiären Belange der Mitarbeiter Rücksicht nehmen und diese in
                                    seine Entscheidung mit einbeziehen.
  
 
 
  
   4. Berechtigte betriebliche Belange
  
 
  
   Die Rücksichtnahme des Arbeitgebers Potsdam-Fritz auf die Arbeitnehmerin Maria Theresia kann jedoch nicht grenzenlos sein. Der Arbeitgeber muß vielmehr
                                    einen funktionsfähigen profitablen Betrieb organisieren, um den Erhalt der Arbeitsplätze sicherzustellen.
   
   Aus diesem Grunde darf der Arbeitgeber bei der Zuweisung der neuen Arbeitszeit durch Direktionsrecht
                                    berechtigte betriebliche Belange, insbesondere auch berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer berücksichtigen, die ggf. dem Arbeitszeitwunsch der Maria Theresia entgegenstehen.
   
   Wie in so vielen Fällen
                                    konzentriert sich das Hauptproblem bei Maria Theresia auf die Nachmittagsarbeit, da ihre Kinder Sissi und Franzl normalerweise am Vormittag in der Schule bzw. im Kindergarten ausreichend betreut werden.
   
   Im
                                    Prozeß müßte der Arbeitgeber entgegenstehende betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer darlegen und beweisen. Allgemeine Ausführungen über Schwierigkeiten durch Ausnahmen wie Maria
                                    Theresia reichen dazu nicht aus.
   
   Die Benachteiligung anderer Arbeitnehmer müßte ebenfalls konkret dargetan sein.
   
   Beiden Seiten, Arbeitnehmerin wie Arbeitgeber, ist es zumutbar, alles in ihrer Macht
                                    stehende und wirtschaftlich wie organisatorisch zumutbare zu tun, um gemeinsam das Problem zu lösen. Deshalb ist auf Arbeitnehmerseite zu prüfen, ob eine Problemlösung durch eine Kinderbetreuung außerhalb der
                                    Kindergarten- und Schulzeiten möglich und wirtschaftlich zumutbar ist.
   
   Andererseits ist auf Arbeitgeberseite zu prüfen, weshalb die Durchführung der Nachtarbeit betrieblich nicht mehr möglich, wirtschaftlich
                                    nicht mehr tragbar oder sinnvoll ist. Darüber hinaus ist zu prüfen, weshalb die Mitarbeiterin Maria Theresia dann nicht ggf. so in der Früh- oder Spätschicht eingesetzt werden kann, daß sie ihren
                                    Kinderbetreuungspflichten wenigstens am Nachmittag und am frühen Abend ausreichend nachkommen kann.
  
 
 
  
   5. Fazit
  
 
  
   – Zu den vom Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechtes nach § 106 Gewerbeordnung zu berücksichtigenden Umständen gehören auch die schutzwürdigen
                                    familiären Belange des Arbeitnehmers.
   
   – Bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit muß der Arbeitgeber insbesondere auf die Personensorgepflichten des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Dies gilt jedenfalls
                                    solange, wie einer vom Arbeitnehmer zu Recht gewünschten Verteilung der Arbeitszeit nicht überwiegende betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen.