Folge 177

Zumutbare Arbeit und Absenkung der Grundsicherung

(Stand 2025)

 

Der Fall

 

Der langzeitarbeitslose Kunstmaler Emil Nolde wird von der Arbeitsagentur als Anstreichergeselle vermittelt. Er weigert sich zu arbeiten.

Der Vegetarier und Pianist Chopin soll nach dem Willen der Arbeitsverwaltung zukünftig als Kopfschlächter im Schlachthof Magdeburg arbeiten. Chopin weint vor Entsetzen.

Die versierte Arbeitsverwaltung in Stuttgart verschafft dem arbeitslosen Schwaben Häberle einen Posten als Industriemeister in Hannover. Der Posten wäre gut. Doch Häberle weigert sich, den Weißwurst-Äquator zu überqueren. In allen Fällen will die Arbeitsverwaltung die Grundsicherung spürbar kürzen oder gar einstellen. Sind die Verweigerungen begründet erfolgt?

 

Die Lösung

 

 

1. Neue Zumutbarkeitsregeln

 

Wer Hilfe vom Steuerzahler erhält, muss nach dem Willen des Gesetzgebers alles tun, um möglichst schnell wieder unabhängig von der staatlichen Unterstützung leben zu können. Der Gesetzgeber hat deshalb bei Empfängern von Grundsicherung und Langzeitarbeitslosen grundsätzlich jede Arbeit für zumutbar gehalten.

Die neuen Zumutbarkeitskriterien haben politisch eine große Diskussion ausgelöst. Gleichwohl ist in § 10 SGB II (Hartz IV) ein weiter Zumutbarkeitsmaßstab für Langzeitarbeitslose festgelegt worden, die  Grundsicherung wollen, statt zu arbeiten.

Der Gesetzgeber hat damit dem Arbeitslosen die Pflicht auferlegt, alles zu tun, um wieder in Arbeit zu kommen. Dabei verlangt er vom Arbeitslosen auch die Hinnahme von Unbequemlichkeiten und eine weitgehend Opferbereitschaft. Der Gesetzgeber hat deshalb ausdrücklich
formuliert, dass dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen

jede Arbeit zumutbar ist.

Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn

– er zu einer bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist,

– die Ausübung der Arbeit ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschweren würde, weil
die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt,

– die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde. Diese Vorschrift betrifft
insbesondere auch die Alleinerziehenden. Deshalb hat der Gesetzgeber weiter bestimmt, dass die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, in der Regel nicht gefährdet ist, soweit seine Betreuung
in einer Tageseinrichtung oder Tagespflege sichergestellt ist. Die Agentur für Arbeit soll auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe hinwirken, diesen Erziehenden vorrangig einen Platz zur Tagesbetreuung des
Kindes anzubieten.

– die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit kann weiter unzumutbar sein, wenn sie mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege auf andere Weise nicht sichergestellt
werden kann oder

– der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht.

Der Vegetarier Chopin kann der Tätigkeit des Kopfschlächters entgegenhalten, dass er als Vegetarier seelisch nicht in
der Lage ist, eine solche Arbeit gegen seine körperliche und geistige Grundeinstellung auszuüben. Außerdem kann Chopin als Pianist anführen, dass die körperlich sehr schwere Tätigkeit des Kopfschlächters seine
weitere Tätigkeit als Pianist erheblich gefährdet, weil seine zarten Finger dadurch schlimm beeinträchtigt würden.

Der Gesetzgeber wollte bei der Definition der Unzumutbarkeit insbesondere den erziehenden und den pflegenden Arbeitnehmern entgegenkommen, sonst aber nur im Extremfall Ausnahmen zulassen.

 

2. Verschärfung der Unzumutbarkeitsregel

 

Nach § 10 Abs. 2 SGB II sind Arbeiten insbesondere nicht allein deshalb unzumutbar, weil

– sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entspricht, für die er ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat,

– sie im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringwertig anzusehen ist,

– der Beschäftigungsort vom Wohnort des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen weiter entfernt ist, als sein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort,

– die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind, als bei den
bisherigen Beschäftigungen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen.

Der Kunstmaler Emil Nolde kann die neue Arbeit des Anstreichers nicht verweigern mit der Begründung, dass diese wesentlich geringwertiger ist,
als seine Kunstmalertätigkeit.

Der Schwabe Häberle muss nach Hannover gehen. Der Weißwurst-Äquator ist kein Argument, um die neue Arbeit abzulehnen. Auch schlechtere Vergütungsbedingungen sind kein Grund zur Ablehnung.

Mit den neuen Zumutbarkeitsregeln für Hilfebedürftige hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er hohe Anforderungen an den Wiedereingliederungswillen der Arbeitslosen, insbesondere der
Langzeitarbeitslosen stellt.

 

3. Absenkung oder Wegfall der Grundsicherung

 

Nach § 31 SGB II wird die Grundsicherung für 3 Monate um 30 % gesenkt, wenn der Arbeitslose sich trotz Belehrung weigert, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder durchzuführen. Das gleiche gilt, wenn der Hilfebedürftige eine zumutbare Eingliederungsmaßnahme abgebrochen hat oder Anlass für einen Abbruch gegeben hat. In diesen Fällen entfällt auch der befristete Zuschuss zum Lebensunterhalt.

Die Grundsicherung wird auch gekürzt, wenn der Hilfebedürftige der Aufforderung zur Meldung oder zur ärztlichen Untersuchung nicht
Folge leistet.

Bei Jugendlichen unter 25 Jahren, die eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung ablehnen, entfällt für 3 Monate die entgeltliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Gänze. Nur die
Leistungen für Unterkunft und Heizung bleiben bestehen. Auch Bezieher von Sozialgeld müssen bei bestimmten Verstößen Kürzungen hinnehmen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
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