Folge 16

Kinderkrankheit – Recht zur Freistellung bis 50 Tage

(Stand 2025)



Immer mehr Alleinerziehende, Frauen wie Männer, aber auch Ehepaare mit doppelter Berufstätigkeit haben Probleme, wenn ihre Kinder erkranken. Dies gilt auch dann, wenn Angehörige erkranken.

Für diese Fälle gibt es im Arbeitsverhältnis für Familien mit Kindern oder Angehörigen mehr Hilfen, als im allgemeinen bekannt ist.



Der Fall:

Ella Rehbein ist Alleinerziehende mit zwei Kindern: Florian ist 3 Jahre alt und Nepomuk 10 Jahre alt. Beide Kinder erkranken an einer Fieberattacke. Der Arzt besteht darauf, dass Ella bei den Kindern bleibt und nicht zur Arbeit geht.

Da Ella Rehbein keinen Urlaub mehr hat, will sie vom Arbeitgeber Hans Frost frei bekommen. Hans Frost lehnt ab. Als Ella zur Pflege der Kinder 2 Wochen zu Hause bleibt, kündigt Hans Frost fristlos. Zu Recht? Wovon soll Ella Miete bezahlen?

Als die kinderreiche Maria Magdalena bei Hans Frost ein Arbeitsverhältnis beginnt, lässt Hans Frost sie eine Erklärung unterzeichnen. Damit
verzichtet sie bei Erkrankung ihrer Kinder auf Freistellung. Maria Magdalena hat fünf Kinder und will bei der Erkrankung jedes Kindes am Krankenbett verweilen.



Die Lösung:


1. Anspruch auf Krankengeld

Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V haben Ella und Maria gegen ihre Krankenkasse einen Anspruch auf Krankengeld bei der Erkrankung ihrer Kinder. Voraussetzung dafür sind:

– die Betreuungsperson muss krankenversichert sein,

– nach ärztlichem Zeugnis muss die Pflege erforderlich sein,

– die Pflegeperson bleibt der Arbeit fern,

– eine andere, im Haushalt lebende Person kann das Kind nicht pflegen oder betreuen,

– das kranke Kind hat das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet.


2. Freistellungsanspruch gegen Arbeitgeber Frost

Nach § 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V haben Ella Rehbein und Maria Magdalena gegen den Arbeitgeber Frost einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Voraussetzung für diesen Freistellungsanspruch ist ein gleichzeitiger Anspruch auf Krankengeld bzw. auf das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld.

Es ist deshalb rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Hans Frost den Freistellungsanspruch den Arbeitnehmerinnen bei Kindeserkrankungen verweigert.

Außerdem ist es rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Hans Frost von der Arbeitnehmerin Ella Rehbein in der Vergangenheit verlangt hat, bei
Kindeserkrankung den Erholungsurlaub zu nehmen. Ella könnte diesen Urlaub im Wege des Schadenersatzes von Rehbein zurück verlangen.


3. Kein Kündigungsrecht

§ 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V gewährt den Arbeitnehmern bei Erkrankung eines Kindes nicht nur einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit. Bei rechtswidriger Verweigerung der Freistellung durch den Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerin sogar ohne Sanktion eigenmächtig von der Arbeit fernbleiben. Dies gilt deshalb, weil der Arbeitgeber in diesem Falle Rechtsbruch begeht und eine sachliche Notwendigkeit für das Fernbleiben von der Arbeit vorhanden ist.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber Hans Frost wegen Ausübung dieses “Zurückbehaltungsrechtes” ist nichtig. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber Hans Frost seine Verpflichtungen
zur Freistellung der Arbeitnehmerin kannte oder nicht.

Klagt also Ella Rehbein gegen die fristlose Kündigung, so wird Arbeitgeber Hans Frost den Prozess verlieren. Er muss Ella weiterbeschäftigen und ihr den Lohn nachzahlen.


4. Dauer der Freistellung

Die Dauer des Freistellungsanspruches ist in § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V geregelt.

Nach dem Gesetz besteht für jedes kranke Kind pro Jahr ein Freistellungsanspruch von längstens 10 Arbeitstage.

Für alleinerziehende Arbeitnehmer und Versicherte, wie für Ella Rehbein, verlängert sich dieser Freistellungsanspruch pro Kind allerdings auf längstens 20 Arbeitstage pro Jahr.

Der Gesetzgeber hat den Gesamtanspruch für eine Freistellung auf jährlich 25 Arbeitstage für alle Kinder zusammen begrenzt. Für alleinerziehende Versicherte beträgt die Freistellungsgrenze 50 Arbeitstage.

Daraus folgt, dass Ella Rehbein als Alleinerziehende für ihre 2 Kinder maximal 40 Arbeitstage pro Jahr Freistellung vom Arbeitgeber verlangen kann. Die kinderreiche Maria Magdalena kann bei der Erkrankung ihrer 5 Kinder maximal 25 Arbeitstage Freistellung verlangen.

Sofern Maria Magdalena alleinerziehend wäre, könnte sie insgesamt maximal 50 Arbeitstage pro Jahr freigestellt werden.


5. Ausschluss des Freistellungsanspruchs

Es ist war unzulässig, dass Hans Frost versucht hat, bei Magdalena diesen gesetzlichen Freistellungsanspruch durch den Arbeitsvertrag auszuschließen. Ein Ausschluss oder eine Begrenzung dieses Anspruches ist rechtlich nicht zulässig und möglich. § 45 Abs. 3 Satz 3
Sozialgesetzbuch V verbietet dies ausdrücklich.

Dies bedeutet für die kinderreiche Maria Magdalena, dass sie trotz einer entsprechenden schriftlichen Verzichtserklärung von ihrem Arbeitgeber Frost verlangen kann, im Falle einer Erkrankung ihrer Kinder bis zu 25/50 Arbeitstage pro Jahr unbezahlt freigestellt zu werden.


6. Unbezahlte Freistellung/Krankengeld

Für diese Freistellungszeiträume nach dem Sozialgesetzbuch muss der Arbeitgeber keine Vergütung bezahlen. Die Arbeitnehmerinnen können vom Arbeitgeber insoweit nur eine unbezahlte Freistellung verlangen.

Die fehlende Vergütung wird dann durch den Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse ausgeglichen. Da das Krankengeld sich der Höhe des Nettolohnes annähert, ist der Verdienstausfall nicht allzu hoch.

Das Krankengeld beträgt 70% des regelmäßigen Bruttoentgeltes, maximal 90% des Nettolohns, maximal 128,63 € pro Tag (2025). Davon abgezogen werden die Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Beiträge zur Krankenkasse entfallen. Außerdem ist es steuerfrei.

Ella Rehbein muss deshalb nicht ohne Einkommen während der Pflege ihrer Kinder bleiben.


Bezahlte Ausnahme:

In einigen Tarifverträgen gibt es von dieser Regel eine Ausnahme, z.B. im TV öffentlicher Dienst. Danach gibt es einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für 5 Tage. In diesem Falle kann die Arbeitnehmerin dann allerdings neben dem Tarif-Lohn kein Krankengeld von der Krankenkasse verlangen.


7. Geringbeschäftigte/Aushilfen

Streitig ist, ob geringbeschäftigte Arbeitnehmer (bis zu 15 Std. pro Woche)  ebenfalls einen Anspruch auf Freistellung besitzen.

Der gesetzliche Freistellungsanspruch erstreckt sich nämlich nur auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld. Von der Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch V sind die sozialversicherungsfreien Arbeitnehmer, die “Geringbeschäftigten”, nicht automatisch umfasst.

Sofern keine Krankenversicherungspflicht besteht oder sofern bei Geringbeschäftigten trotz der Pflicht zur Abführung von Pauschal-Versicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber ein eigenes Recht der Versicherten nicht entstehen, ist streitig, ob der Freistellungsanspruch ebenfalls greift.

Meines Erachtens liegt hier jedoch der Fall des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor, nach dem auch Geringbeschäftigte nicht schlechter gestellt werden dürfen, als die anderen Vollzeit- und Teilzeitkräfte. Außerdem spricht auch das Diskriminierungsverbot des
Art. 119 EG-Vertrag dafür, daß Geringbeschäftigte insoweit nicht benachteiligt werden dürfen. Gerade jüngst hat insoweit der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechte der Geringbeschäftigten gestärkt.

Außerdem verbietet § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) seit dem 1.1.2001 ausdrücklich die Benachteiligung und Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten.

§ 2 Abs. 2 TzBfG hat zudem die Geringbeschäftigten ausdrücklich als Teilzeitbeschäftigte anerkannt. Es muss deshalb grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass auch Geringbeschäftigte und sog. Aushilfskräfte bei der Erkrankung ihres Kindes und dem Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vom Arbeitgeber unbezahlte Freistellung für 10 oder 20 Arbeitstage pro Kind unter Berücksichtigung der Obergrenzen verlangen können.

Geringbeschäftigte bleiben dann allerdings ohne Krankengeldanspruch. Da sie vom Arbeitgeber nur unbezahlte Freistellung verlangen können, erhalten sie für den Freistellungszeitraum keinerlei Vergütung.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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