Folge 16

Kinderkrankheit – Recht zur Freistellung bis 50 Tage



Immer mehr Alleinerziehende, Frauen wie Männer, aber auch Ehepaare mit doppelter Berufstätigkeit haben Probleme, wenn ihre Kinder erkranken. Dies gilt auch dann, wenn Angehörige erkranken.

Für diese Fälle
gibt es im Arbeitsverhältnis für Familien mit Kindern oder Angehörigen mehr Hilfen, als im allgemeinen bekannt ist.



Der Fall:

    Ella Rehbein ist Alleinerziehende mit zwei Kindern: Florian ist 3 Jahre alt und Nepomuk 10 Jahre alt. Beide Kinder erkranken an einer Fieberattacke. Der Arzt besteht darauf, daß Ella bei
    den Kindern bleibt und nicht zur Arbeit geht.

    Da Ella Rehbein keinen Urlaub mehr hat, will sie vom Arbeitgeber Fritz Sauer frei bekommen. Hans Frost lehnt ab. Als Ella zur Pflege der Kinder 2 Wochen zu Hause
    bleibt, kündigt Hans Frost fristlos. Zu Recht? Wovon soll Ella Miete bezahlen?

    Als die kinderreiche Maria Magdalena das Arbeitsverhältnis beginnt, läßt Hans Frost sie eine Erklärung unterzeichnen. Damit
    verzichtet sie bei Erkrankung ihrer Kinder auf Freistellung. Maria Magdalena hat fünf Kinder und will bei der Erkrankung jedes Kindes am Krankenbett verweilen.



Die Lösung:


1. Anspruch auf Krankengeld

    Nach § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V haben Ella und Maria gegen ihre Krankenkasse einen Anspruch auf Krankengeld bei der Erkrankung ihrer Kinder. Voraussetzung dafür sind:

    – die Betreuungsperson muß krankenversichert sein,

    – nach ärztlichem Zeugnis muß die Pflege erforderlich sein,

    – die Pflegeperson bleibt der Arbeit fern,

    – eine andere, im Haushalt lebende Person kann
    das Kind nicht pflegen oder betreuen,

    – das kranke Kind hat das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet.


2. Freistellungsanspruch gegen Arbeitgeber Frost

    Nach § 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V haben Ella Rehbein und Maria Magdalena gegen den Arbeitgeber Frost einen gesetzlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Voraussetzung für diesen
    Freistellungsanspruch ist ein gleichzeitiger Anspruch auf Krankengeld bzw. auf das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld.

    Es ist deshalb rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Frost den
    Freistellungsanspruch den Arbeitnehmerinnen bei Kindeserkrankungen verweigert. Außerdem ist es rechtswidrig, wenn Arbeitgeber Hans Frost von der Arbeitnehmerin Ella Rehbein in der Vergangenheit verlangt hat, bei
    Kindeserkrankung den Erholungsurlaub zu nehmen.


3. Kein Kündigungsrecht

    § 45 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V gewährt den Arbeitnehmern bei Erkrankung eines Kindes nicht nur einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit. Bei rechtswidriger Verweigerung der
    Freistellung durch den Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerin sogar ohne Sanktion eigenmächtig von der Arbeit fernbleiben. Dies gilt deshalb, weil der Arbeitgeber in diesem Falle Rechtsbruch begeht.

    Die
    Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber Hans Frost wegen Ausübung dieses “Zurückbehaltungsrechtes” ist nichtig. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber Hans Frost seine Verpflichtungen
    zur Freistellung der Arbeitnehmerin kannte oder nicht.

    Klagt also Ella Rehbein gegen die fristlose Kündigung, so wird Arbeitgeber Hans Frost den Prozeß verlieren. Er muß Ella weiterbeschäftigen und ihr den
    Lohn nachzahlen.


4. Dauer der Freistellung

    Die Dauer des Freistellungsanspruches ist in § 45 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V geregelt.

    Nach dem Gesetz besteht für jedes kranke Kind pro Jahr ein Freistellungsanspruch von längstens 10
    Arbeitstage.

    Für alleinerziehende Arbeitnehmer und Versicherte, wie für Ella Rehbein, verlängert sich dieser Freistellungsanspruch pro Kind auf längstens 20 Arbeitstage pro Jahr.

    Der Gesetzgeber hat den
    Gesamtanspruch für eine Freistellung auf jährlich 25 Arbeitstage für alle Kinder zusammen begrenzt. Für alleinerziehende Versicherte beträgt die Freistellungsgrenze 50 Arbeitstage.

    Daraus folgt, daß Ella
    Rehbein maximal 40 Arbeitstage pro Jahr Freistellung vom Arbeitgeber verlangen kann. Die kinderreiche Maria Magdalena kann bei der Erkrankung ihrer 5 Kinder maximal 25 Arbeitstage Freistellung verlangen. Sofern
    Maria Magdalena Alleinerziehend wäre, könnte sie insgesamt maximal 50 Arbeitstage pro Jahr freigestellt werden.


5. Ausschluß des Freistellungsanspruchs

    Es ist unzulässig, wenn Hans Frost versucht, diesen gesetzlichen Freistellungsanspruch durch Arbeitsvertrag oder auf andere Weise auszuschließen oder zu begrenzen. § 45 Abs. 3 Satz 3
    Sozialgesetzbuch V verbietet dies ausdrücklich.

    Dies bedeutet für die kinderreiche Maria Magdalena, daß sie trotz einer entsprechenden schriftlichen Verzichtserklärung von ihrem Arbeitgeber Frost verlangen
    kann, daß sie im Falle einer Erkrankung ihrer Kinder bis zu 25/50 Arbeitstage pro Jahr unbezahlt freigestellt wird.


6. Unbezahlte Freistellung/Krankengeld

    Für diese Freistellungszeiträume nach dem Sozialgesetzbuch muß der Arbeitgeber keine Vergütung bezahlen. Die Arbeitnehmerinnen können vom Arbeitgeber insoweit nur eine unbezahlte
    Freistellung verlangen.

    Die fehlende Vergütung wird dann durch den Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse ausgeglichen. Da das Krankengeld sich der Höhe des Nettolohnes annähert, ist der Verdienstausfall
    nicht allzu hoch. Ella Rehbein muß deshalb nicht ohne Einkommen während der Pflege ihrer Kinder bleiben.


    Bezahlte Ausnahme:

    In einigen Tarifverträgen gibt es von dieser Regel eine Ausnahme, z.B. im Bundesangestelltentarifvertrag (öffentlicher Dienst). Danach gibt es einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für 5 Tage. In diesem Falle kann die Arbeitnehmerin dann allerdings neben dem Tarif-Lohn kein Krankengeld von der Krankenkasse verlangen.


7. Geringbeschäftigte/Aushilfen

    Streitig ist, ob geringbeschäftigte Arbeitnehmer (bis zu 15 Std. pro Woche mit nicht mehr als 630 DM pro Monat) ebenfalls einen Anspruch auf Freistellung besitzen.

    Der gesetzliche
    Freistellungsanspruch erstreckt sich nämlich nur auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Arbeitnehmer mit Anspruch auf Krankengeld. Von der Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch V sind die sozialversicherungsfreien
    Arbeitnehmer, die “Geringbeschäftigten”, nicht automatisch umfaßt.

    Sofern keine Krankenversicherungspflicht besteht oder sofern bei Geringbeschäftigten trotz der Pflicht zur Abführung von
    Pauschal-Versicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber ein eigenes Recht der Versicherten nicht entstehen, ist streitig, ob der Freistellungsanspruch ebenfalls greift. Meines Erachtens liegt hier jedoch der Fall
    des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor, nach dem auch Geringbeschäftigte nicht schlechter gestellt werden dürfen, als die anderen Vollzeit- und Teilzeitkräfte. Außerdem spricht auch das Diskriminierungsverbot des
    Art. 119 EG-Vertrag dafür, daß Geringbeschäftigte insoweit nicht benachteiligt werden dürfen. Gerade jüngst hat insoweit der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechte der Geringbeschäftigten gestärkt. Außerdem
    verbietet § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) seit dem 1.1.2001 ausdrücklich die Benachteiligung und Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten. § 1 TzBfG hat zudem die Teilzeitbeschäftigten ab dem
    1.1.2001 ausdrücklich als Teilzeitbeschäftigte anerkannt. Es muß deshalb grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß auch Geringbeschäftigte und sog. Aushilfskräfte bei der Erkrankung ihres Kindes und dem
    Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen vom Arbeitgeber unbezahlte Freistellung für 10 oder 20 Arbeitstage pro Kind unter Berücksichtigung der Obergrenzen verlangen können. Geringbeschäftigte sind dann
    allerdings ohne Krankengeldanspruch. Da sie vom Arbeitgeber nur unbezahlte Freistellung verlangen können, erhalten sie für den Freistellungszeitraum keinerlei Vergütung.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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