Folge 158

Die neue Sozialauswahl I



Der Fall:


    Musikunternehmer Don Giovanni muß sein Musiktheater aus wirtschaftlichen Gründen personell verkleinern. Von den Geigern Vivaldi, Händel, Strauß und
    Telemann muß mindestens einer gehen, ebenso von den Sängern Liporello, Figaro, Dona Elvira und Salome. Die Tänzerinnen Mimi und Musette müssen wie das Ballett ganz gestrichen werden.

    Don Giovanni hat gehört,
    daß die Sozialauswahl seit 1.1.2004 zu seinen Gunsten neu geregelt sei. Er fragt sich nun, was ist geblieben, was ist in der Sozialauswahl neu?



Die Lösung



1. Betriebsbedingte Kündigung


    Die vom Unternehmer Don Giovanni bei den beabsichtigten Kündigungen zu beachtende Sozialauswahl findet nur bei betriebsbedingten Kündigungen statt, d.h.
    wenn der Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen wegen Wegfalls eines Arbeitsplatzes nicht weiterbeschäftigt werden kann.

    Bei einer verhaltensbedingten Kündigung wegen grober
    Vertragsverletzung oder einer personenbedingten Kündigung wegen erheblicher Krankheitszeiten würde es keinen Sinn machen, einen anderen Arbeitnehmer anstelle des vertragsbrüchigen oder erkrankten Arbeitnehmer zu
    kündigen.



2. Gesetzliche Regelung


    Die bei einer betriebsbedingten Kündigung vorzunehmende Sozialauswahl ist in § 1 Absatz 3 KSchG geregelt. Dies gilt für die alte wie für die neue
    Gesetzesfassung.


    Zur Erläuterung:

    Wenn aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, innerbetrieblicher oder außerbetrieblicher Probleme, Umsatzrückgang, Rückgang der Aufträge, Rationalisierung, Kostendruck etc. Arbeitsplätze wegfallen, so darf der Arbeitgeber nicht zwangsläufig denjenigen Arbeitnehmer kündigen, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist. Wenn z.B. von 100 Maschinenarbeitsplätzen 10 Arbeitsplätze entfallen, so darf der Arbeitgeber 10 Maschinenarbeiter kündigen, jedoch nicht zwangsläufig diejenigen an den stillgestellten Maschinen. Er muß vielmehr innerhalb der Gruppe der Maschinenarbeiter zur Kündigung auswählen, die sozial am wenigsten schutzwürdig sind und sich am Arbeitsmarkt noch am leichtesten behaupten. Diese Auswahl fällt aber im Einzelfall sehr schwer.



3. Betriebsbezogenheit


    Das Kündigungsschutzgesetz an sich ist unternehmensbezogen, auch wenn das Gesetz z.B. im neuen § 23 Absatz 1 KSchG immer noch vom Betrieb statt vom
    Unternehmen spricht.

    Die Sozialauswahl ist jedoch nach Wortlaut und ganz einhelliger Meinung betriebsbezogen vorzunehmen. Hat der Arbeitgeber / das Unternehmen jeweils einen Betrieb in Berlin, Hamburg und
    Köln, so müssen nicht die Maschinenarbeiter aller 3 Betriebe zusammengenommen und verglichen werden, sondern nur die Arbeiter in Berlin, in Hamburg oder in Köln. Normalerweise hat der dann gekündigte
    Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, daß statt seiner ein sozial besserstehender Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb gekündigt wird.

    Das Problem hat Musikunternehmer Don Giovanni nicht, da er nur ein
    Musiktheater betreibt.



4. Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer


    In die soziale Auswahl sind nur die Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander verglichen werden können. Entscheidend sind hierbei zum einen die
    Arbeitsaufgaben der Arbeitnehmer, ihre vertraglichen Verpflichtungen, ihre arbeitsvertraglichen Grenzen und ihre Stellung in der Betriebshierarchie.

    Zum anderen sind entscheidend die Fähigkeiten und die
    Ausbildung der Arbeitnehmer und ihre Einsetzbarkeit im Betrieb.

    Auf eine Kurzformel gebracht: Vergleichbar sind regelmäßig alle die Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und vertraglichen Aufgaben
    austauschbar sind. Es gilt das Prinzip der “horizontalen Vergleichbarkeit”. Im Ergebnis bedeutet dies, daß regelmäßig der angelernte Arbeiter mit den anderen angelernten Arbeitern, der Facharbeiter mit dem
    einschlägig ausgebildeten Facharbeiter, die Industriekauffrau mit der Industriekauffrau, der Meister mit dem Meister, der kaufmännisch ausgebildete Abteilungsleiter mit der anderen kaufmännisch ausgebildeten
    kaufmännischen Abteilungsleiterin, bestimmte Spezialisten untereinander etc. vergleichbar sind.

    Eine relativ kurze, dem Arbeitgeber zumutbare Einarbeitungszeit bei dem Wechsel des Arbeitsplatzes spielt dabei
    keine entscheidende Rolle. Ist eine längere Ausbildungszeit vonnöten, entfällt die Vergleichbarkeit.

    Im Ergebnis ist somit der Geiger Vivaldi nicht mit dem Bass Liporello oder der Sopranette Dona Elvira,
    diese wiederum nicht mit den Tänzerinnen Mimi und Musette vergleichbar. Der Bass Liporello ist nicht mit der Sopranette Dona Elvira vergleichbar, aber im Zweifel sind es die Tänzerinnen Mimi und Musette.

    Ergebnis: Alle die vorstehend genannten rechtlichen Gesichtspunkte sind für den Unternehmer schwierig zu bewältigen, aber nicht neu, nicht von der Gesetzesänderung betroffen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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