Folge 156

Abfindung nach § 1 a KSchG – praktische Probleme

(Stand 2025)

Der Fall:

Arbeitgeberin Marylin will den widerspenstigen Arbeitnehmer Kinski kündigen. Mit ihrem Unternehmensberater Sigmund Freud überlegt sie sich, ob eine Vorgehensweise nach § 1 a KSchG mit betriebsbedingter Kündigung statt verhaltensbedingter Kündigung und Abfindungsangebot für sie wirklich empfehlenswert wäre. Freud ist skeptisch.

Auch Arbeitnehmer Kinski überlegt sich, ob er ein solches Angebot annehmen und auf eine Kündigungsschutzklage verzichten solle. Vielleicht kann er auf dem Klagewege tatsächlich mehr erreichen?

Was sind die Vor- und Nachteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei dieser Regelung?

Die Lösung

1. Psychologische Überlegungen

Wählt Arbeitgeberin Marylin die Lösung des § 1 a KSchG, so weiß sie noch lange nicht, ob Arbeitnehmer Kinski die angebotene Abfindung annehmen oder ob er Kündigungsschutzklage erheben wird. Dies ist ein Risiko für die Arbeitgeberin.

Fest steht allerdings bei dieser Lösung, dass die Arbeitgeberin ein Abfindungsangebot in einer bestimmten Höhe gemacht hat. Wenn sich
Arbeitnehmer Kinski auf das Angebot nicht einläßt, wird beim Arbeitsgericht noch einmal über die Frage einer gütlichen Einigung durch Zahlung einer Abfindung verhandelt.

In diesem Falle kann Arbeitgeberin Marylin kaum damit rechnen, sich unter das frühere Angebot zurückziehen zu können. Dieses Angebot ist letztlich als Mindestangebot nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Im Zweifel wird dann nur noch über höhere Summen verhandelt. Marylin schwächt ihre Position in einem späteren Verfahren durch ihr Angebot.

Außerdem könnte beim Arbeitnehmer Kinski durch das Abfindungsangebot der Eindruck entstehen, dass sich Marylin ihrer Kündigung nicht sicher ist und deshalb ein Abfindungsangebot abgibt. So könnte dieses Angebot bei manchem Arbeitnehmer erst ein richtiger Anreiz zur Klageerhebung sein mit dem Ziel, eine höhere Abfindung auszuhandeln.

Im Ergebnis ist deshalb dem Arbeitgeber in vielen Fällen eine Vorgehensweise nach § 1 a KSchG nicht ohne weiteres anzuraten.

Auch der Arbeitnehmer kann damit rechnen, im Falle einer
Kündigungsschutzklage das Abfindungsangebot des Arbeitgebers noch einmal erhöhen zu können. Dies gilt auch deshalb, weil bei einer späteren gerichtlichen Verhandlung sich die Erfolgsaussichten der Kündigung
vielleicht nicht so gut darstellen, wie die Arbeitgeberin das meint.

Der Arbeitnehmer Kinski muss auch berücksichtigen, dass mit dem Verstreichen lassen der gesetzlichen Klagefrist ihm ein ganz wesentliches
Druckmittel für weitere Ansprüche und Streitpunkte genommen wird.

Es ist daran zu denken, daß gerade im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch weitere Streitpunkte offen sind, wie z.B.
Vergütungsansprüche, Resturlaub, Zeugnis, Papiere, Überstunden, etc.

Diese zusätzlichen Ansprüche lassen sich oft im Wege eines gerichtlichen Vergleiches ohne weitere bedeutsame gerichtliche Auseinandersetzungen
mit vergleichen. Unter dem Druck der Kündigungsschutzklage ist der Arbeitgeber oft in diesen Punkten vergleichsbereiter, als wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohnehin schon feststeht.

2. Außerordentliche Kündigung

Der Abfindungsanspruch entsteht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist. Dies bedeutet, dass bei einer außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses der Abfindungsanspruch überhaupt nicht entsteht. Der Arbeitnehmer kann eine außerordentliche Kündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht verhindern. Er hat insoweit ein Risiko.

3. Vollstreckungstitel

Die Lösung nach § 1 a KSchG führt dazu, dass der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Abfindungsanspruch besitzt. Dieser Abfindungsanspruch ist jedoch nicht tituliert. Eine Vollstreckung ist nicht möglich.

Verweigert der Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – die Zahlung der Abfindung oder eines Teils der Abfindung – so muss der Arbeitnehmer zunächst den Weg der Leistungsklage beim Arbeitsgericht beschreiten. Das hatte er gerade vermeiden wollen. Erst wenn er dann obsiegt – auch dies ist nicht zwingend – hat er einen Titel und kann vollstrecken.

Erhebt der Arbeitnehmer dagegen Kündigungsschutzklage und schließt in der Güteverhandlung einen Vergleich, so ist der dort vereinbarte Abfindungsbetrag sofort tituliert und vollstreckbar. Eine weitere Klage ist nicht notwendig.


Fazit:

Hier liegt einer der großen Schwachpunkte des neuen Gesetzes. Die Titulierung des Abfindungsanspruchs kann für den Arbeitnehmer sehr wichtig sein.

4. Ausschlussfrist

Zu bedenken ist auch, dass der Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG einer tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist unterliegt.

Wird der Anspruch nicht sofort beglichen und vom Arbeitnehmer – warum auch immer – nicht schriftlich und beziffert innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht, so muss der Arbeitnehmer damit rechnen, dass ihm der
Arbeitgeber später die Abfindung mit Berufung auf die Ausschlußfrist verweigert.

5. Nachträgliche Zahlungsunfähigkeit

Macht der Arbeitgeber ein Abfindungsangebot nach § 1 a KSchG und ist zum Zeitpunkt der Kündigung und des Angebots zahlungsunfähig, so wäre dies ein Anfechtungsgrund wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB für den Arbeitnehmer. Mit der Anfechtung könnte der Arbeitnehmer die nachträgliche Zulassung seiner Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG beantragen.

Sollte der Arbeitgeber aber erst nach Kündigung und nach dem Abfindungsangebot in Zahlungsunfähigkeit fallen, läge keine arglistige Täuschung mit den entsprechenden Rechtsfolgen vor. Der Arbeitnehmer hätte dann im Vertrauen auf das Angebot auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet. Dieser Verzicht wäre nicht mehr rückgängig zu machen.


Fazit:

Es gibt viele Bedenken bei der Vorgehensweise nach § 1 a KSchG, die sowohl vom Arbeitnehmer wie auch vom Arbeitgeber überdacht werden müssen.

Textübernahmen aus den Arbeitsrechtsfolgen von Hans Gottlob Rühle:
Reine
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